Bestseller "Shades of Grey":Sadomaso-Sex und Schleichwerbung in simpler Prosa

Ein steinreicher Beau verführt eine Literaturstudentin zu sadomasochistischem Sex. Die britische Autorin E.L. James beschreibt in ihrem Bestseller "Shades of Grey" eine simple Handlung in ebenso simplen Worten. Jetzt ist die Mischung aus gefühlsseligem Groschenroman und SM-Porno auf Deutsch erschienen.

Ina Hartwig

Anastasia Steel und Christian Grey sind ein erotisches Traumpaar. Es funkt sofort. Dabei ist Anastasia, genannt Ana, Studentin der Englischen Literatur im kanadischen Vancouver, nur eingesprungen für ihre erkältete Freundin Kate, mit der sie eine WG teilt. Kate sollte für die Studentenzeitung ein Interview mit dem steinreichen Unterstützer der Uni machen, dem Boss eines weltweit operierenden IT-Unternehmens.

SM-Roman ´Fifty Shades" bricht alle Rekorde

Sie habe ihre Midlifecrisis mit eigenen Phantasien bearbeitet, sagt "Shades-of-Grey"-Autorin E. L. James.

(Foto: dpa)

Der residiert im amerikanischen Seattle, sodass Ana 250 Kilometer zum Interview mit Mister Grey fahren muss. "Zum Glück", denkt Ana mit dem ihr eigenen praktischen Sinn, "hat Kate mir ihren spritzigen Mercedes CLK geliehen. Ob ich es mit Wanda, meinem alten VW-Käfer, pünktlich schaffen würde, ist fraglich. Doch mit dem Mercedes macht die Sache Spaß, und ich trete das Gaspedal durch."

Die Autorin dieser entwaffnend simplen Prosa heißt E. L. James, eigentlich Erika Leonard, Jahrgang 1963, wohnhaft in London, verheiratet, zwei Kinder. Seit sie mit ihrer Romantrilogie "Shades of Grey" binnen eines Jahres ungefähr so reich geworden sein dürfte wie ihre Romanfigur Mister Grey, schleppt sie sich nicht mehr ins Büro des Fernsehsenders, bei dem sie angestellt war.

Ihren märchenhaften Erfolg packt sie in britisches Understatement: Sie habe ihre Midlifecrisis mit eigenen Phantasien bearbeitet, "das ist alles". Der Ehe hat's offenbar nicht geschadet, ihrem Mann ("Für Niall, den Herrn und Meister meines Universums") ist der Schinken gewidmet.

Nun ist der erste Band von "Shades of Grey" auf Deutsch unter dem Titel "Geheimes Verlangen" erschienen. Auf den ersten Blick handelt es sich um einen genretypischen erotischen Roman mit pornografischen Anteilen. Im Zentrum stehen das einundzwanzigjährige Unschuldslamm Ana, dessen sinnliches Potenzial als "Sub" noch zu entdecken ist, und der gewiefte Habitué Grey, der für seine sadomasochistischen Arrangements keine Mittel scheut.

Ana wird seine ideale, wenngleich widerspenstige Geliebte, die er in seine Künste (und Abgründe) mit der Höchstgeschwindigkeit eines Mercedes CLK einführt. Nachdem er sie entjungfert hat, korrekt mit Kondom (bald folgt die Pille), ruft sie uns zu: "Wahnsinn! Jetzt weiß ich, wovon alle schwärmen."

Das klassische Modell also, vergleichbar der "Histoire d'O" (1954) von Pauline Réage, nur dass die Geschichte von Ana und Mister Grey nicht mehr auf einem abgelegenen Schloss angesiedelt ist; auch sind die Libertins längst keine Aristokraten mehr. Das "Spielzimmer", in dem Mister Grey sein Werkzeug (Ketten, Peitschen etc.) bereithält, ist in das Anwesen eines heutigen Superreichen, inklusive Chauffeur und Haushälterin, verlegt. Man sollte präzisieren: Es ist das Klischee-Anwesen eines Klischee-Amerikaners. Die britische Autorin hätte ihre Phantasie auch auf heimischem Terrain austoben können. Hat sie aber nicht.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: