40 Jahre "The Joy of Sex":Das liest jeder

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Vor 40 Jahren erschien "The Joy of Sex". Jeder ahnt, wie man sich nach vier Dekaden fühlt: ein bisschen vergilbt und ein bisschen ranzig. Der Weltbestseller wirkt in Zeiten des Internets recht lächerlich und ist doch neben dem Kamasutra das bis heute wohl bekannteste Buch zum Thema. Nun gibt es einen legitimen Nachfolger.

Martin Zips

Bestseller "The Joy of Sex" von Alex Comfort (Foto: picture alliance / The Advertisi)

Nur einen Cent kostet dieses alte Buch heute, wenn man es gebraucht im Internet erwirbt. Einen lächerlichen Cent für ein lächerliches Buch. Überhaupt: Das Internet! Was hätte man in den 1980er Jahren dafür gegeben, sich über diese und jene Peinlichkeit heimlich im Internet informieren zu können, statt sie im örtlichen Bahnhofsbuchhandel für viel Taschengeld gedruckt erwerben zu müssen, während hinter einem der Mathelehrer für eine Packung "Ernte 23" anstand. Daheim wiederum ging der Heranwachsende davon aus, dass das Versteck einer solchen Lektüre allein ihm bekannt ist - während die gesamte Familie in ihrer unglaublichen Hinterlistigkeit längst davon wusste.

Wie entlarvend, wie demütigend, wie lächerlich das Leben sein kann.

Dieser Tage wird "The Joy of Sex", neben dem Kamasutra das bis heute wohl bekannteste Handbuch zu einem altbekannten Thema, 40 Jahre alt. Jeder ahnt, wie man sich nach vier Dekaden fühlt. Ein bisschen vergilbt, ein bisschen ranzig, kaum mehr wert als einen Cent. Zehn Millionen Exemplare wurden von "The Joy of Sex" verkauft, ein Weltbestseller, der allein für Erwachsene gedacht war, wegen seiner überaus expliziten Zeichnungen aber seinerzeit gerne auch im Jungpfadfinder-Zeltlager weitergereicht wurde - und, nein, die Leiter wussten nichts davon.

Auf mehr als 80 Zeichnungen, die von dem britischen Illustrator Chris Foss stammen, konnte hier ein Pärchen bei diversen Übungen betrachtet werden. "Eigentlich hatten wir auf Anregung des Art-Directors Leute aus dem Londoner Rotlichtbezirk Soho als Foto-Models angeworben, aber die verlangten während ihrer Arbeit immer mehr Geld von uns", erinnert sich Foss. "Glücklicherweise sprangen später mein Freund und Kollege Charles und dessen deutsche Ehefrau Edeltraud ein." Foss machte mit ihnen die Fotos, die ihm später am Zeichentisch als Vorlage dienten.

In den frühen 70er Jahren also arbeiteten Charles und Edeltraud die vom Buchautor, einem britischen Arzt namens Alex Comfort, vorgegebene Stellungsliste brav ab. Aus Angst vor beruflichen und gesellschaftlichen Nachteilen im seinerzeit noch sehr puritanischen Königreich behauptet Comfort (1920-2000) im Vorwort, er stütze sich in seinem Werk auf intime Protokolle eines anonymen Paares - sei an der ganzen Sache also eher wissenschaftlich interessiert. Homosexualität und andere Spielarten werden von ihm auf den folgenden, mehr als 250 Seiten sogar völlig unter den Tisch gekehrt. Viel zu heiß.

Das Liebespärchen ist nicht nur schlanker

"Ich hatte für die Fotos mit Charles und Edeltraud nur zwei Tage Zeit", erinnert sich der auf Guernsey lebende, rundliche, langhaarige Zeichner Chris Foss, 66. "Weil in London gerade die Minenarbeiter streikten, hatten wir nur stundenweise Strom. Ständig fiel das Licht aus, und wir mussten unsere Arbeit unterbrechen."

Mehr als zehn Jahre lang stand "The Joy of Sex" später auf der Bestsellerliste der New York Times. Da das Werk gemeinhin nicht als pornographisch eingestuft wurde, tauchte es auch in öffentlichen Bibliotheken auf. Neuere, optisch grundlegend überarbeitete Versionen des Buches, verzichten auf Foss' offenherzige Illustrationen. In der aktuellen Ausgabe finden sich vor allem weichgezeichnete Farbfotografien, das Liebespärchen ist nicht nur schlanker als Charles und Edeltraud, es liebt sich auch deutlich dezenter und wesentlich weniger haarig.

Vor wenigen Tagen erst - Foss hält das für eine kleine Sensation - hat er gut 20 alte Originalzeichnungen in einer Kiste wiedergefunden. "Die werde ich nun wohl verkaufen, wie ich es mit anderen Bildern aus dem Buch schon in den Siebzigerjahren Jahren getan habe." Ob sich für so etwas heute noch ein Käufer findet? Und was ist eigentlich aus Charles und Edeltraud geworden? "Es ist 15 Jahre her, dass wir zum letzten Mal miteinander telefoniert haben", sagt Foss, der auch Kulissen für Stanley Kubrick gezeichnet hat oder für Filmprojekte wie "Dune" oder "Superman". Beim letzten Telefonat seien Charles und Edeltraud noch miteinander verheiratet gewesen. Die beiden hätten geklagt, dass sie immer wieder gefragt würden, wie man sich denn so fühlt, als Held der sexuellen Revolution. "Wenn ich ehrlich wäre", habe ihm Edeltraud geantwortet, "dann würde ich sagen: Ich mag mich einfach nicht mehr an all das erinnern."

Der Werbetexter einer Telefonfirma, erinnert sich Foss, habe vor einiger Zeit mal den Slogan "The Joy of Text" erfunden. "Das Doppeldeutige daran hat aber schon damals niemand mehr kapiert."

Und heute, welches Buch ist heute seiner Meinung nach der legitime Nachfolger von "The Joy of Sex"? Foss fällt eigentlich nur "50 Shades of Grey" ein. "Auf diesem Gebiet kenne ich mich aber wirklich nicht aus." Seit Jahren verdient er fast nur noch mit Science-Fiction-Motiven sein Geld, er illustriert Texte von Isaac Asimov, Frederick Forsyth oder die Perry-Rhodan-Reihe. Von dem Buch "Make Love" hat er noch nie etwas gehört.

Von dieser erst kürzlich erschienenen, von der Kritik hochgelobten deutschen Aufklärungslektüre wurden bisher 80.000 Exemplare verkauft - das Buch ist auf dem Weg, ein neuer Weltbestseller zu werden. Bald schon werde es in Südkorea, Spanien und Holland erscheinen, erzählt der Berliner Verleger Till Tolkemitt. Mit den USA, England und Irland laufen bereits Verhandlungen, und auch aus Frankreich liegt ein Angebot vor. "Was die von uns verwendeten Fotos angeht, ist das übrigens ganz interessant", sagt Tolkemitt. "Die Amerikaner sagen nämlich: Da sieht man zu viele Weiße beim Sex. Wir brauchen mehr Schwarze, Asiaten und Latinos. Die Engländer wiederum finden es störend, dass viele unserer Paare rasierte Genitalien haben. Da haben wir denen erklärt: Unsere Fotografin hat die alle nach dem Zufallsprinzip auf der Straße angesprochen, in Berlin machte gut jedes zweite Paar mit - und die sahen da halt so aus."

Jedenfalls, meint Tolkemitt, sei es wirklich mal an der Zeit gewesen, einen legitimen "Joy of Sex"-Nachfolger auf den Markt zu bringen, wenngleich sich "Make Love" vornehmlich an Jugendliche richte. Die hätten heute schon mit 14 im Netz so ziemlich alles gesehen, nun müsse man ihnen nur noch erklären, "dass körperliche Liebe eigentlich etwas sehr Schönes ist. Und fast nie so, wie man's im Porno sieht."

FRÜHER UND HEUTE:

Zitate aus "The Joy of Sex" (1972):

"Wenn man im Ausland reist, sind katholische Länder konventionell strenger als protestantische, und stalinistische strenger als andere marxistische Länder wie Jugoslawien ... In orientalischen Ländern ist ein Flachdach zur Nachtzeit ein beliebter Ort, man kann lieben und dabei die ganze Stadt sehen. Letzten Endes wird es bestimmte Orte dafür (Freiluft-Sex, d. Red.) geben - unserer Ansicht nach in fünf oder sechs Jahren."

"Orgien haben die Tendenz, durch vorurteilslose Intellektuelle verpfuscht zu werden".

"Starkes Zigarettenrauchen setzt die Lebenserwartung wesentlich herab. Es kann auch die Potenz stark beeinträchtigen und Küsse auf den Mund .... unergiebig machen."

Zitate aus ,,Make Love'' (2012):

"Weil wir auch finden, dass es mit der Scham ein Ende haben sollte, nennen wir die Schamlippen einfach Geschlechtslippen."

"Wenn man Jugendliche heute befragt, dann ist die gängige Antwort, Schamhaare seien einfach eklig."

"An einem Zungenkuss sind mindestens 29 Muskeln, davon 17 Zungenmuskeln, 9 mg Wasser, 0,18 mg organische Substanzen, 0,7 mg Fett, 0,45 mg Salz und Hunderte von Bakterien und Viren beteiligt."

"Schmiert euch ein mit Nutella oder Sahnetorte, leckt euch ab und veranstaltet eine richtige Sauerei."

"Männer, die in der Teenagerzeit besonders viel ejakuliert haben, leben länger!"

© SZ vom 10.11.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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