Ausstellung:Im Sog der Augen

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Die Rathausgalerie würdigt Stefan Hunstein als Fotografen und zeigt in einer Werkschau Arbeiten aus den Jahren 1979 bis heute

Von Evelyn Vogel

Diesen Augen kommt man nicht aus. Sie saugen den Betrachter an, fixieren ihn, irritieren ihn. Manche dieser Augen sind etwas nach oben verdreht und wirken wie gebrochen, bei anderen sind die Pupillen leicht verschleiert, fast weiß und leer. Meist aber starren die Augenpaare den Betrachter frontal an. Der Ausdruck scheint zwischen fragend und ängstlich zu schwanken. In einer Reihe auf Augenhöhe gehängt, beherrschen die sieben Leuchtkästen mit den grob gerasterten Schwarz-Weiß-Aufnahmen die Stirnwand der Rathausgalerie. Es sind die Augen der sieben Männer, die 1942 in Prag das Attentat auf Reinhard Heydrich verübten. Ihre toten Augen. Denn ihre Tat bezahlten die beteiligten Soldaten und Widerstandskämpfer mit dem Leben. Das Foto, das gleich darauf entstanden war, hat Stefan Hunstein benutzt.

Stefan Hunstein sucht auf besondere Weise nach der Wahrheit des fotografischen Abbilds. Seine Bilder sind gesellschaftskritisch und mitunter hoch politisch wie „Die Augen der Attentäter“ mit Bezug zu den Heydrich- Attentätern. (Foto: Stefan Hunstein)

Wer von der Werkschau von Stefan Hunstein ein opulentes Mahl für die Sinne erwartet, dürfte enttäuscht sein. Statt dessen gibt es Hirnnahrung. Hunstein, als langjähriges Ensemblemitglied der Kammerspiele und des Residenztheaters den Münchnern nach wie vor mehr als Schauspieler denn als Fotograf bekannt, nimmt die Besucher mit auf seine Suche nach den Ausdrucks- und Darstellungsmöglichkeiten des Mediums Fotografie.

Überhaupt ist die ganze Ausstellung ein recht rohes und ungeschöntes fotografisches Statement. Eines, das nicht gefällig sein will und auch nicht gefällig sein muss. Diese Freiheit hat Stefan Hunstein sich als Fotograf in den zurückliegenden vier Jahrzehnten erarbeitet. Vielleicht hart erarbeitet. In jedem Fall ist diese künstlerische Freiheit ein Ergebnis intensiven Nachdenkens über das, was Fotografie sein will und sein kann. So stellte er schon 1991 anlässlich der Verleihung des Deutschen Fotopreises für Fotografie als Kunst in seinem "Ersten fotographischen Manifest" fest: "Die Realität, die die Fotografie in immer neuen Varianten behauptet, ist eine Lüge."

Auch ein Foto von Hitlers Schäferhund „Blondi“ unterzog Hunstein einer Nachbearbeitung. (Foto: Stefan Hunstein)

Für den Skeptiker Hunstein muss deshalb der aktuelle Selfie-Wahn eine Qual sein. Dieses Festhalten des Augenblicks, des vermeintlich Wahren und Echten, wo doch jeder weiß, dass Selfies die am meisten gestellten und geschönten Fotos sind, treibt ihn um. Und in seiner jüngsten Serie "Say hi to the camera" - einer Collage von Selbstporträts, gedruckt auf Leinwand und arrangiert im XXL-Handyformat, die zudem entsprechend mit gerundeten Ecken gerahmt ist - treibt er seine Skepsis auf die Spitze. Das Misstrauen gegen jedwedes Abbild sitzt tief. Und das bei einem Schauspieler! So merkwürdig das klingt, aber vielleicht fotografiert er deshalb so selten selbst? Zwar gibt es Bildserien aus eigener Hand wie "Im Eis". Auch hiervon hängen Beispiele in der Ausstellung. Es sind die eher rauen, kantigen, unspektakulären Eindrücke, die er auf seiner Reise durch die Polarregionen festgehalten hat. Was sehr konsequent ist im Rahmen des Ausstellungskonzepts.

Den Selfie-Wahn prangert Hunstein mit „Say hi to the camera“ an. (Foto: Stefan Hunstein)

Doch die Arbeit mit Found Footage überwiegt. Dieses vorgefundene Material bearbeitet er bisweilen so sehr, dass es entweder wie bei einer Extremvergrößerung krass aufrastert oder mit Hilfe von Farbfiltern malerische Qualitäten annimmt. Ein wichtiges Moment bleibt bei vielen Arbeiten das politische oder gesellschaftskritische. Auch eine seiner vielleicht bekanntesten Serien, "Schön war's", ist zu sehen. Hier widmete er sich 2010 Postkartenmotiven mit nachkriegsdeutscher Architektur und Lebenswirklichkeit und versetzte sie mit Hilfe von Bildmanipulation in eine heile Technicolor-Welt. Die vollständige Serie mit 99 Arbeiten hängt etwas versteckt. Doch als Gegenpol zu den "Augen der Attentäter", in deren Rücken sie zu finden ist, verleiht sie der Ausstellung einen zusätzlichen Spannungsbogen.

Und das zeigt einmal mehr, wie viel Stefan Hunstein den Betrachtern abverlangt. Er zwingt die Besucher förmlich in einen Diskurs mit seinem Werk, seinem Zweifel an Authentizität und seiner unbedingten Suche nach dem, was Fotografie zu leisten in Stande ist. Und angesichts von 40 Jahren weist das durchaus dramatische Ausmaße auf. Wie ein Prolog wirkt da, was Hunstein in dem rechter Hand zwischen Stellwänden entstandenen Kabinett präsentiert. Texte (wie das Manifest) und Bildbeispiele hat er hier verdichtet und untermauert damit sein Motto: "Fotografie ist die Botschaft."

Stefan Hunstein: Fotografie ist die Botschaft, Werkschau - Arbeiten aus den Jahren 1979-2019, Rathausgalerie, Marienplatz 8, bis 27. Nov., Di-So 11-19 Uhr

© SZ vom 25.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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