Ausstellung:Oben bleiben

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Mit seinem Luftmuseum hat Wilhelm Koch in Amberg eine ungewöhnliche Idee verwirklicht. Aktuell sind hier auch Bildern des Münchner Fotografen Tom Hegen zu sehen, der Deutschland seit Jahren vom Hubschrauber aus erforscht

Von Sabine Reithmaier

Bloß ins Luftmuseum reinrauschen und die Exponate anschauen, geht natürlich gar nicht. Das passt nicht zu einem Museumsleiter, der sich künstlerisch ausgiebig mit der Quadratur des aufgeblasenen Kreises beschäftigt hat. Erst einmal spaziert also Wilhelm Koch mit dem Besuch aus München außen um die Ringmauer, ehemals eine gigantische Stadtbefestigung, die sich Amberg, durch Eisenerz reich geworden, leisten konnte. Inzwischen lebt die Stadt gewissermaßen von der Luft. Sagt jedenfalls Koch und nutzt die nächsten Wegwindungen, um all die in Amberg ansässigen Industriebetriebe sowie die Hochschulprofessoren aufzuzählen, die sich facettenreich mit dem Thema befassen - vom Luftfilter über Druckluftkompressoren hin zu luftgefederten Fahrzeugsitzen oder Airbags für Radler - und deren Objekte man später im Museums tatsächlich auch alle trifft.

Aber erst geht es quer durchs Landratsamt, das im ehemaligen Kurfürstlichen Schloss residiert. Dezent weist Koch auf das Leitsystem der Behörde hin, das er in seinem Brotberuf als Grafiker entwickelt hat. Aber das ist nicht der Grund des Abstechers; Koch geht es um den Wassertorbau, der es ermöglicht, im ersten Stock die Vils zu überqueren und einen Blick auf den steilen Giebel des Luftmuseums zu werfen. Das Gebäude aus dem 14. Jahrhundert besitzt gleich mehrere Hausnamen, wobei "Engelsburg" besser zu seiner aktuellen Funktion passt als "Aichenforst" oder "Klösterl". In den restlichen 500 Metern bis dorthin bringt Koch die wechselvolle Geschichte des Hauses unter. Erst gehörte es zum kurfürstlichen Hof als "Frauenhaus". 1839 zogen die Armen Schulschwestern ein und bald wieder aus. Schließlich erwarb es die Stadt und richtete die "Maximilians-Rettungsanstalt für arme verlassene oder verwahrloste Kinder" ein. 1937 bis 1986 war das Heimat- respektive Stadtmuseum darin zu finden, von 1991 bis 2005 das Archäologische Museum der Oberpfalz, eine Außenstelle der Archäologischen Staatssammlung. Dann - Koch genehmigt sich kurz Zeit zum Luftholen - stand es leer. Mangels anderer Interessenten stellte es die Stadt ihm 2006 zur Verfügung. "Mietfrei für fünf Jahre", sagt Koch, dirigiert den Besuch ans Vilsufer und erzählt vom alljährlichen "Luftboottreffen" (heuer am 2. Juni), bei dem es darum geht, möglichst langsam zu schippern.

Die ersten Jahre waren nicht einfach. Erst musste der Verein formiert, das Haus renoviert werden. Die Stadt war misstrauisch, hielt das Projekt anfangs für "heiße Luft" (Koch), gab keinen Zuschuss. Aber die Zeiten sind vorbei, längst unterstützt die Stadt das private Museum, das sich auf 650 Quadratmetern Kunst, Kultur und Technik der Luft widmet. Seit einem Jahr kann sich der Trägerverein sogar eine hauptamtliche Geschäftsführerin leisten, die Kommunikationswissenschaftlerin Johanna Foitzik.

Landschaft aus ungewohnter Perspektive: Der junge Künstler Tom Hegen fotografiert seine Motive vom Hubschrauber aus, hier die Felder einer Gärtnerei von oben. (Foto: Tom Hegen)

"Wir können wirklich nicht mehr über schlechte Zusammenarbeit klagen", sagt Koch. 2009 hat er Amberg zum "Luftkunstort" erklärt, auch das ein geschickter Schachzug, genauso wie die Luftnacht oder die Luftklangmeile. Viel Zeit und Geld - "das funktioniert leider noch nicht mit Luft" - stecken Koch und sein Team in die Sonderausstellungen, acht pro Jahr.

Aktuell läuft mit "Habitat" bereits die hundertste und eine sehr sehenswerte Schau. Der junge Münchner Fotograf Tom Hegen erforscht Deutschland seit Jahren vom Hubschrauber aus, liefert - zumindest auf den ersten Blick - farblich und grafisch bestechend schöne Luftaufnahmen. Erst wer genauer hinschaut, entdeckt, dass die Fotografien von den Eingriffen der Menschen erzählen, davon, wie die Natur bezwungen und verändert wird. Egal ob es sich um Straßen, Kieswerke, Tagebau, Rangiergleise oder Windkraftanlagen handelt - die Ästhetik, mit der Hegen all das inszeniert, sorgt für eine zum Nachdenken anregende Irritation und die Erkenntnis, dass auch die Wälder nach künstlich vorgegebenen Strukturen wachsen.

"Habitat" ist bereits jetzt die besucherreichste Ausstellung des Museums. Davon profitieren auch die "Plein Air Kirchen" des Malers Peter Angermann, farbenfrohe Ölgemälde, die als zweite Sonderschau in der gotischen Kapelle hängen. Viele der Künstler, die in den vergangenen Jahren hier ausstellten, sind in der Dauerpräsentation mit wenigstens einem Werk vertreten geblieben, der japanische Architekt Kengo Kuma etwa oder Max Streicher mit seinen sich gegenseitig beatmenden Papiermenschen oder die Puppe der russische Latex-Gestalterin Sascha Frolowa. "Wir können unseren Bestand nur langsam aufbauen", sagt Koch und geht die Treppe zum ersten Stock hinauf. Vorbei an Johannes Borsts "Herzknutschflexvakuumpumpe", die mit Hilfe eines sich ansaugenden Silbermunds völlig partnerfrei authentische Liebesflecken erzeugt. Oben wartet das Haustier des Museums: die Luftschlange.

Kochs Arbeiten bilden den Grundbestand des Museums. Sehr praktisch, sagt der Luftbildhauer. Als Künstler sei er zwar "erfolgreich wirtschaftlich gescheitert". Aber im Gegensatz zu den meisten seiner Kollegen habe er ein Museum für seine Werke. Vermutlich hat er seine Silhouette deshalb als "aufgeblasenen Künstler" verewigt. Seit seinem Grafikdesignstudium in Würzburg beschäftigt er sich mit Luft und Schläuchen. Als er als Student einen Bucheinband gestalten sollte, entwarf er für einen Freud-Text eine stilisierte Liege aus Leder und Gummi, letzteren in Hirnstruktur. Auch das Folgestudium an der Münchner Akademie änderte nichts mehr an seiner Vorliebe für pneumatische Skulpturen aus alten Gummischläuchen, billiges Material, das er sich von Autohändlern holte, wusch und flickte. Bloß verkaufen ließen sich die Kunstwerke schlecht, weshalb er mit seinem Schwager ein Grafikbüro gründete, zu dem inzwischen ein kleiner, aber feiner Verlag gehört.

Wilhelm Koch. (Foto: Marcus Rebmann)

Von der Kunst ließ er nicht ab, zwängte den Gummi gern in harte Metallrahmen und Metallflächen, verband strenge, geometrische Formen mit weichen, organischen. 1994 entstanden die interaktiven Luftstationen, die er in einem Wettbewerb für einen "Air parc" im Innenhof der Fachhochschule Amberg entwickelte. Teile davon wurden im Esslinger "Festo-Airparc" verwirklicht. Als der 2006 wieder abgebaut werden musste, kehrten die Kunstwerke nach Amberg zurück. Eine Luftdusche bläst den Staub des Alltags weg, ein "Pneuthron" wartet auf den König der Lüfte. Der "Fliegender Teppich" begeistert vor allem die Kinder, die - das signalisieren die Einträge im Gästebuch - das ungewöhnliche Museum sehr schätzen, vor allem den "Papierflieger-Automatix", ausgetüftelt von Dieter Krone. 20 Cent einwerfen, schon fliegt ein im 3D-Drucker hergestellter Flieger heraus.

Amüsant ist auch Kochs Auseinandersetzung mit Laubbläsern, reicht vom sich selbst anblasenden Egobläser hin zum Trichterbläser, der ansaugt und über sich wieder ausbläst. Wie schwierig es ist, sich mit einer Rückenwindmaschine (als Rucksack zu tragen) fortzubewegen, wenn man eine Gegenwindmaschine schieben muss, dokumentiert ein Video. Nur als Film ist auch die Performance mit dem fliegenden Kreuz zu erleben - Koch selbst nennt es aufblasbares Pluszeichen. Mittels kleiner Propeller und Fernsteuerung hat er es inzwischen vor Publikum durch mehrere Kirchen dirigiert, eine sehr leichte, luftig-transparente Meditation.

Mit der Idee eines Museums liebäugelte Koch schon früh, richtete sich für sein Gummeum bereits in den Neunzigerjahren ein Schaulager in Amberg ein. 2000 etablierte er das Gummeum 2 im Raitenbucher Schloss in Kallmünz, lud andere Künstler ein und kuratierte die ersten Ausstellungen. Das Gastspiel endete nach zwei Jahren; die Suche nach Räumen begann wieder und endete schließlich in der Engelsburg.

Jetzt, wo das Museum so gut läuft, hat Koch mehr Zeit für seine anderen Projekte. Seit 18 Jahren versucht er, in seiner Heimatgemeinde Etsdorf eine Glyptothek zu verwirklichen, für ihn ein transnationales Denkmal für 2500 Jahre Demokratie und den Europäischen Gedanken. Das Grundstück hat er längst, Förderverein und Stiftung auch, dazu einen Entwurf des Architekten Peter Haimerl. Es fehlen nur mehr lausige 1,5 Millionen Euro. "Aber mittendrin wird ein Geldgeber auftreten", sagt Koch. Und es gibt nicht den leisesten Grund, das zu bezweifeln.

Tom Hegen: Habitat - vom Menschen geprägte Lebensräume , bis 21. April, Luftmuseum Amberg

© SZ vom 02.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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