Kurzkritik:Gefühl für Retro

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Der Rapper RIN auf dem Tollwood-Festival

Von Stefan Sommer, München

Aus den Augen schießt der Megatron lila Lichtblitze, aus Kanonen am Oberarm Nebelfontänen. Keine Raketen, keine Laserstrahlen, keine Bomben. Der Bösewicht der Blockbusterfranchise "Transformers" ist auch nicht aus dem Weltall, sondern aus Holz. In den Kinofilmen und Comics noch ohne Dutt, trägt der außerirdische Gigant als Bühnenbild von RIN bei seinem Auftritt auf dem Tollwood-Festival Kabel und metallene Schläuche zu einem Zopf über der Stirn zusammengebunden - ganz wie der Rapper zu Beginn seiner Karriere. Der trägt Sonntagabend kurze ampelrote Haare wie Frank Ocean.

Megatron, die Nemesis des Philanthropenroboters Optimus Prime, spielt eine wichtige Rolle im Kosmos des Rappers. In den japanischen Comics wird er als Kämpfer beschrieben, der sich aus einfachsten Verhältnissen zum Führer eines Volkes hochgearbeitet hat. Schon RINs letzte EP trug den Titel "Planet Megatron" - der Roboter war auf dem Cover abgebildet. Die Verfilmung der Story von Michael Bay war der erfolgreichste Film des Jahres 2007, RIN greift die Figur nicht zufällig auf: Aus Referenzen auf Computerspiele der Zweitausenderjahre wie "GTA Vice City" und textlichen Anspielungen auf Helden dieser Zeit wie Kool Savas und Jay-Z baut sich der Rapper ein Retrouniversum aus Popkultur. Während die Welt das Neunziger-Revival noch nicht überstanden hat, bereitet der Mann aus Bietigheim-Bissingen bereits die Aufarbeitung und Wiederverwertung des nächsten Jahrzehnts vor.

So ist seine Top-5-Single "Dior 2001" das zentrale Stück eines sehr guten Konzerts auf dem Tollwoodfestival. Er spielt es zwei Mal. Der schlau produzierte und getextete Song adaptiert geschickt amerikanischen Trap von Meistern wie Travis Scott oder ASAP Rocky. Die assoziativen, fragmentarischen Lyrics erzählen genau so viel, um sich selbst in die Situation projizieren zu können und gerade so wenig, um sich die abstrakte Melancholie zu eigen machen zu wollen. 2001 ist 2019 bei RIN ein Gefühl.

© SZ vom 16.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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