Die unternehmerische Vernunft setzte beim Musikmanager Alan McGee immer spätestens dann aus, restlos und nachhaltig, wenn einer seiner alten Helden um die Ecke kam. In diesem Fall, Anfang 1999, war es Kevin Rowland, ein verdienstvoller, aber schon reichlich verblasster Charakter des britischen Pop. Den Welthit "Come On Eileen" hatte Rowland 1982 für seine Band Dexys Midnight Runners gesungen und mitgeschrieben. In den folgenden 17 Jahren war jedoch nicht mehr viel passiert. Rowland hatte eine stark depressive Phase durchlebt, kam gerade aus der Entzugsklinik. Jetzt wollte er neue Musik veröffentlichen.
Alan McGee, gebürtiger Schotte aus East Kilbride, damals 38 Jahre alt und dank seines Plattenlabels Creation Records längst zum Millionär geworden, hatte schon gehört, was für ein unberechenbarer, narzisstischer Mann der Altstar sei. Er wollte aber unbedingt, dass Rowlands Comeback-Album bei Creation herauskommen sollte, setzte ihm im Vertrag keinerlei Bedingungen. Trotzdem krachte es bald zwischen den beiden. McGee musste einen Kollegen zur Betreuung einsetzen. Das fertige Album "My Beauty" bestand dann aus elf orchestrierten Nightclub-Coverversionen klassischer Balladen. Und sollte laut Wunsch des Künstlers in einem Cover stecken, das ihn halbnackt in Straps und Seide zeigte. 1999 war so etwas noch ein Grund zur Erregung.
McGee nahm die Flucht nach vorn. Druckte 10 000 Plakate mit dem Travestie-Motiv, ließ sie in ganz London gezielt an gefährlichen Kreuzungen aufhängen, um Autounfälle zu provozieren. Die erste Single verfehlte die Charts komplett. Das Album "My Beauty" verkaufte sich in Großbritannien zunächst nur 700-mal, einer der größten Flops seiner Firmengeschichte.
Und das widersprach Alan McGees Philosophie aufs Tiefste. So krude, impulsiv und kleinjungenhaft viele seiner Entscheidungen auch wirkten - für ihn stand jederzeit ebenso fest, dass es ihm nicht um Underground oder Kulturauftrag ging, sondern um Kapital. "Lieber cool als berühmt zu sein, ist eine typische Glasgow-Geschichte", schreibt er in seiner Autobiografie, als bissigen Kommentar zur Indie-Rock-Szene seiner Heimat. "Ich habe nie damit hinter dem Berg gehalten, dass ich lieber groß als cool sein wollte."
Seinen Namen kennen wenige, dafür den einer Band, die er entdeckte: "Oasis"
"Randale, Raves und Ruhm: Storys eines Labelmachers" heißt das Buch, das nun auch auf Deutsch erschienen ist. Mit dem Namen McGee können hier wohl nur Insider etwas anfangen. Viele andere kennen zumindest die Band, die er 1993 entdeckte und die sein wirtschaftlicher Volltreffer wurde: Oasis aus Manchester, das durch und durch traumhafte Mittelding zwischen nostalgischem Rock'n'Roll-Aufruhr und der Post-Revolutions-Lethargie der 90er, zwischen maskuliner Jungsromantik und einem Stilbewusstsein, das durchaus androgyne Züge hatte.
Bis zu ihrer Trennung 2009 verkauften Oasis mehr als 75 Millionen Platten, schon in den 90ern waren sie für den Plattenboss Alan McGee plötzlich das probate Druckmittel, um in Verhandlungen seine Interessen durchzusetzen. 1999, kurz nach der Pleite mit Kevin Rowland, aber nicht dadurch ausgelöst, verkaufte er seine restlichen Creation-Firmenanteile an Sony. Der Umstand, dass zur selben Zeit der endgültige Niedergang der Tonträgerbranche einsetzte, macht ihn gewissermaßen zu einem der letzten großen Helden dieser Ära.
So liest sich dann auch sein Bericht. Der schottische Autoschlossersohn, als Kind geprügelt und kaum gefördert, geht nach London, taucht dort in die Post-Punkszene der frühen 80er-Jahre ein. Wie sich unter den Protagonistinnen und Protagonisten hier die widersprüchlichen Tendenzen miteinander kreuzen, der absolute moralische Nihilismus und das allerhöchst motivierte Selbermachen von Partys, Magazinen, Design und Musik, wie mitten im Chaos ein spezieller Raum entsteht, der in Folge auch Kunst, Literatur und Film beeinflussen wird, von Damien Hirst bis "Trainspotting" - das ist an sich ein rasend interessantes Stück Kulturgeschichte. McGee selbst reflektiert und erhellt diese Reibungen und Paradoxe allerdings kaum, was schlicht an seiner systemimmanenten Perspektive liegen könnte. Man muss sich beim Lesen also oft erst durch einen Wust an Drogen- und Schlägereiepisoden kämpfen, bis man auf eine Erkenntnis stößt.
Im Koks-High erlaubte er seinen Bands auch die maßlosesten Dinge
"Es war eigentlich eine einzige große Party, die von 1989 bis 1995 dauerte", schreibt McGee an einer Stelle über den Arbeitsalltag bei der Plattenfirma. Irgendwann beginnt man sich dann auch tatsächlich zu wundern, wie er in diesem ständigen Dämmerzustand fähig gewesen sein soll, neben den notorischen Oasis über die Jahre eine Reihe künstlerisch und ästhetisch äußerst stilprägender Bands zu finden und öffentlich zu machen: Primal Scream, My Bloody Valentine, The Jesus and Mary Chain, Ride, Teenage Fanclub und andere. Alan McGees kulturelle Verdienste sind gewaltig. Mit seinem ausgebildeten musikalischen Sachverstand hatte dies allerdings weniger zu tun, wenn man seinem Text glaubt. Eher damit, dass er im Koks-High seinen Leuten auch die maßlosesten Dinge erlaubte. Die Abwesenheit von Zeit-, Geld- und Freiheitsdruck können der Kunst unter Umständen ja ausgesprochen guttun.
Ein bemerkenswertes Detail ist dabei McGees Haltung zur Tory-Politik der 80er-Jahre, zum Neoliberalismus Thatcher'scher Prägung, der unter den britischen Künstlern der Zeit fast durchweg verhasst war. Einen Kredit über 1000 Pfund aus einem Förderprogramm für Jungunternehmer, das die Regierung installiert hat, nimmt er dankbar für die Creation-Firmengründung an, lobt explizit die Idee dahinter. Das macht ihn nicht gleich zum Thatcheristen, steht aber trotzdem für eine warnblinkende ideologische Leerstelle im Pop-Entwurf der 90er-Jahre. Wer idealistisch denkt und handelt, so wie viele der ökonomisch wenig ambitionierteren Indie-Firmen, gilt in diesem Ökotop latent als Schwächling. Die Union-Jack-Fahnen, die bald auf der Gitarre von Noel Gallagher und dem Kleid von Spice-Girls-Mitglied Geri Halliwell auftauchten, lagen da nicht mehr allzu fern.
"Randale, Raves und Ruhm" ist immerhin ehrlich genug, um auch solche Einblicke zuzulassen. Eine Story, die insgesamt so wenig inneren Monolog besitzt wie die von Alan McGee, ist in einem Film aber womöglich besser aufgehoben. Auch den gibt es übrigens schon: "Creation Stories", das Biopic, an dessen Drehbuch "Trainspotting"-Autor Irvine Welsh mitgeschrieben hat, ist kürzlich in Großbritannien gestartet und wird sicher auch nach Deutschland kommen. Wohl nur in kleinere Indie-Kinos. Alan McGee wäre nicht begeistert, wenn er das wüsste.