Architekt Friedrich Kurrent gestorben:Der Raumdeuter

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Für ihn war der Sakralbau der eigentliche Kern des Bauens und der Architektur: Friedrich Kurrent (Mitte) präsentiert Modelle für eine neue Synagoge, neben ihm Charlotte Knobloch und Henny Seidemann. (Foto: Karl-Heinz Egginger/SZ Photo)

Unter den Architekturtheoretikern und -lehrern war Friedrich Kurrent eine Art Karl Kraus am Bau: wortgewaltig, boshaft - und wegweisend. Im Alter von 90 Jahren ist er gestorben.

Von Gerhard Matzig

"Friedrich Kurrent", sagte einmal der andere Friedrich aus Österreich, der Achleitner Friedrich, der für die Bauwelt Bedeutung weit über Wien hinaus hat, genau wie eben der Kurrent Friedrich, "ist ein Moralist von der unbestechlichen, aber auch anstrengenden und unbequemen Art, dem man nicht verzeihen kann, dass er meist recht hat." Jetzt ist der österreichische Architekt Kurrent im Alter von 90 Jahren gestorben - und wenn man ihm noch was nachrufen darf, dann bitte dieses: Herr Professor, Sie hatten recht.

Womit? Zum Beispiel mit dem, was er über das frühere Hertie-Hochhaus in Schwabing sagte. Das war in seiner "Abtrittsvorlesung" 1996. Kurrent war ja nicht nur ein großer Architekt (der wenig gebaut hat), ein großer Theoretiker (der fast alles schon mal durchdacht hat), ein großer Lehrer (der das Kleine am Akademischen nicht mochte), sondern er war eben auch ein mindestens so boshafter Satiriker wie Karl Kraus (den der aus der Nähe von Salzburg stammende, aber zum Berufsmünchner und Ehrenwiener gewordene Kurrent verehrte). Der große Physikhörsaal der Technischen Universität München, wo er gelehrt hat, war also komplett besetzt, als er über das Hertie-Hochhäuschen in Schwabing sagte: "Der erste Fehler war die Errichtung. Der zweite Fehler war der Abbruch."

"München bleibt München - und das ist keine Drohung"

Trotzdem kam Kurrent, der München ausdeutete von seiner Wohnung an der, wo auch sonst, Habsburgerstraße, zu diesem Ergebnis: "München bleibt München - und das ist keine Drohung."

Bei ihm hörte man damals etwas zum Sakralbau. Also sozusagen. Denn er schaffte es, ein ganzes Jahr über die Raumkunst in Kirchen zu dozieren, ohne auch nur einmal das Wort "sakral" zu benutzen. Dennoch war für Kurrent der Sakralbau der eigentliche Kern des Bauens und der Architektur, nicht aus Gründen des Glaubens, sondern eher aus solchen des Wissens: Kurrent wusste eigentlich alles über die Frage, was aus einem Raum, der erst einmal nur simpelste Physik ist, letztlich etwas Magisches macht. Wenn es glückt: etwas Wunderbares. Kurrent lehrte eigentlich nicht Architektur, sondern das Sehen und Begreifen von Räumen. Im Grunde also das Handwerk vom Wunder. Und er war der beste und prägendste Architekturlehrer, an den man sich erinnern kann.

Einmal, es war auf einer Studentenexkursion, die auch zur Wotrubakirche im Südwesten Wiens führte, erbaut aus 150 Betonblöcken nach Plänen des Bildhauers Fritz Wotruba und des Architekten Fritz Gerhard Mayr, stellte man Friedrich Kurrent eine Frage zum Raum, die er so beantwortet hat: "Da müssen Sie eigentlich selbst draufkommen." Viele Jahre später erhielt man von Kurrent eine Karte aus Wien. Darauf war nur zu lesen: "Sind Sie draufgekommen?"

Wenn man das heute mit "ja" beantwortet, dann deshalb, weil man einen Lehrer wie ihn hatte, der seine Schüler immer nur bis zur Schwelle der Raumkunst führte, um sie dann selbst eintreten zu lassen. Friedrich Kurrent hasste lenkende Ismen, verachtete Moden, demütigte Aufschneider, ärgerte Formalisten, verlachte Spektakel und war alles in allem ein Modernist, der das Modernistische an der Moderne überwunden hatte, ohne zum Traditionalisten zu werden. Und wenn doch, dann zu einem, der auch die Tradition hinter sich lassen konnte. Kurrent war ein Raumdeuter jenseits der Chiffren vom Raum. Und ein Architekturermöglicher, der als Schüler von Clemens Holzmeister zu den Begründern der österreichischen Nachkriegsmoderne wurde. In der "Arbeitsgruppe 4" zusammen mit Wilhelm Holzbauer, Otto Leitner und Johannes Spalt. In der österreichischen Architektur waren das die Beatles der Fünfzigerjahre.

Gebaut hat er selbst nur wenig. Das aber ist markant

Der Moderne wies er den Weg, doch ebenso verteidigte er das Überkommene, Tradierte. Adolf Loos, natürlich: Wiener, zitierte er in diesem Zusammenhang besonders gern: "Veränderungen, die keine Verbesserungen sind, sind Verschlechterungen." Das Bauen nur um des Bauens, aber nicht um der Menschen und Städte willen: Nichts erschien Kurrent närrischer, eitler und überflüssiger.

Gebaut hat er selbst nur wenig. Das aber ist markant. Die Segenskirche in Aschheim bei München, eine reine, innen wie außen lesbare Holzkonstruktion, was heute en vogue wäre, damals, in den Neunzigerjahren, aber noch als Pioniertat gelten musste, erinnert an den Pagodenbau und ist doch nicht nur (protestantischer) Kirchenraum, sondern unverkennbar auch Kirche-Quintessenz und Urhütte in einem.

Sich selbst hat er einmal so beschrieben: "Ich bin nicht nur Kurrent, sondern auch mein eigener Konkurrent. Ein verhinderter Architekt. Denn: Viel ist es nicht, was ich bauen konnte. Nur einige Häuser, Kirchen und dergleichen." Denkräume und dergleichen hat er dafür mannigfach geschaffen - ohne Zahl und ohnegleichen. Letzteres ist ein Wort, das er gemocht hätte, beschreibt es doch Phänomene, die so beschaffen sind, dass sie mit nichts zu vergleichen sind. So ein Phänomen war auch Friedrich Kurrent als Architekt, Lehrer und Raumdeuter.

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