Art Basel:Die Basis bleibt Europa

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"Tears" - Tränen von Monster Chetwynd vor den Ausstellungshallen der Art Basel auf dem Messeplatz. (Foto: ARND WIEGMANN/REUTERS)

Die Art Basel konzentriert sich auf ihre Ursprünge und kämpft weiterhin gegen Corona-Beschränkungen. Trotzdem ist die Stimmung optimistisch

Von Kito Nedo

Ein alter weißer Mercedes-W123 Kombi mit russischem Kennzeichen steht auf dem Messegelände in der Basler Innenstadt. Seit Montag ist das Gefährt von Menschen umringt. Neugierig spähen die Passanten in das Innere des alten Wagens, der auffällig-unauffällig neben der Halle 1 geparkt ist. Auf den umgeklappten Rücksitzen im Fond des Mercedes liegen zwei lebensecht wirkende, junge schlafende Männergestalten erschöpft und eng aneinandergeschmiegt auf Umzugsfilzdecken. Hinter der Windschutzscheibe kann man Messeausweise erkennen: Die beiden Gestalten arbeiten offensichtlich als prekäre Messebauer und Kunstinstallateure. Mit dem Werk "The Outsiders", das wie eine stumme Performance wirkt, aber eine Skulptur ist, hat das skandinavische Künstlerduo Elmgreen & Dragset ein "Conversation Piece" für die "Unlimited"-Sektion der Art Basel geliefert und lenkt den Blick auf diejenigen, die das kommerzielle Kunstspektakel im Verborgenen am Laufen halten.

Der "Unlimited"-Teil der Messe, der bereits am Montagnachmittag seine Pforten für das Fachpublikum öffnete, ist den komplexen und besonders aufwändigen Kunstwerken vorbehalten, wie den großformatigen Gemälden von Andreas Schulze, die sich zu einem Autostau formieren, den zehn herrlich rasselnden Aluminiumblech-Bildern von Albert Oehlen oder der Installation von Lucy McKenzie, die einer aufgebrochenen Wand ähnelt, hinter der ein lange verborgenes Wandgemälde im Realismus-Stil der Fünfziger zum Vorschein kommt. Dass der Markt auf das bewährte Medium der Malerei zurückfällt, wenn die Zeiten unsicherer werden, wird in der "Unlimited"-Halle mustergültig vorgeführt. Dass aber in der großen Überzahl Kunst von Männern ausgewählt wurde, verleiht dieser von Giovanni Carmine kuratierten Sektion trotz Ausnahmen dann doch den Frischegrad von altem Brot. Wozu das prominent präsentierte Brothaus von Urs Fischer wieder ganz gut passt.

"A Brief History of Known" - Eine kurze Geschichte des Wissens des Jamaicanischen, in New York City lebenden Künstlers Nari Ward, ausgestellt im Unlimited Sector der Art Base 2021. (Foto: FABRICE COFFRINI/AFP)

Veränderungen waren immer ein Teil der wichtigsten Kunstmesse der Welt, die seit 1970 traditionell in Basel stattfindet und neben der Biennale in Venedig und der documenta in Kassel zu den international prägenden Großveranstaltungen zählt. Doch bei der ersten großen internationalen Messe nach der allgemeinen Covid-Pandemie-Zwangspause ist diesmal wirklich alles anders. Im vergangenen Herbst stieg der britische Investor James Murdoch bei der wirtschaftlich schlingernden Art-Basel-Muttergesellschaft MCH Group ein. Der diesjährige Neustart der Messe wurde pandemiebedingt vom Juni in den September verlegt. Aufgrund der internationalen Reisebeschränkungen und der neuerlichen Verunsicherung infolge der Delta-Variante ist der größte Teil des Art-Basel-Sammler-Publikums aus Nordamerika, Asien und Russland nicht in die Schweiz gereist. Das gilt auch für einige wenige Galeristen, hauptsächlich aus Asien, denen die Messe sogenannte "Satellite Booths" anbietet, die von hiesigem Messepersonal betreut werden. Auf der Messe werden sie inoffiziell "Ghost Booths" genannt, also "Geisterkojen".

Sie sind an einer Hand abzählbar und fallen nicht weiter auf. So einen Stand hat etwa die Galerie ShanghART Gallery, die Ausstellungsräume in Shanghai, Beijing und Singapur betreibt. Am Stand mit den abstrakt-geometrischen Gemälden des Malers Ding Yi aus Shanghai stehen nun eine Kunsthistorikerin und ein Kunsthistoriker aus der Schweiz für alle Fragen bereit. Drei Galeriemitarbeiter aus China sind via Zoom auf einem Tablet online und bei Bedarf kann auch der Galerist Lorenz Helbling via Internettelefonie konsultiert werden. Wäre Helbling in die Schweiz gekommen, müsste er sich bei der Rückreise nach China einer dreiwöchigen Quarantäne unterziehen. Dafür habe er im Moment schlicht nicht die Zeit, teilt der Galerist über das Telefon mit, den direkten Austausch vor Ort fände er aber dennoch sehr wichtig.

Ein Werk ohne Titel des italenischen Malers und und Schlüsselfigur der italienischen Transavanguardia-Bewegung, Enzo Cucchi bei der Art Basel 2021. (Foto: FABRICE COFFRINI/AFP)

Für Unsicherheit sorgte auch die Praxis des Schweizer Gesundheitsamts BAG, Covid-Zertifikate zunächst nur für die in der Schweiz zugelassenen Impfstoffe auszustellen, also nur für Pfizer-BioNTech, Moderna oder Johnson & Johnson. Diese Zertifikate sind für den Zutritt auf das Messegelände, für Restaurantbesuche und sonstige Veranstaltungen zwingend. Erst am Vorabend der Messe wurde bekannt, dass sich auch AstraZeneca-Geimpfte keinen zusätzlichen Tests unterziehen müssen, um auf das Messegelände zu gelangen. Unklar blieb aber, wie der Umgang mit Sinovac- und Sputnik-Geimpften ist. Die Messe hat ein "COVID-19 Certification Center" eingerichtet, in dem sich alle Besucher gegen Vorlage eines Impfzertifikats ein silbergraues Kontrollarmbändchen, das "Bändeli", um das Handgelenk bekommen. Das klappt sehr gut: Mit dem "Bändeli" und dem Messeausweis kommt man zügig auf die Messe, wo nach der Eröffnung der Vorschau-Tage am Dienstag auch mit Maskenpflicht geschäftiges Treiben herrschte. Für ein sicheres Umfeld sorgte auch die Begrenzung der Kapazität auf 12 000 Personen zu jedem Zeitpunkt. Dies seien, so betont Messechef Marc Spiegler, "20 Prozent weniger als in der Vergangenheit".

Die Art Basel profitiert auch davon, dass heute kaum jemand spontan Kunst kauft, sondern der Großteil der Käufe lange vor dem eigentlichen Messeterminzwischen Galerien und Sammlern angebahnt werden. Auch ist es schon länger üblich, dass Sammlerinnen und Sammler sogenannte Kunstberater auf die Messe schickten, statt sich selbst durch das unübersichtliche Angebot von 272 Galerien aus 33 Ländern zu kämpfen. Viele dieser "Art Advisors" arbeiten für mehrere Sammler gleichzeitig. Soll die Messe ihre zentrale Bedeutung als der große Informationsumschlagplatz zwischen Künstlern, Galeristen, Sammlern, Kuratoren und Institutionsleuten zukünftig behalten, müssen all diese Menschen eben doch die Möglichkeit haben, persönlich teilzunehmen.

"Naughtynightcap, 2008" des US-amerikanischen Bildhauers John Chamberlain im Unlimited-Sektor der Art Basel 2021. (Foto: FABRICE COFFRINI/AFP)

Für eine Bilanz ist es noch zu früh, doch ein vorsichtiger Optimismus scheint unter den Galeristen zu überwiegen. Die Situation sei schwer einschätzbar gewesen, erklärt etwa Philomene Magers von der Galerie Sprüth Magers, auch weil viele Sammler aus Übersee ihre Reisen abgesagt hätten. Trotzdem "sind sehr viele Sammler und Kuratoren da und man spürt die Lust und Leidenschaft des Publikums, Kunst im Original zu sehen und die Haptik der Werke wieder erleben zu können". Magers spricht von einer "sehr erfolgreichen Messe" und fügt hinzu: "Jetzt hier sein zu können, macht Freude und ist ein gutes Gefühl." Ihre Kollegin Esther Schipper vergleicht die Art Basel gar mit einer "bestandenen Feuertaufe".

Um die wachsende Unruhe unter den ökonomisch weniger gut aufgestellten Ausstellern aus dem mittleren Segment im Vorfeld der Messe zu dämpfen, entschied sich die Messeleitung, einmalig einen 1,5 Millionen Franken schweren, sogenannten "Solidaritätsfonds" aufzulegen, um etwaige Umsatzeinbußen bei den teilnehmenden Galerien im Nachhinein abzufedern. Und dass der Messedirektor Marc Spiegler auf der Pressekonferenz am Dienstag einmal öffentlich einen "echten Zuwachs an Kollegialität" feststellen würde, das ist angesichts einer Szene, die sich für gewöhnlich einen gnadenlosen Konkurrenzkampf um Sammler, Kunstwerke und Künstler liefert, ein geradezu historisches Statement. Neu ist auch, dass die Art Basel mit einem Tabu bricht und ihre Satellitenmessen näher rücken lässt. So findet die wichtigste Nebenmesse, die von Joanna Kamm geleitete "Liste" für aufsteigende Galerien und jüngere Kunst nun erstmals direkt auf dem Messegelände statt und überrascht mit einer luftigen, kreisrunden Messearchitektur für 81 Galerien aus 33 Ländern, entworfen vom belgischem Architektenbüro "Office", in deren Mitte nun Skulpturen präsentiert werden.

"Diablo Prime (For Big Vinny), 1992" des US-amerikanischen Künstlers Steven Parrino im Unlimited Sector der Art Basel 2021. (Foto: FABRICE COFFRINI/AFP)

Notgedrungen beschwor Marc Spiegler die Art Basel, deren groß geplante Jubiläumsfeier zum fünfzigjährigen Bestehen 2020 der Pandemie zum Opfer fiel, nun als europäische Messe: "Europa ist ein Kontinent mit einer unglaublich reichen Sammlergeschichte und einer breiten Sammlerbasis". Bemerkenswert ist das, weil die Art Basel mit Ablegern in Miami und Hong Kong schon vor langer Zeit international expandierte und zur globalen Marke ausgebaut wurde. Die Betonung der europäischen Basis dürfte hauptsächlich der pandemischen Situation geschuldet sein. Angesichts der zunehmenden politischen Restriktionen in HongKong soll die Messe laut dem Kunstmarkt-Fachblatt "The Art Newspaper" bereits ihre Fühler nach Japan ausstrecken. Und die Ausgabe in Miami ist schon für Anfang Dezember angekündigt.

  • Art Basel, noch bis 26. September. Alle Informationen: artbasel.com und liste.ch
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