Alben der Woche:Boykottieren? Ignorieren?

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Eric Clapton, inzwischen Typ pensionierter Erdkundelehrer, hat ein recht entspanntes neues Album - und sehr unentspannte Pandemie-Ansichten. (Foto: Dave Tree)

Wenn Eric Clapton doch mit den Corona-Regeln so entspannt umginge, wie mit seinen Songs. Dazu großartig Neues von Courtney Barnett, Damon Albarn und Dave Gahan.

(Foto: N/A)

Damon Albarn - "The Nearer The Fountain, More Pure The Stream Flows" (Transgressive Records)

Und siehe, es kam der Tag, da Damon Albarn sich in eine Scheune setzte, um nach dem reinen Klang zu suchen, und er sah, es war gut. Leicht verkürzt gesagt. Tatsächlich hat sich der rastlose Mann nach all seinen Projekten ( Blur! Gorillaz! Opern!) im englischen Hinterland eine Scheune zum Studio umgebaut, und da entstand das Album "The Nearer The Fountain, More Pure The Stream Flows" (Transgressive Records). "Ich war auf meiner eigenen dunklen Reise", sagt er, "und das brachte mich zu der Überzeugung, dass es vielleicht noch eine reine Quelle gibt." Was auch immer das heißen mag. Quellensuche also: zarte, verhaltene Songs, viel Tasten, Probieren. Akkorde und Töne, die in der Luft hängen bleiben dürfen, innere Einkehr, an der Grenze zur Meditation. Manches kennt man von Albarn, den Solo-Entertainer mit dem billigen Rhythmusgerät deutet er ein paarmal an, in "Royal Morning Blue" gibt's tatsächlich eine Art Blur-Refrain. Aber am besten sind die Songs, die kaum Song werden, in der Schwebe bleiben, Versuche, Cirruswolken. In Songs wie "The Cormorant" gibt Albarn den ganz späten Bowie, "Blackstar"-Phase, mit brechender Stimme. Und zu Ende geht es dann mit dem Lied "Particles", das klingt, als hätte der Suchende sich so weit von allen Quellen entfernt wie nur möglich. Er steigt auf, schwebt ins Nichts, ein paar letzte leise Töne singend. Schön. Max Fellmann

(Foto: N/A)

Courtney Barnett - "Things Take Time, Take Time" (Marathon Artists)

Die Australierin Courtney Barnett ist eine Meisterin unaufgeregter Miniaturen. In ihren Alternative-/Folkrock-Songs besingt sie weniger die epischen Liebesdramen, eher die Nickligkeiten im Alltag, weniger die großen Krisen, eher die ratlosen Momente zwischendurch. Immer noch unschlagbar: der Titel ihres Debütalbums von 2015, "Sometimes I Sit and Think, and Sometimes I Just Sit". Das neue, dritte heißt nun "Things Take Time, Take Time" (Marathon Artists). Und tatsächlich: Ein bisschen Zeit braucht's. Wer gerade schlechte Laune hat, könnte monieren, dass das schon alles etwas zäh dahinfließt. Wenig Höhen oder Tiefen, immer ungefähr mittelschnell, mittellaut, dazu Gesang, der gern mal an Dusche erinnert. Aber die Songs entwickeln nach und nach einen eigenen Drive, Schrammelgitarre und Leiergesang erinnern im besten Sinne an Lou Reed. Und die richtig schönen Momente, etwa die Kopf-hoch-Beschwörung "Take It Day By Day", machen gute Laune und lassen einen an die sonnigen Selbsthilfesongs von Jonathan Richman denken. Musik, mit der man gut aufräumen kann - sowohl im Wohnzimmer wie im Leben. Max Fellmann

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Meskerem Mees - "Julius" (Mayway Records/Sony)

Und nach dem Aufräumen dann ist es Zeit für eine Entdeckung: Die Belgierin Meskerem Mees singt Folksongs, die von frühlingszart bis herbstmelancholisch alles können. So frisch und kristallklar, als wäre das Genre gerade erst erfunden worden. Ganz allein, eine Stimme, eine Gitarre, ab und zu spielt mal eine Freundin ein wenig Cello dazu. Und bitte, wozu denn mehr? Wer traut sich denn so was heute überhaupt noch? Zur Feier des Debütalbums "Julius" (Mayway Records/Sony) vergleicht ihre Plattenfirma sie gleich mal stolz mit Nina Simone (falsche Fährte, sie sieht ihr höchstens etwas ähnlich) und Joni Mitchell (falsche Fährte, Mees' Lieder sind viel leichter, luftiger, heller als Mitchells Schwermütereien). Aber stimmt ja, sie kann es mit den Großen aufnehmen. Musik, zu der man allerfeinsten Tee trinken möchte. Max Fellmann

Dave Gahan & Soulsavers - "Imposter" (Columbia/ Sony Music)

(Foto: N/A)

Faszinierender Effekt, den Dave Gahan zusammen mit dem Soulsavers auf "Imposter" hinbekommt, und der die seltsam kleine Idee vom Cover-Album erstaunlich groß werden lässt: Gahan entfernt sich oft gar nicht sonderlich weit vom Ausgangsmaterial, wenn er "I Held My Baby Last Night" von Jules Bihari und Elmore James interpretiert, Neil Youngs "A Man Needs a Maid" oder "Smile" von Charlie Chaplin. Wenn er "Metal Heart" von der fantastischen Cat Power singt oder PJ Harveys "The Desperate Kingdom of Love". Wenn er sich ans unendlich schöne, sehr zerbrechliche "Lilac Wine" wagt und ganz zum Schluss, als seien die Originale bis hierhin nicht ehrfurchtgebietend genug, auch noch an Bob Dylans "Not Dark Yet" und "Always On My Mind" (Elvis, Wille Nelson, Pet Shop Boys). Ein paar Sachen bläht die Band etwas auf, Hammondorgel-satt, große Chöre, muskulöse Drums, fräsende, fiese E-Gitarren. Aber eigentlich dominiert die Hochachtung. Gahan ist keiner, der die Stücke attackiert, erobert, unterwirft. Er erneuert nichts und pflanzt noch weniger um. Die Referenz ist immer da, gehegt, gepflegt, geliebt. Und doch könnte alles auch von ihm selbst sein. Als würde er einfach hineinschlüpfen in die Musik, sich in die Arrangements einwickeln wie in einen flauschigen Pelz. Großer, schlauer Songbewohner. Jakob Biazza

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Eric Clapton - "The Lady in the Balcony: Lockdown Sessions" (Universal Music)

Tja, und was machen wir jetzt mit Eric Clapton? Der hat sich ja leider zum Vollquerdenker entwickelt, singt Corona-Protestsongs, will bei Konzerten keine Pandemieregelungen zulassen. Schwierig. Also boykottieren? Ignorieren? Andererseits: Lemmy hat Nazi-Memorabilia gesammelt, Bryan Ferry liebt die Fuchsjagd, und überhaupt... kürzen wir mal ab. Clapton hat also einen Auftritt in der Royal Albert Hall gestrichen und stattdessen mit seiner Band ein Wohnzimmer-Konzert nur für die Kamera gegeben. Auf der DVD "The Lady in the Balcony: Lockdown Sessions" spielt er sich durch Hits und Blues-Klassiker, "After Midnight", "Rock Me Baby", "Layla", "Got My Mojo Working" - geschmackvoll, gemütlich, durchaus auch betulich. Muss man nicht dringend gesehen haben, aber: Es ist schön, seine alten Haudegen bei der Arbeit zu beobachten. Den großen Schlagzeuger Steve Gadd, der locker ein Feuerwerk veranstalten könnte, aber die Trommeln nur mit den Fingern spielt, ganz zart. Nathan East, der mit dem E-Bass Atome spalten könnte, hier aber nur sachte den Kontrabass knurren lässt. Und auch Clapton selbst, inzwischen Typ pensionierter Erdkundelehrer mit Strickweste, macht einen vergleichsweise entspannten Eindruck. Wäre ihm halt zu wünschen, dass er so entspannt auch mit Corona-Regelungen und Impfungen umgehen könnte. Max Fellmann

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