Kunstmesse Art Basel:Sirenengesänge des Ölzeitalters

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Werke von He-Ji Shin auf der ART BASEL (Foto: Courtesy of the artist and Reena Spaulings NY/LA/Courtesy of the artist and Reena)

Die Art Basel ist zurück in alten Routinen des internationalen Kunstmarkts. Man positioniert sich jetzt auch politisch, gegen Klimawandel und Krieg. Aber schweigt an entscheidender Stelle.

Von Kito Nedo

Die gute Nachricht zuerst: Die Art Basel, die wichtigste Kunstmesse der Welt, ist zu ihrem traditionellen Juni-Termin zurückgekehrt. Nach drei Jahren der pandemiebedingten Absagen und Verschiebungen. Das überschneidet sich zwar nun ungünstig mit der Eröffnung der Documenta in Kassel. Im Kunstjahr 2022, in dem alle internationalen Großereignisse in drei Sommermonate passen müssen, geht es wohl nicht anders.

Ein Impfzertifikat braucht man in diesem Jahr nicht, um auf die Messe zu gelangen, und es gibt keine Maskenpflicht mehr. Aber auch diese Ausgabe der Art Basel steht vor dem Hintergrund einer internationalen Krise. Der Messechef Marc Spiegler wirkte bei der Eröffnungspressekonferenz am Dienstag alles andere als gelöst. Einerseits sei die Messe gut durch die vergangenen anderthalb Jahre gekommen, doch seien dies "noch immer keine normalen Zeiten", sagte der Direktor - um sich dann klar gegen den völkerrechtswidrigen russischen Angriffskrieg in der Ukraine zu positionieren.

Bevor es um die Kunst und die 289 Galerien aus 40 Ländern ging, die in diesem Jahr die von ihnen vertretenen Künstler in Basel zeigen, betonte Spiegler noch die Bemühungen der Messe, ihre CO₂-Emissionen zu verringern. Im vergangenen Jahr ist die Art Basel der "Gallery Climate Coalition" beigetreten, einer Umweltinitiative der Kunstszene, die sich für die Reduzierung von umweltschädlichen Emissionen und die Müllvermeidung engagiert. Das hatte einen Beigeschmack von grüner Kosmetik. Denn an einem hält die Messe sicher fest: am Wachstum, dem Grundprinzip ressourcenfressender Wirtschaftsweise.

Gier der Petromoderne: "Slow Fresh Fount" heißt die Soundinstallation aus Ölfässern von Susan Philipsz, die auf der Art Basel zu sehen ist. (Foto: Philip Poppek /Courtesy Susan Philipsz, Tanya Bonakdar Gallery, New York/Los Angeles and Konrad Fischer Galerie, Berlin/Düsseldorf)

Im Oktober expandiert die Art Basel, die bereits Ableger in Hongkong und Miami betreibt, dann unter dem Titel "Paris+" auch in die französische Hauptstadt. Die krisengeschüttelte Schweizer Messegesellschaft MCH tritt damit auf der Suche nach Umsätzen die Flucht nach vorn an. Ein Thema, über das nicht gesprochen wird, ist indes, wie es künftig mit der Messe in Hongkong weitergeht. In Hongkong existiert faktisch keine Meinungs- und Demonstrationsfreiheit mehr, die chinesische Regierung greift die Opposition in der ehemaligen britischen Kronkolonie immer härter an. Wie das zur Freiheit der Kunst passt, die das Fundament der Art Basel bildet? Dazu verlor Spiegler kein Wort. Aber dazu wird sich die Messe in nächster Zeit positionieren müssen.

Was ist nun auf der Messe zu sehen? In dem Bereich der Art Basel, der unter der Überschrift "Unlimited" großformatige und komplexe Installationen zeigt, siegte das konservative Beharren auf durchgesetzten Namen abermals gegen Wagnis und Experimentierfreude. Zu den überraschenden Ausstellungsstücken gehörte zweifellos die Sound-Installation der Berliner Künstlerin Susan Philipsz mit dem Titel "Slow Fresh Fount" von 2021. Sie besteht aus zehn schwarz lackierten, teilweise zu Zweierformation gestapelten Standard-Ölfässern. Darauf sind kleine Lautsprecher montiert, aus denen die sphärische Stimme der 1965 in Glasgow geborenen Künstlerin dringt. Sie sind ins Innere der Fässer gerichtet, sodass man sich als Betrachter unvermittelt inmitten eines Sirenenchores der Ölfässer wähnt. "Slow Fresh Fount" zielt formal und inhaltlich auf die süchtig machende Kraft des Öls in der gegenwärtigen Petromoderne.

Aktuell wirkt auch das achtminütige Video "Once in the XX Century" des litauischen Filmregisseurs, Konzept- und Installationskünstlers Deimantas Narkevičius. Die Pariser Galerie gb agency hat es auf die Messe gebracht. Bereits im Jahr 2004 montierte der Künstler historisches Videomaterial aus dem Archiv des litauischen Fernsehens zu einem kleinen, verwirrenden Film. Ursprünglich zeigten die Aufnahmen die Entfernung einer monumentalen Lenin-Skulptur unter dem Beifall der Menge im Jahr 1991. Durch geschickte Montage verkehrte Narkevičius das ikonische Ereignis in sein Gegenteil. In seinem Film scheinen die Demonstranten die Aufstellung eines Lenin-Monuments zu bejubeln: Ein Lehrstück über die suggestive Macht der Bilder, Mechanismen der Desinformation und angesichts der neoimperialen Bestrebungen Russlands bestürzend nah an der Gegenwart.

Als der Krieg noch ein Spiel war: Live Action Roleplay, fotografiert von der Künstlerin Heji Shin im Stil bekannter Kriegsfotografien. (Foto: Courtesy of the Heji Shin and Reena Spaulings NY/LA)

Gespenstisch wirkten auch die großformatigen Schwarz-Weiß-Fotografien der 1976 in Seoul geborenen Künstlerin Heji Shin am Stand der New Yorker Galerie Reena Spaulings Fine Art. 2020 fotografierte Shin, die in Berlin und New York lebt, auf einem sogenannten LARP-Event in der Ukraine. Die Abkürzung steht für "Live Action Roleplaying", da treffen sich erwachsene Menschen, um möglichst realitätsgetreu Krieg zu spielen. Wie die Spieler-Kämpfer in Camouflage den Krieg simulieren, so scheint auch Shin die klassische Kriegsfotografie zu performen, jedenfalls zitiert sie die Bildsprache von Genre-Fotografen wie Robert Capa. Das führt zu interessanten Effekten: Shins Bilder erscheinen uneindeutig, andererseits meint man sofort zu erkennen, worum es hier geht. Im Kontrast dazu steht eine Serie mit neuen Farbbildern der Fotografin, auf denen unter anderem ein offensichtlich durchgeknallter Clown zu sehen ist, der sich daranmacht, eine ganze Stadt in Schutt und Asche zu legen.

Zum Kontrast in Farbe: Zerstörerischer Clown in der Bildserie von Heji Shin. (Foto: Courtesy of Heji Shin and Reena Spaulings NY/LA)

Unterbrochen wurde der allzu routinierte Alltag der Messe und ihrer Satelliten glücklicherweise durch Initiativen am Rand der Veranstaltung. Für notwendige Aufregung sorgte die Premiere des "Basel Social Club", organisiert von Baseler Künstlern, Kuratoren und Galeristen: In einer schön abgerockten, leer stehenden Villa aus den 1930er-Jahren im grünen Stadtteil Bruderholz installierten sie eine großartig inszenierte Ausstellung mit Kunstwerken von mehr als fünfzig Künstlerinnen und Künstlern . Flankiert von einem Performance-Programm, einem temporären Restaurant und einer Cocktailbar. So soll das Gespräch der Szene in inspirierender Atmosphäre nach der Pandemiepause wieder in Gang kommen. Ob es diesen "Social Club" nächstes Jahr wieder geben wird, ließ Claude Freymond-Guth, einer der Co-Initiatoren, offen.

Eindrucksvoll war schließlich auch der Auftritt des russischen Performance-Kollektivs Pussy Riot am Dienstagabend in einem Basler Club. Vor ausverkauftem Saal wetterten die Künstlerinnen-Aktivistinnen eine Stunde lang gegen Geheimdienstbrutalität, die politische Justiz und die zerstörerische Macht der russisch-orthodoxen Kirche. Gründungsmitglied Maria Aljochina, vor ein paar Wochen aus Russland geflohen, rief nach dem Konzert das Publikum auf, sich aktiv gegen den Krieg und für einen Lieferstopp von russischem Öl und Gas zu engagieren: "Geht auf die Straße! Macht euren Politikern Druck!"

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