Theater:Mit der Keule draufhauen!

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Die wunderbare Genija Rykova (in Rot) und die Überbleibsel. (Foto: SF/Monika Rittershaus)

Evgeny Titov inszeniert Gorkis "Sommergäste" bei den Salzburger Festspielen als plumpes Pamphlet.

Von Egbert Tholl

Nach der Uraufführung seines Stücks "Sommergäste" notierte Maxim Gorki: "Die Aufführung war ein Skandal, und ich bin zufrieden. Das Stück ist nicht besonders, aber ich habe getroffen, wohin ich gezielt habe!" Mit der Einschätzung des eigenen Werks hatte Gorki sicherlich recht, aber worauf hatte er gezielt? Die Uraufführung ging im November 1904 über die Bühne, wenige Monate vor der (ersten) russischen Revolution, für die Gorki auf dem Theater die Argumente lieferte. Rund 20 Figuren versammeln sich im Landhaus des Anwalts Bassow, gebildete Menschen, die es irgendwie geschafft haben. Sie reden darüber, was man besser machen müsste, wie man eine moderne, solidarische Gesellschaft errichten könnte. Keiner tut etwas, die meisten sind zufrieden mit dem kleinen, trüben Glück des Erreichten. "Irgendjemand musste auf diese Welt mit einer Keule draufhauen", schrieb noch 2003 Eduard Limonow in "Das andere Russland" dazu. Die Keule war erst das Stück und dann die Revolution.

Bei den Salzburger Festspielen hätte Mateja Koležnik die "Sommergäste" auf der Perner Insel in Hallein inszenieren sollen, Anfang Mai sagte sie ab und es übernahm Evgeny Titov, geboren 1980 in Kasachstan und in Russland als Schauspieler tätig, bevor er am Max-Reinhardt-Seminar Regie studierte und seit ein paar Jahren den neuen Beruf in Deutschland erfolgreich ausübt. Geblieben von Koležniks Konzept sind das fabelhaft schimmernde Licht von Tamás Bányai und die Bühne von Raimund Orfeo Voigt. Die besteht aus erlesenem dunklen Holz und bewegt sich kontinuierlich und langsam von rechts nach links: Treppenstufen, Warteräume, leere Salons und enge Zimmer schieben sich herein. Manchmal schaut es aus wie ein Orgelprospekt ohne Pfeifen. Und manchmal wird, wenn man recht seitlich sitzt, die Aufführung zum Hörspiel, weil in der mangelnden Tiefe des Raums Teile des Personals in uneinsehbaren Ecken verschwinden.

Das jedoch muss kein Schaden sein. Schon bei Gorki wirkt dieses Personal wie mit groben Strichen aus dem Œuvre Tschechows abgemalt. Titov geht da weiter, verzichtet auf alle Ambivalenzen, die die Figuren im Stück noch haben könnten, und stutzt sie auf Karikaturen zurecht, die jedoch nie lustig sind. Erst einmal kommt eine nach dem anderen hereingestolpert, meist angeschickert, Sekt- oder Schnapsglas in der Hand, und sondert hysterisch nutzloses Zeug ab. Der dicke, dumme Bassow (Primož Pirnat), sein dicker, dummer Kumpel Suslow (Sascha Nathan), der kleine, dumme Arzt Dudakow (Matthias Buss). Nach Titovs Wunsch sind diese alle mit ihrem ersten Auftritt vollkommen uninteressant, erfahren aber insofern eine Entwicklung, als sie im Laufe der zweieinviertel Stunden zu grandiosen Widerlingen mutieren.

Dazu kommen die Frauen, die unter oder an den Männern leiden, Bassows altjungferliche Schwester Kalerija, die Gerti Drassl durchgehend schlecht gelaunt spielen muss (bei Gorki ist sie viel schlauer - wie schade um die in der Serie "Vorstadtweiber" so listige Drassl!); die exorbitant geistlose Nervensäge Olga, Dudakows Frau (Mira Partecke), das flatterhafte Lustwesen Julija, Suslows Frau (Dagna Litzenberger Vinet).

Auf der Habenseite flattern schwärmerische Jünglinge um sie herum, großartig Paul Behren als Wlas, eher enervierend Marko Mandić als todessehnsüchtiger Rjumin. Mit diesen beiden kommt das theoretische Plappern von einer besseren Welt herein, das seine Vollendung in den beiden zentralen Frauengestalten findet. Marie-Lou Sellem spielt mit Präzision die kluge Ärztin Marja Lwowna, die den Aufbruch in eine neue Zeit als berufstätige, alleinerziehende Mutter bereits vorlebt. Und dennoch greint, weil sie sich für eine Liebe zu Wlas zu alt fühlt. Eine greint nicht. Genija Rykova als Warwara Michajlowna, Wlas' Schwester und Bassows Frau. Warum nur heiratete sie den versoffenen Fettsack? Rykova hat Würde, Ruhe, auch ihre Figur handelt nicht, aber sie durchschaut den Stillstand vollkommen. Wäre sie die neue Zeit, die Zukunft wäre warm, menschlich, empathisch und wunderschön.

Aber eine Zukunft gibt es nicht. Der Dichter Schalimow, auf den Warwara viel Hoffnung setzte, entpuppt sich als hohles Wrack - Thomas Dannemann stolziert auch nur mit leerer Arroganz herum, da weiß Warwara dann auch nicht mehr weiter. Mal tanzen alle Techno. Fürchterlich. Meist saufen, heulen, brüllen sie. Grässlich. Und Titovs protofeministische Idee zielt wohl darauf, Rykova und auch Sellem umso mehr leuchten zu lassen, je stärker er ihr Umfeld in ein trübes Licht setzt. Aber das ist zu dumm! Am Ende reden die größten Idioten darüber, dass die Frau dem Tier nah sei, einen Despoten brauche und am besten unablässig zu schwängern sei. Das ist so blöd, dass eine moderne Frau wie Genija Rykova sich darüber nicht einmal mehr aufregen kann. Keule drauf, klar, aber so ist das zu billig.

© SZ vom 02.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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