Alben der Woche:Jetzt ist er auch noch aufs Land gezogen

Ron Sexsmith schreibt neue Stücke fürs Great American Songbook, "Radiohead"-Gitarrist Ed O'Brien erholt sich vom Coronavirus. Und Lido Pimienta läutet den Frühling ein.

Ed O'Brien - "Earth" (Capitol/Universal)

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(Foto: dpa)

Okay, bringen wir ihn hinter uns, den Satz mit dem bösen C-Wort. Danach sprechen wir wirklich nur noch über Musik, versprochen! Ja, auch Radiohead-Gitarrist Ed O'Brien hat sich vermutlich mit dem Coronavirus angesteckt, erholt sich aber scheinbar gut davon und gibt schon wieder muntere Interviews am Telefon. Anlass dafür ist "Earth" (Capitol/Universal), das erste Soloalbum, das unter dem Künstlernamen EOB erscheint und zwischen Indierock, akustischem Folk und stoisch programmierten Elektro-Grooves schlingert. Es gibt mal mehr und weniger überraschende Momente: Naheliegend ist etwa die Folk-Sängerin Laura Marling als Duettpartnerin für die Stimmung zwischen keltischer Kühle und jener sphärischen Intimität, die man in den letzten Jahren am ehesten vom britischen Produzenten Jon Hopkins kennt. Unerwarteter Referenzpunkt für O'Briens Grundidee - die Verbindung von Akustikgitarre und elektronischen Beats - ist dagegen "Screamadelica", Primal Screams einflussreiches Indie-Rave-Album aus dem Jahr 1991. Vor allem aber bestätigt sich, was Radiohead-Kenner schon lange ahnen: Der beste Songwriter ist Ed O'Brien vielleicht nicht, aber ein unterschätzter Meister der Texturen und des freiassoziierten Gitarrenspiels allemal.

Lido Pimienta - "Miss Colombia" (Anti)

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(Foto: Label)

Unbedingt empfohlen sei das neue Album von Lido Pimienta: Nach dem recht üppigen Synthie-Cumbia-Pop ihrer ersten beiden Alben, nähert sich die queere Popkünstlerin auf "Miss Colombia" (Anti) den afro-lateinamerikanische Wurzeln ihrer Musik an. Wir hören Cumbia-Rhythmen und traditionellen Bullerengue-Gesang, kolumbianischen Trommeln und Holzbläser eingebettet in modernen, nie überladenen Arrangements. Es sind mal heitere, mal melancholische, aber immer sonnige Songs, die den Finger thematisch aber tief in eine Wunde legen: Pimienta singt mit leuchtender, leicht kehliger Sopranstimme über die zynische, sexistische Gesellschaft ihrer Heimat, über die generationsübergreifenden Zyklen aus Schönheitskult und Gewalt gegen Frauen, über ihre kulturelle Verstrickung, trotz aller Abscheu. Am schönsten klingt das in "Te quería", einem Cumbia-Popsong in karibisch-kammermusikalischem Rahmen - Tanzrhythmus, Steel Drums, Klarinetten -, der auf eine zarte Weise ansteckend und herrlich frühlingshaft ist.

Shabazz Palaces - "The Don Of Diamond Dreams" (SubPop)

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(Foto: Label)

Auch schon wieder mehr als zehn Jahre ist das her, dass Ishmael Butler Shabazz Palaces gründete, jenes Musikprojekt, das den Hip-Hop der letzten Dekade in seine vielleicht abgelegensten Gefilde trieb. Die Platten des Duos aus Seattle sind immer abstrakt-futuristisch Cyperpunk-Opern. So auch die neue Platte "The Don Of Diamond Dreams" (SubPop), der sie dankenswerterweise keine komplett verspulte Hintergrundgeschichte in einem dystopischen Paralleluniversum übergestülpt haben wie beim letzten Mal. Diesmal machen sie einfach wieder, was sie am besten können: frei assoziieren in den lässigen Songstrukturen, die spontan improvisiert und zugleich kühl und präzise klingen und in denen es so düster zu funkeln scheint wie im Weltall. Die Jazz-Ornamente sitzen, genauso wie die Erkundungen von Trap- und Emo-Rap-Stile der jüngeren Hip-Hop-Generation. Und Ishmael Butler watet in seinen Raps durch bizarre, alltagsphilosophische und sozioökonomische Untiefen. Für Hip-Hop-Verhältnisse ist das auch nach zehn Jahren immer noch ein ziemlich guter Trip.

Ron Sexsmith - "Hermitage" (Cooking Vinyl)

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(Foto: dpa)

Ron Sexsmith sieht aus wie ein rotweinwampiger Student der neueren und neuesten amerikanischen Literatur, der denkt, er könne, ließe er sich die Locken nur noch etwas länger wachsen, aussehen wie Adam Green. Er hat eine Stimme, die immer so klingt, als würde sie nach langer Erkältung im Mondschein eine viel zu schöne Frau annölen, genau einen Gesichtsausdruck und jetzt ist er auch noch aufs Land gezogen. Der Kanadier ist im Kabinett jener Figuren, die im Pop als Interpreten Erfolg haben können, also eine grandiose Leerstelle. Seine Platten verkaufen sich jämmerlich, dafür nimmt aber hin und wieder ein berühmter Mensch einen Song von ihm auf. Sexsmith ist nämlich ein famoser (manche sagen sogar: ein begnadeter) Komponist. Einer, dessen Songs im ersten Moment klingen, als kenne man sie alle, und das aber eigentlich nur, weil sie eine Allgemeingültigkeit haben, die sie einzigartig macht. Material fürs Great American Songbook. Und wenn dieser inzwischen auch schon 56-jährige Mann sich jetzt auf "Hermitage" (Cooking Vinyl) dem Titel entsprechend der Einsiedelei widmet, dann kann das selbstverständlich nur das flauschigste Cocooning-Werk mindestens der Corona-Krise werden. Vermutlich des ganzen Jahres. Noch wahrscheinlicher aber seit immer.

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(Foto: dpa)

Okay, wie ein rotweinwampiger Student der neueren und neuesten amerikanischen Literatur, der auf dem Landanwesen auch noch eine rosafarbene Federboa trägt: Ron Sexsmith.

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