Ausstellung:Die Künstlichkeit umarmen

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Verkunstung von Leben und Werk, hier kann man sich festschauen und festhören: Blick in die Ausstellung "Bodenlos". (Foto: ZKM Karlsruhe)

Mit der spielerischen Ausstellung "Bodenlos" würdigt das ZKM derzeit in Karlsruhe den kauzigen, assoziativen, tiefen Denker Vilém Flusser, der früh das Entstehen neuer Netzstrukturen beobachtete.

Von Johan Schloemann

Vilém Flusser, das war ein kauziger, assoziativer, aber auch tiefer Denker, der zugleich das "Lob der Oberflächlichkeit" sang. Er verband damit eine Utopie, die er eine neue "kosmische Agora" nannte. Zuerst landete Vilém Flusser (1920-1991) in den Theorie-Abteilungen der Kunstakademien und der Museumsshops - also dort, wo nach der jüngsten Geschichtsschreibung die Theorie ohnehin ihr neues Zuhause gefunden hat. Und es war kein Wunder, dass er da zuerst wahrgenommen wurde und immer noch verehrt wird: Flusser war erklärtermaßen eher intellektueller Nomade als Professor, er begleitete den Wandel von Kunst, Technik und Medien ohne Missmut, und die Künstlichkeit aller menschlichen Kultur, Sprache, Kommunikation war sein Mantra.

Wohin also könnte eine videolastige, spielerische, sprunghafte Ausstellung über die Welt und Wirkung des Vilém Flusser besser passen als ans Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM) in Karlsruhe? Im Jahr 1989 schon, in der Prähistorie des Internets, und zwei Jahre vor seinem Tod, war Flusser ebendahin, nach Karlsruhe, gekommen, um einen Vortrag zu halten, der dann zu einem multimedialen Hypertext weiterverarbeitet wurde. Die Anordnung dieses Pionierwerks wurde jetzt für die Ausstellung mit großem Aufwand komplett rekonstruiert, mit musealen Apple-Computern und der damaligen Software "HyperCard 2.0". Zwei Jahre zuvor bereits, 1987, hatte Vilém Flusser mit einer Disketten-Ausgabe (Disketten, wer erinnert sich?) seines Werks "Die Schrift. Hat Schreiben Zukunft?" so etwas wie das erste deutsche E-Book veröffentlicht.

Aber Flusser selbst war überhaupt kein Garagenbastler, der dann heute etwa Internetmilliardär geworden wäre. Nein, er war ein medieninteressierter Kulturtheoretiker. Seine historischen Spekulationen reichten so weit wie seine prophetischen Qualitäten. In der Geschichte der menschlichen Kommunikation erkannte er den "Schleier der kodifizierten Welt", der nackten Natur entgegengesetzt; und er sagte voraus, dass wir bald von einer "Amphitheater"-Situation (also Fernsehen, Radio: ein Sender, viele Empfänger) dorthin übergehen würden, wo wir heute sind.

Bereits 1977 stellte Flusser nämlich fest: "An vielen Orten lassen sich Versuche beobachten, neue Netzstrukturen aufzustellen." Und in seinem Todesjahr, 1991, sagte er: "Die Leute wollen es. Sie wollen Television. Es ist diese Trägheit des Glücks, die einer Umschaltung entgegensteht. Dennoch beginnen sich überall Fäden zu spinnen. Überall merkt man, dass ein Netz daran ist, sich auszubilden. (. . .) Es ist eine Vernetzung im Gang, die sich wie ein Gehirn um die Erdkugel ausbreitet, wobei die Kanäle die Nerven sind und die Knoten Menschen und Apparate."

Das Entstehen neuer Netzstrukturen beobachtete er bereits im Jahr 1977

Die Karlsruher Ausstellung - Teil des größeren Kunst- und Projektknotens namens "Globale" - trägt den Titel "Bodenlos", weil so Flussers Autobiografie hieß. Mit seiner Geburtsstadt Prag war ihm alles geraubt worden: Heimat, Familie, Marxismus. Nur Goethes "Faust" und ein hebräisches Gebetbuch seiner Mutter nahm er auf die Flucht nach London mit; sein Vater, seine Mutter, seine Schwester und seine Großeltern mütterlicherseits wurden alle in Auschwitz, Buchenwald und Treblinka ermordet. Von 1940 bis 1972 lebte Flusser in Brasilien, dann kehrte er nach Europa zurück - und blieb stets ein Wanderer, als freier philosophischer Schriftsteller und Dozent, als Netz- und Dialogkünstler. Seine Entwurzelung, überhaupt die Freiheit des Migranten, obwohl sie Folge von Hass und Krieg war (und ist), wendete der Mann mit dem Bart und den funkelnden Augen entschieden ins Positive: persönlich, aber auch geistig, als Auftrag, der Disziplinierung und Disziplinarität zu entkommen.

Die ZKM-Ausstellung nun macht Vilém Flusser selbst zu einem Medienkunstwerk. Der Parcours, sagen die Kuratoren, soll seiner flüchtigen Existenz entsprechen. Das ist nicht bloß biografisch folgerichtig, sondern auch deshalb, weil der Philosoph selbst mit Künstlern wie Fred Forest und Louis Bec zusammenarbeitete, und weil er mit neuen Medien wie der Videotechnik intellektuell und praktisch herumexperimentierte.

Allerdings schießen die Verkunstung und die Verquickung von Leben und Werk, wie es ja nicht selten bei "Kult"-Denkern geschieht, auch übers Ziel hinaus: Da werden Briefwechsel hübsch durch Projektionen und Beleuchtung auratisiert, und des Meisters Schreibmaschine, Manuskriptseiten, Zeitungsausschnitte, Reisebibliothek, Auftritte, Vortragsplakate (großteils aus dem Berliner Flusser-Archiv) werden zu epochalen Exponaten der von ihm selbst bearbeiteten Kommunikationsgeschichte.

Auf diese Weise verschwimmt in der Präsentation der Unterschied zur "richtigen" Kunst. Und es geht auch ein wenig unter, dass Vilém Flusser nicht nur ein charismatischer, zuversichtlicher Euphoriker war; er warnte durchaus auch vor den Risiken medialer Vereinsamung und bezeichnete das Verschwinden der Privatheit als "die totale Publikation, also politischen Totalitarismus". Trotzdem lohnt sich der Rundgang unbedingt: Man kann sich darin festschauen und festhören, wie man sich bei Vilém Flusser festlesen kann. Und je bunter die Flusser-Videos aus dem Totenreich flackern, desto mehr wünscht man sich den Kauz am Leben, um uns den jetzigen Stand der Kommunikationsrevolution zu erklären.

Bodenlos - Vilém Flusser und die Künste. ZKM - Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe, bis 18. Oktober. Dreisprachiges Begleitbuch: "Flusseriana - ein intellektueller Werkzeugkasten", herausgegeben von Siegfried Zielinski und Peter Weibel mit Daniel Irrgang, 35 Euro im Museumsshop. Info: www.zkm.de

© SZ vom 31.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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