Architektur:Hoch exklusiv

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Wohntürme sind kein neues Phänomen, doch die Bauten werden immer aufwendiger: Zum Beispiel der geplante "Grand Tower" in Frankfurt. (Foto: Willi Brandt/dpa)

In deutschen Städten wird der Wohnraum immer knapper und teurer. Auch deshalb entstehen gerade mehr Wohnhochhäuser denn je - allerdings zu viel zu hohen Preisen.

Von Gerhard Matzig

Der Fernseher steht nicht dort, wo man ihn erwarten würde. Also zum Beispiel prominent im Wohnzimmer. Fred Steinbichler und seine Frau Minnefried haben das Fernsehgerät, klein ist es nicht, stattdessen an einer Nebenwand abgestellt. Fast im Flur. Nebensächlich wirkt es dort. Als spiele es nur eine Nebenrolle im Leben des Münchner Ehepaares, das seit 1953 verheiratet ist. So ist es ja auch.

Denn das einzige Fernsehgerät, das die Steinbichlers wirklich brauchen im 16. Stockwerk am Schumacherring 29 im Münchner Südosten, ist das Haus selbst. Als in der vergangenen Silvesternacht am Jochberg in der Nähe von Kochel am See 100 Hektar Wald nach einer tölpelhaften Zündelei in Flammen aufgingen, konnte man von der mit Topfpflanzen begrünten Terrasse der Steinbichlers die Rauchsäule sehen. Dazwischen liegen knapp 60 Kilometer Luftlinie. Ihr Haus in Neuperlach ist also selbst eine Art Fernsehgerät - ein Hausgerät zum In-die-Ferne-Gucken.

Der 84-Jährige und seine 83-jährige Frau leben seit mehr als 40 Jahren in einem Turmbau zu München-Neuperlach. Ganz oben. Dutzende Meter über dem Erdboden. Mit einem irren Fernblick in die Alpen. "Mehr Fernsehen braucht man nicht", sagen sie. Die Steinbichlers sind augenscheinlich glücklich dort, wo man den Wolken ein wenig näher zu sein scheint. Auch wenn der Literat Antoine de Saint-Exupéry recht haben sollte, auch wenn man also nur mit dem Herzen so richtig gut sieht: Das Auge isst auch mit. Jedenfalls beim Wohnen. Ein guter Ausblick ist unendlich viel wert und geht ein in die Immobilienformel von der "Lage-Lage-Lage". Fred Steinbichler sagt es so: "Blick auf die Alpen, unverbaubare Lage. So schaut's aus."

35 Sekunden braucht der Lift nach oben. Er ist etwas betagt. Die ganze Anlage wurde seit 1967 als "Entlastungsstadt" auf die damals noch grüne Wiese gebaut. Neuperlach ist eine der größten deutschen Satellitenstädte und wird zur Zeit von etwa 60 000 Menschen bewohnt. Das Viertel war in der Nachkriegszeit Münchens Antwort auf die Wohnungsnot. Die Formel hieß "verdichtetes Wohnen". In Städten mit begrenztem Grund und Boden bedeutet das: vor allem in die Höhe bauen. Chicago, Geburtsstätte des Bautyps "Wolkenkratzer" (das sind Gebäude von mehr als 150 Meter Höhe), hat das bereits vor mehr als einem Jahrhundert vorgemacht.

In Deutschland darf man übrigens schon deutlich niedrigere Gebäude als Hochhäuser bezeichnen. Das hat mit den Landesbauordnungen und dem Feuerschutz zu tun: Feuerwehrdrehleitern haben eine Nennrettungshöhe von 23 Metern. Ab 22 Metern spricht man daher vom Hochhaus. Die Frage ist nun wieder aktuell: Könnte das Wohnen in Hochhäusern auch im Deutschland der Gegenwart angesichts des Wohnraummangels in Großstädten eine Antwort sein? Könnte das, was die Steinbichlers seit Jahrzehnten als Pioniere pflegen, das Leben in den Lüften, auch abseits vereinzelter Wohnbiografien zum Trend werden?

"Grand Tower" in Frankfurt wird 172 Meter hoch

In Frankfurt glaubt man: ja, unbedingt. Dort werden bis 2019 rund 200 Millionen Euro in das Projekt der "Drei Schwestern" investiert. Das ist der (vorläufige) Name für drei Wohntürme unweit der bekannten innerstädtischen Mall "My Zeil". 40, 50 und 80 Meter hoch werden die Schwestern nach einem Entwurf von Max Dudler. Auf 52 000 Quadratmetern entstehen bis zu 300 Wohnungen. Nicht weit davon entfernt will man sogar ein Ensemble von vier Türmen realisieren - zwei werden dem Wohnen dienen. Der "Grand Tower" in Frankfurt soll 172 Meter hoch und somit Deutschlands höchstes Wohnhochhaus werden, mit einer für alle Bewohner zugänglichen Sonnenterrasse im 43. Stock. Auch in Berlin wurde, erst vor wenigen Tagen, das 118 Meter hohe "Upper West" eröffnet. Das Upper West dient vornehmlich den Büros - doch zuletzt hatte der Investor über Wohnraumnutzung nachgedacht.

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Nach einer Studie des Immobilienberaters Bulwiengesa entstehen allein bis 2018 rund 9000 Hochhauswohnungen in den sieben größten deutschen Städten. In Düsseldorf, Hamburg oder sogar in München, wo es im Jahr 2004 zum legendären "Hochhausentscheid" kam. Damals votierte eine knappe Mehrheit der Wähler in einem Bürgerentscheid gegen eine Überbauung Münchens in Form von Häusern, die höher wären als die Frauenkirche, also etwa 100 Meter.

Die Furcht vor einem als "verschandelt" empfundenen Stadtbild: Das war der eine Grund für die Münchner, dem Hochhaus Grenzen aufzuzeigen. Der andere Grund betrifft direkt das Wohnen: Nicht alle Menschen fühlen sich wohl hoch über den Niederungen der üblichen Einfamilienhaus-Firste. Dennoch ist die Vertikalisierung des Wohnens nach amerikanischem, asiatischem oder auch afrikanischem Vorbild nun in vielen europäischen Städten auf dem Vormarsch. Inzwischen gelten Wohnhochhäuser als cool, das schlechte Image aus der Nachkriegszeit scheint vergessen. Aber: Es geht bislang nur um den Premiumsektor des Wohnens, um das schicke Penthousefeeling, um Luxusangebote mit Quadratmeterpreisen bis zu 19 000 Euro wie aktuell in Frankfurt und Berlin. Der Wohnungsnot setzt man so nichts entgegen.

Wie hoch ist noch verträglich?

Das Problem mit Hochhäusern, die per se auch einen Beitrag zur Ökologie leisten, weil sie weniger Grund verbrauchen und durch ihre größere Wohnraumdichte zu mehr Energieeffizienz führen können, liegt darin: Je höher sie werden, desto teurer ist ihre Erschließung. Irgendwann rechnet sich das nicht mehr. Der Stadtplaner und Architekt Albert Speer aus Frankfurt glaubt deshalb, dass Häuser, die höher sind als 300 Meter, "nicht mehr sinnvoll genutzt werden können". Und Dietrich Fink, Professor am Lehrstuhl für Städtische Architektur der TU München, glaubt, dass nur 50 bis 80 Meter "verträglich sind" für Städte wie München. Womit man wieder in Neuperlach landet.

Dort haben die Steinbichlers viele Bücher über das Segeln im Regal. "Wir schauen eben gern ins Weite", lacht Minnefried - in die Wolken, auf den Horizont, aufs Meer oder in die Berge. "Deshalb sind wir 1976 nach Neuperlach gezogen - und weil wir gern modern wohnen." Was die Neue Heimat damals in München baute, galt als Utopie. Etwas für Leute mit Spaß an der Zukunft. Ob aber der Wohnturm-Boom in Deutschland auch etwas am Wohnraummangel ändert und so auch für die Zukunft des günstigen Wohnens sorgt - das steht, ehrlich gesagt, in den Sternen.

© SZ vom 27.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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