Literaturnobelpreisträger Patrick Modiano:Autor gegen das Vergessen

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Nobelpreisträger Patrick Modiano (Foto: AP/Gallimard)

Klar statt komplex, knapp statt ausufernd, so sind Sprache und Werk von Patrick Modiano. Nun bekommt der Franzose den Literaturnobelpreis - obwohl er angeblich "seit mehr als 40 Jahren" immer wieder "fast den gleichen Roman" vorlegt.

"Es sind sehr elegante Bücher, aber sie sind nicht schwierig zu lesen", sagte Peter Englund, Ständiger Sekretär und Chef der Schwedischen Akademie, über das Werk des Literaturnobelpreisträgers von 2014. Vielleicht ist genau das die Kunst des Patrick Modiano: trotz seiner zentralen Themen Krieg, Liebe, Besatzung und Leben im Paris der Nachkriegszeit sind seine Texte nicht verkopft und überkomplex, sondern angenehm knapp und klar.

"Ich versuche, bei den Menschen und den Dingen die Schicht des Vergessens zu durchstoßen", sagte der in den Medien wenig präsente Autor in einem seiner wenigen Interviews vor etwas mehr als einem Jahr. Mit seinem jüngst in deutscher Übersetzung erschienen Buch "Der Horizont", aber auch mit Titeln wie "Unfall in der Nacht" oder "Aus tiefstem Vergessen" ist Modiano das in den Augen der Schwedischen Akademie so gut gelungen, dass sich der 69-Jährige nun Nobelpreisträger nennen darf. Er beherrsche die "Kunst der Erinnerung, mit der er die unbegreiflichsten menschlichen Schicksale wachgerufen habe", heißt es in der Jurybegründung.

Jugend in der Nachkriegszeit

Als Sohn jüdischer Eltern 1945 in einem Vorort von Paris geboren, besuchte Modiano Internate in Biarritz, Chamonix und Barbizon und war in Paris auf dem Lycée Henri-IV. Er übte nie einen anderen Beruf als den des Schriftstellers aus.

Mit 22 Jahren begann er als freier Autor in Paris zu schreiben. Seine Leser und Kritiker schätzen den Charme, die Lakonie und die philosophische Tiefe seiner Prosa. Modianos Erzählungen spielen zumeist in den 1940er und 1960er Jahren des 20. Jahrhunderts, besonders die Besetzung Frankreichs durch Nazi-Deutschland bestimmt häufig seine Bücher. Sein Werk ist von der Beziehung zu seinem jüdischen Vater geprägt, der während der deutschen Besatzung unter falschem Namen in einem Versteck lebte.

Bekannt wurde Modiano bereits 1968 durch die Veröffentlichung seines Romans "La place de l'Étoile", eine aufsehenerregende Parodie auf den Antisemitismus. In dem Roman beschreibe der Autor "Erinnerungsbilder aus der Vergangenheit, die viele Schattierungen von Sehnsucht aufweisen", hieß es damals in der Begründung für die Verleihung des Prix Goncourt, den Modiano für sein Debüt gewann. In Frankreich gilt Modiano deshalb auch als "Archäologe der Vergangenheit".1972 erhielt er für seinen Roman "Les Boulevards de Ceinture" (deutscher Titel: "Außenbezirke") den "Grand Prix du Roman" der Académie Française und 1976 den "Prix des Libraires" für seinen Roman "Villa triste".

Seither hat Modiano Romane und Erzählungen vorgelegt, die von der Literaturkritik häufig als Meisterwerke gefeiert wurden. Die Literaturkritikerin Ina Hartwig würdigte Modiano einmal als "grandiosen Erzähler", dessen Sprache "durch eine klassische Balance, Proportion, Komposition" besteche und dessen Faible für Namenslisten, Polizeiprotokolle, alte Zeitungen und Landkarten seinen Büchern "die Aura des Archivarischen" verleihe.

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"Es ist für jeden Verlag eine besondere Auszeichnung", sagte Modianos deutscher Verleger Jo Lendle vom Hanser Verlag über den Nobelpreis. Er kündigte zugleich an, dass die deutsche Übersetzung von Modianos neuem Roman vorgezogen und bereits in den kommenden Tagen auf den Markt kommen werde. In "Gräser der Nacht" (Originaltitel: "L'Herbe des Nuits") geht es um Vergangenes und die Suche danach, um die Erinnerung - in diesem Fall hervorgerufen durch ein kleines Notizbuch. "Seit mehr als 40 Jahren gibt uns Modiano fast den gleichen Roman zu lesen - und nimmt uns wieder mit in seine verzauberte Welt", heißt es in einer Rezension im französischen Magazin Les Inrockuptibles.

Das und die übersichtliche Länge des neuen Romans von 192 Seiten stützen ein weiteres Bonmot von Englund über den Ausgezeichneten. "Sie können eines seiner Bücher am Nachmittag lesen, dann zu Abend essen, und dann ein weiteres lesen."

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