60 Jahre Deutsche Journalistenschule:Wie lautet das Zauberwort?

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Elite, ohne sich elitär zu geben: Die Deutsche Journalistenschule wird heute 60 Jahre alt. Von der Lust der Journalistenschüler, sich bestens ausbilden zu lassen.

Holger Gertz

"Früher war der Journalismus besser", sagen manchmal ältere oder auch nur mittelalte Journalisten, und sie meinen damit: Früher waren die Gedanken klarer, die Einstiege griffiger, früher waren die Texte wertvoller. Der Nachwuchs kommt ihnen vor wie eine Generation, die durch den Konsum von YouTube-Schnipseln und 100-Sekunden-Schnellnachrichten verhunzt worden ist. Wer dauernd SMS schreibt, kriegt irgendwann einen SMS-Daumen, ist aber nicht fähig, einen anständigen Leitartikel zu verfassen.

Die erste Lehrredaktion von 1949 auf dem Münchner Oktoberfest. Ihr gehörten unter anderem Dieter Schröder und Udo Flade an, beide später Chefredakteure. Der eine bei derSüddeutschen Zeitung, der andere bei derAbendzeitung. (Foto: Foto: J. A. Cropp)

Der allgemeine Kulturpessimismus wird gern genährt durch einen strengen Blick auf die Jungjournalisten, deren Köpfe angeblich so nachlässig aufgeräumt sind wie die Sprachbaukästen, aus denen sie sich bedienen.

Die Deutsche Journalistenschule in München, kurz DJS, bildet seit sechzig Jahren Journalisten aus für Print, Radio, Fernsehen und inzwischen Online. Heute hat sie Geburtstag, bei der Feier im Prinzregententheater wird auch die Kanzlerin eine Rede halten. Natürlich ist es ein großes Glück für einen Jungjournalisten, an dieser Schule aufgenommen zu werden, die Plätze sind knapp und entsprechend begehrt.

Vielleicht ist es aber ein noch größeres Glück für einen allmählich älter werdenden und für Kulturpessimismus zunehmend empfänglichen Journalisten, an seiner ehemaligen Schule später als Dozent arbeiten zu dürfen. Er kann den Jungjournalisten etwas beizubringen versuchen. Vor allem kann er von den Jungjournalisten lernen. Er muss nur die Texte lesen, die sie schreiben in so einem Kurs. Früher war der Journalismus besser? Ach was. Wer verzweifelt die Vergangenheit beschwört, verklärt doch vor allem sich selbst.

Bevor man als Schüler an die DJS darf, muss man sich einem fordernden Auswahlverfahren stellen. Wer es schafft, gehört zu den Handverlesenen, 45 pro Jahrgang. Die handverlesenen Gestalten, die dann vor einem sitzen, sind sich ähnlich, was das Talent angeht, darüberhinaus sind sie ausgesprochen unterschiedlich. Coole Dreitagebartträger und solche, die einfach nur schlecht rasiert aussehen, wenn sie schlecht rasiert sind. Erfreulich wenig Großkotze. Grunge-Mädchen und junge Frauen, die sich interessante Mützen aufsetzen, wenn sie nach dem Kurs das Schulgebäude verlassen.

Viele von ihnen haben ein Studium bereits abgeschlossen, das mit Journalismus gar nichts zu tun hat. Juristen und Psychologen und oft auch sympathisch zerstrubbelte Alltagsphilosophen sitzen in so einer Klasse, Experten des eigenen Lebens, manche sind als Blogger im Web unterwegs, haben aber trotzdem den gesamten Thomas Mann gelesen. Auch das lernt man als Dozent an so einer Schule: Welcher Blödsinn es ist, jemandem das Interesse am gedruckten Klassiker abzusprechen, nur weil der regelmäßig durch die Netzwelten surft.

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Manches ist anders geworden, vieles ist gleich geblieben: Die Freude daran, den richtigen Begriff zu finden. Der Respekt vor dem geschriebenen Wort. Es ist ein erstaunlich belastbares Gefühl für Sprache, das viele dieser Schüler leitet, vielleicht angeboren, vielleicht an der DJS erst geweckt. Auf jeden Fall sagt ihnen ihr Gefühl, dass ein guter Text nicht schwülstig ist, sondern präzise. Dass das richtige Wort nicht richtig ist, weil es schön klingt, sondern weil es mitteilt, was mitgeteilt werden soll.

Redigieren ist ein schmerzhafter Prozess

"Und die Welt hebt an zu singen, triffst du nur das Zauberwort." Ein schöner Satz, von Eichendorff. Darum geht es ja auch beim erzählenden Schreiben, um dieses Zauberwort. Einen Text zu verfassen ist eine Qual, ihn der Betrachtung durch Kritiker preiszugeben erfordert Mut. In der DJS ist es so, dass Schüler und Dozent sämtliche Texte durchsprechen - ein bisschen wie beim Literaturwettbewerb in Klagenfurt, allerdings nicht so gockelhaft selbstdarstellerisch, weil das Ganze ja nicht bei 3sat live übertragen wird.

Sich redigieren zu lassen, im so verschlossenen wie öffentlichen Raum einer Klasse, ist ein schmerzhafter, intimer, immer lehrreicher Prozess. Manchmal entstehen dichte Momente: Wenn einer das Zauberwort findet und die Zerrissenheit eines Menschen so schildert, dass alle anderen, Mitschüler und Dozent, für einen Moment ganz still sind und dem Wort oder der Passage hinterherhören und schon in dem Augenblick wissen, dass sie das, was sie gerade gelesen haben, so schnell nicht vergessen werden und vielleicht nie mehr.

Nicht alles, was in so einem DJS-Reportagekurs entsteht, könnte man drucken, aber vieles ist lesbar, brauchbar. Und in jedem Kurs sitzen zwei, drei Kandidaten, die vom schleichenden Gift des Zynismus noch so wenig lahmgelegt sind, dass sie Themen finden und Reportagen zustande bringen, die man selbst gern so geschrieben hätte. Und die ein Beleg dafür sind, dass man nicht nach Burkina Faso fliegen muss für eine Geschichte, die dem Leser etwas bedeutet. Manchmal reicht es, eine uralte Frau nebenan zu besuchen, die den Versprechungen der Werbeprospekte glaubt und jahrelang auf den Glücksboten wartet, für den sie immer ein Stück Kuchen bereithält. Oder einen Regensburger Schuster, der die Sehnsucht nach Entschleunigung erfüllt: "Der erste Schuh des Tages ist ein zarter Damenslipper aus lila Netzstoff, den der Schuster eine Weile durch die schlierige Hornbrille beschaut, bevor er mit der Zange den kaputten Absatz abreißt."

Berührt von der Krise

Verglichen mit anderen Ländern hat der Journalismus, auch der erzählende, in Deutschland immer noch ein beachtliches Niveau. Die Journalistenschulen, besonders die Nannen-Schule in Hamburg und die DJS in München, haben ihren Anteil daran. Natürlich werden die Absolventen berührt von der Krise, feste Jobs konnte man früher leichter ergattern, aber man begegnet denen oft wieder, die man mal in einem Kurs hatte, man liest von ihnen oder hört von ihnen in den Wortprogrammen der Radiosender.

Einige werden Stars und kriegen Preise, viele sind erfahrener und hartnäckiger beim Verkaufen eigener Texte als die Schüler aus früheren Generationen. Journalistenschüler sind heute Krisen-Kinder, pragmatisch, bestens ausgebildet, die wissen, dass nichts mehr wie von selbst geht in diesem Beruf. Sie entwickeln eine Haltung, die sich in ihren Arbeiten spiegelt. Wer ahnt, welche Lebenskrisen ihm selbst noch bevorstehen könnten, nähert sich in einer Reportage seiner bereits in einer Lebenskrise steckenden Hauptperson eher mit Wertschätzung als mit Herablassung.

Sechzig Jahre DJS. Vor knapp zwanzig Jahren roch es dort schon so, wie es noch immer riecht. Man kennt das von Jahrgangstreffen am Gymnasium: Schulen verändern ihren Geruch ja nie. Das Gebäude, in dem die Schule untergebracht ist, passt zur Philosophie der DJS, die eine Elite ausbildet, ohne sich elitär zu geben. Ein schmaler Hinterhofkasten mit einem Flachbau davor. Neulich schien das Haus zu vibrieren während eines Kurses, aber das lag nur daran, dass ein paar Meter weiter Teile des alten SZ-Gebäudes niedergerissen wurden. Vieles hat sich verändert im Journalismus, vieles ist schwieriger geworden, und wie es weitergeht, weiß natürlich wieder kein Mensch. Aber an der DJS casten sie, bilden sie aus, machen sie fit für den Wettbewerb. An der DJS halten sie durch. Wenn man so will, ist die DJS auch eine Trutzburg. Und Trutzburg ist fast schon ein Zauberwort, in diesen Zeiten.

Der Autor, Absolvent des 30. Jahrgangs, unterrichtet seit zehn Jahren an der DJS im Fach Zeitungsreportage.

© SZ vom 29.6.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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