Zum fünften Mal hat eine Jury aus Sprachwissenschaftlern den "Anglizismus des Jahres" gekürt. Nach "leaken" (2010), "Shitstorm" (2011), "Crowdfunding" (2012) und "-gate" (2013) wurde nun "Blackfacing" zum bestimmenden Lehnwort des vergangenen Jahres gewählt. Es bezeichnet "die Darstellung schwarzer Menschen durch (häufig stereotyp) geschminkte Weiße". Im Interview erklärt Anatol Stefanowitsch, Jury-Vorsitzender und Professor für englische Sprachwissenschaft an der Freien Universität Berlin, was Blackfacing gesellschaftlich relevant macht.
SZ.de: Herr Stefanowitsch, was ist Ihr liebster Anglizismus?
Anatol Stefanowitsch: Das werde ich oft gefragt - aber ich habe keinen. Ich freue mich jedes Jahr wieder, neue Begriffe zu entdecken. Faszinierend fand ich dieses Jahr zum Beispiel die Nominierung für den Wortstamm "-shaming", wie in "fat-shaming" oder "sex-shaming".
Wieso?
Das inhaltliche Konzept gibt es auch im Deutschen, aber wir haben keinen Begriff dafür: Mobben trifft es nicht richtig - zumal das ebenfalls ein englisches Lehnwort ist. Beleidigen passt auch nicht. Shaming meint, dass man eine Person dazu bringt, wegen einer bestimmten Sache - beispielsweise ihres Gewicht oder Sexualverhaltens - Scham zu empfinden. Solche Begriffe sind nicht nur sprachwissenschaftlich, sondern auch gesellschaftlich spannend.
In der engeren Auswahl war dieses Jahr auch "Social Freezing", das freiwillige Einfrieren von unbefruchteten Eizellen. Am Ende hat "Blackfacing" das Rennen gemacht. Das müssen Sie erklären.
Stimmt schon, Ende 2014 war "Social Freezing" eines der bestimmenden Themen in der öffentlichen Diskussion. Aber der Hype war kurz - heute redet kaum noch jemand darüber. Wir suchen nicht nach sprachlichen Moden, sondern nach langfristigen Trends. Wir wollen Wörter finden, die sich in den allgemeinen Sprachgebrauch ausbreiten. "Blackfacing" gibt es in der Fachsprache des Theaterfeuilletons seit zehn, 15 Jahren. Aber zuletzt tauchte der Begriff auch in anderen Kontexten auf.
Sie spielen auf die Jim-Knopf-Saalwette bei Wetten, dass ..? an.
Ja, damals im Dezember 2013, ist der Begriff ins breite Bewusstsein gerückt. Und der Bezugsrahmen war nicht mehr Theater, sondern es ging um eine gedankenlose, fast schon karnevaleske Form von Blackfacing. Danach wurde diese Form der Verkleidung auch in anderen Zusammenhängen kritisch hinterfragt: Ist es rassistisch, wenn sich Sternsinger das Gesicht schwarz anmalen? Diese Frage stand bis dato nie zur Diskussion. In den Niederlanden gab es 2014 sogar zwei Gerichtsurteile zum "Zwarte Piet", dem traditionell dunkelhäutigen Helfer des Nikolaus'.
Der Anglizismus des Jahres muss also debattenfähig sein.
Ja. Ein weiteres Kriterium für uns ist: Der Anglizismus sollte eine sprachliche Lücke schließen. Goalkeeper war ein Begriff, der im vergangenen Jahr im Zuge der Fußball-WM populär wurde. Doch dafür gibt es eine deutsche Entsprechung: Torwart. Aber wenn sich jemand das Gesicht schwarz anmalt, um einen dunkelhäutigen Menschen zu veralbern - dafür existiert kein deutsches Wort.