Oper:Wagners dunkles Panoptikum

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Kommen nicht zueinander: Andreas Schager als Tristan und Martina Serafin als Isolde in Calixto Bieitos Inszenierung. (Foto: Michael Pöhn)

Der Wundertenor Andreas Schager brilliert an der Wiener Staatsoper als Tristan mit einer schonungslos realistischen Studie zur Psychopathologie des Liebeslebens.

Von Reinhard J. Brembeck

Zwei Männer rühren in der Wiener Staatsoper alles Unglück der Welt an. Das sind der Musikchef des Hauses, Philippe Jordan, und der Tenor Andreas Schager. Schager ist ein Phänomen. Der 1971 geborene österreichische Sänger hat sich in den letzten zehn Jahren ganz konsequent die langen und megaschwierigen Tenorpartien bei Richard Wagner erarbeitet, der Dirigent Daniel Barenboim war sein Mentor, hat ihn nach Berlin geholt, Schager wird im Sommer in Bayreuth singen. Aber jetzt macht er erst einmal Station an der Wiener Staatsoper in Wagners Liebesunglücksstück "Tristan und Isolde". Und beweist wieder einmal, dass kein Orchester zu laut sein kann, als dass er nicht dennoch darüber hinwegsingen könnte, tonschön und irgendwie ohne sicht- und hörbare Anstrengung.

Schagers Tristan ist ein alternder und gern lachender Draufgänger, ein Überflieger und Alleskönner. Besonders als Kämpfer und Politikberater hat er sich skrupellos hervorgetan, ihm lacht die Welt. Er ist zudem hinreißend sympathisch, wie er da in Cordhose und mit Dufflecoat und offenem Hemd auf der Bühne steht und liegt. Die Herzen aller Menschen fliegen ihm zu. Aber in ihm toben grausige Abgründe, von denen er so gut wie gar nichts ahnt, die ihm aber den entscheidenden Strich durch die Karriere machen werden.

Selbst jubelnde Freude ist immer nur das Sprungbrett in die nächste Psychose

Vor dem Hintergrund des Mordens, Folterns und Vergewaltigens in der Ukraine klingt in Wien der "Tristan" besonders düster, ausweglos und destruktiv. Philippe Jordan macht aus der Partitur die schaurige Asservatenkammer aller unterdrückten Sehnsüchte des Helden Tristan. Die Instrumente spielen dunkel, dunkler, am düstersten, die Klänge sind Albträume, der berühmte Tristan-Akkord, dieses lastende Symbol nicht nur sexueller Unerlöstheit, kennt hier viele ähnlich verquer veranlagte Brüder und Schwestern. Wagners Musik ist ein Panoptikum. Kein Mensch ist zu beneiden, der mit einer derartigen Psyche geschlagen ist, in der wie im Treibsand alle Sicherheiten verrutschen und der selbst jubelnde Freude immer nur das Sprungbrett in die nächste Psychose ist.

Zudem hat Tristan ein Frauenproblem. Isolde ist wohl die erste Frau, die ihm überhaupt etwas näherkommt. Und Martina Serafin muss in Wien schon als sehr heutig selbstbewusste Frau agieren, um den Schönlingsheld, der zudem ihren Lover ermordet hat, handfest für sie zu interessieren. Im ersten Akt knutschen die beiden herum, lange bevor Wagners Partitur die Erlaubnis dazu gibt. Aber da sieht sie in ihrer Verliebtheit die Abgründe in diesem Mann noch nicht, dessen Wesen jenseits der Strahletöne Destruktion ist, die sich immer dezidierter gegen ihn selbst richtet. Tristan ist bei Schager ein grundsätzlich liebesunfähiger Mann, der dann an dieser Liebesunfähigkeit zugrunde geht. Einer, der Isolde zwar unbedingt haben will, aber nur, um sie mit sich in den Tod zu reißen.

Andreas Schagers Tristan hätte sich schon längst in psychiatrische Behandlung begeben müssen. (Foto: Michael Pöhn)

Schagers Tristan ist ein in den Tod verliebter Selbstmörder. Der in Blutgemetzeln erfahrene Regisseur Calixto Bieito lässt ihn schon früh mit einem Messer auf sich selbst losgehen, sodass Schager einen großen Teil des Abends blutverschmiert und taumelnd zubringt. Aber seiner Sängervitalität tut das keinen Abbruch. Dieser Mann schont sich nie, nimmt jede Herausforderung an und hat dann unglaublicherweise auch noch Riesenkräfte, um seine endlosen Todesmonologe im Schlussakt nicht nur durchzuhalten, sondern sie souverän zu gestalten. Gibt es derzeit einen Sänger, der auch nur ansatzweise über eine solche Kraft und Unerschrockenheit verfügt? Nicht auf dieser Welt.

So zeigt Schager den Tristan als Hybrid. Da ist einerseits ein Kraftprotz und Sunny Boy. Aber Schager zerstückelt häufig die Gesangslinien und zeigt schon dadurch, dass das alles nur Show ist, dass dieser Tristan ein zu kleinsten Stückchen zerbrochener Mann ist, den nur noch die Außenhülle als selbstbestimmten Menschen beweist. Dieser Tristan hätte sich schon längst in psychiatrische Behandlung begeben oder in eine Anstalt einweisen müssen, er ist eine Todesgefahr für sich und seine Mitmenschen. Sich von seinen Zwängen und seiner Todesfixiertheit zu lösen, das schafft dieser Mann nicht aus eigener Kraft. Er kann sich nur selbstmorden, er kann nur verwüsten. So ist der Wiener "Tristan" eine Studie zur Psychopathologie des Liebeslebens, aber weit davon entfernt, grundsätzlich etwas über die Liebe zu erzählen.

Erlösung ist hier reines Wunschdenken

Dieses Männerbild aber ist im Moment wieder arg in Mode. Doch Regisseur Bieito, dessen Team zuletzt ausgiebig ausgebuht wird, verweigert jede Anbindung ans Heute. Er erklärt auch in keinem Moment, wie dieser Tristan zu diesem liebesunfähigen Asozialen werden konnte, wie sich hier und grundsätzlich gesellschaftlicher Erfolg und Frauenfeindlichkeit bedingen, warum Zerstörungslust für manche Menschen der einzige Ausweg ist. All das steckt beunruhigend in Wagners "Tristan". Die Wiener Aufführung belässt es dabei, das Finalstadium eines solchen Menschen zu beschreiben, und das ist wegen Andreas Schagers schonungslos realistischer Darstellung schon für sich extrem beunruhigend.

Die Partitur aber beruhigt sich erst nach dem Tod Tristans, nach dem Tod dessen, dem nicht geholfen werden kann. Erst da kann Isolde das einen Akt zuvor von Tristan unterbrochene Liebesduett allein zu Ende bringen, erst ohne den großen Zerstörer findet die Musik ihren Weg zu Erlösung und Befriedigung. Das aber wirkt in Wien aufgesetzt utopisch. Auch weil der lange Abend davor und die momentane Wirklichkeit eine solche Erlösung als reines Wunschdenken brandmarken.

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