An diesem Mittwoch vor zehn Jahren startete in den Niederlanden eine Sendung, die die Fernsehlandschaft komplett verändern sollte. Big Brother hieß das seltsame neue Format, für das die Firma Endemol zwölf Menschen in einen Wohncontainer schickte und von Dutzenden Kameras dauerüberwachen ließ. Das Interesse an der Show, bei der wöchentlich ein Kandidat rausgewählt wurde, war zunächst mäßig. Der Durchbruch gelang dem Reality-Format erst, als der spätere Sieger Bart Spring in 't Veld eine Liebesnacht mit seiner Mitbewohnerin Sabine verbrachte. Plötzlich saßen Millionen Niederländer vor dem Fernseher. Hätte er gewusst, was er auslöst, sagt der 32-Jährige heute, "hätte ich nie unterschrieben."
SZ: Hallo, Herr Spring in 't Veld, schauen Sie eigentlich noch fern?
Spring in 't Veld: Kaum, ich besitze im Moment keinen Fernseher. Für Nachrichten und Politik gehe ich lieber ins Internet. Außerdem lese ich viel. Nur Sport schaue ich ab und zu, dann nutze ich den Fernseher meines Mitbewohners.
SZ: Haben Sie aus Prinzip kein Gerät?
Spring in 't Veld: Nein, das hat sich zufällig ergeben, durch meinen Umzug nach Arnheim. Ich will das Fernsehen nicht verteufeln. Einiges habe ich gern geguckt.
SZ: Zum Beispiel?
Spring in 't Veld: Ich mag Sendungen, die politisch nicht korrekt sind. "Southpark" oder "Die Simpsons". Und früher hab ich auch mal "Al Bundy" gesehen.
SZ: Big Brother ist in vielen Ländern inzwischen abgesetzt, doch die Fernsehlandschaft hat sich ziemlich gewandelt seit Ihrem ersten Auftritt im Container, oder?
Spring in 't Veld: Das kann man wohl sagen.
SZ: Frauentausch, Dschungelcamp, Date my Mum, Popstars, Bauer sucht Frau.
Spring in 't Veld: Es ist ein Programm des kleinsten gemeinsamen Nenners. Um möglichst viele Leute zu erreichen. Leider orientiert sich das öffentlich-rechtliche Fernsehen aus kommerziellen Gründen an den Privatsendern. Es ist eine Abwärtsspirale. Eine Orgie der Verdummung.
SZ: Sie hatten damals mit Ihrer Mitbewohnerin Sabine Sex im Big-Brother-Haus - unter der Decke. Der Tabubruch brachte der Sendung enormen Erfolg. Gibt es heute noch Tabus im Fernsehen?
Spring in 't Veld: Ich glaube nicht, dass wir ein Tabu gebrochen haben. Wir haben nur gemacht, was viele andere auch gern gemacht hätten. Ja, es war Thema, und ja, es wurde getratscht. Aber es hat nie eine Kontroverse ausgelöst, was ja für den Tabubruch typisch wäre. Eine Big-Brother-Teilnehmerin hat damals über ihren Brustkrebs gesprochen. Im Fernsehen! Das war ein Tabubruch. Aber Sex? Religiöse Themen sind heute in den Niederlanden eher wieder problematisch.
SZ: Viele sagen, erst Bart Spring in 't Veld habe dem Reality-Fernsehen zum Durchbruch verholfen. Und Sie sagten sinngemäß: "Wenn ich gewusst hätte, was ich auslöse, hätte ich nie unterschrieben."
Spring in 't Veld: Das stimmt. Aber die Bedeutung meiner Rolle wird natürlich völlig überschätzt. Sehen Sie einfach auf das Geld: Ich verdiente 250000 Gulden bei Big Brother, John de Mol ein paar Milliarden. Er ist die Schlüsselfigur.
SZ: Aber nach ihrer Sex-Szene stieg der Marktanteil der Sendung von knapp 20 auf 75 Prozent. Der Wert der Endemol- Aktien versechsfachte sich. John de Mol sagte, er habe sich zum Verkauf des Formats entschlossen, als die Times ein einseitiges Porträt über Sie gedruckt hatte.
Spring in 't Veld: Da wird auch übertrieben. Es gab Berater, die fanden: Du musst mehr verlangen! Und vielleicht hätte er uns einen Bonus zahlen können. Aber ich war zufrieden mit dem Geld. Man muss ehrlich sein: Wir waren freiwillig dabei. Keiner hat mich zu irgendwas gedrängt. Ich war neugierig und wollte gewinnen. Wir hatten oft einen Riesenspaß an der Show. Und was die Sexszene angeht ...
SZ: ... würde heute jeder annehmen, dass sie inszeniert war - wie alles andere.
Spring in 't Veld: Aber das war sie nicht. Ich war Anfang 20, und wie jeder Junge in dem Alter war ich scharf auf das hübsche Mädchen. Das war alles. Wo die Sendung hinführen würde, wusste doch niemand, auch John de Mol nicht. Und wir im Haus waren von allem abgeschnitten. Wir hatten ja keine Ahnung, was draußen los war.
Lesen Sie weiter über das Leben des Niederländers nachdem er Big Brother als Gewinner verließ.
SZ: Was war draußen los?
Spring in 't Veld: Als ich gewonnen hatte, warteten 4000 kreischende Menschen auf mich. Ich hoffte: Okay, das sind Deine Fans, dann hast Du Deine Ruhe.
SZ: Sie wussten noch nicht, dass das ganze Land verrückt spielte.
Spring in 't Veld: Alle zerrten an mir. Auf den Partys wollte dann jeder mit mir sprechen: Hey, willst du diese Pizzeria eröffnen oder jenes Produkt bewerben?
SZ: Waren da keine Chancen dabei?
Spring in 't Veld: Es ist seltsam. Einerseits führt die Aufmerksamkeit dazu, dass man sich völlig überschätzt. Andererseits hatte ich den Eindruck, das gar nicht verdient zu haben. Eigentlich war ich schüchtern. Ich wurde immer verschlossener. Von über hundert Anfragen, habe ich am Ende nur ein paar Charity-Veranstaltungen und Autogrammstunden gemacht.
SZ: In Zeitungen war von hunderten Frauen und Party-Exzessen die Rede.
Spring in 't Veld: Ich brauchte zwei Jahre, um zu begreifen, dass all die Aufmerksamkeit nichts bedeutete. In der Zeit hatte ich fünf Nervenzusammenbrüche.
SZ: Wie hat sich das geäußert?
Spring in 't Veld: Durch Muskelzuckungen. Ich war unfähig, meinen Körper zu kontrollieren. Das erste Mal passierte es kurz nach dem Big-Brother-Finale. Einmal saß ich bei einem Anfall am Steuer und bin mit dem Auto auf den Mittelstreifen geschlingert. Ich habe dann eine Freundin beim Radio angerufen und nur geheult. Sie wusste sofort, was los war.
SZ: Wenn es Ihnen so schlecht ging, warum haben Sie 2006 noch bei Big Brother für Prominente teilgenommen?
Spring in 't Veld: Weil ich die 100.000 Euro Siegprämie brauchte. Es war ein Fehler, ich bin schnell wieder ausgezogen.
SZ: Waren Sie pleite?
Spring in 't Veld: Das meiste Geld ging weg, als ich versuchte, Großevents zu organisieren. Meet, greet and compete hieß das Konzept, bei dem die Besucher Prominente treffen konnten und sportlich gegeneinander antreten sollten. Leider kam kaum jemand. Ein Fiasko! Es war aber nicht alles schlecht: Ich habe Weltreisen gemacht. Und ich habe gelernt, besser aufzutreten.
SZ: Was machen Sie heute?
Spring in 't Veld:Ich arbeite als Verkehrserzieher in Grundschulen. Die Kinder sind aus einer Generation, der Big Brother nichts mehr sagt. Damit das so bleibt, gebe ich in den Niederlanden keine Interviews.
SZ: Werden Sie auf der Straße noch erkannt?
Spring in 't Veld: Ja, das passiert öfter.
SZ: Wie reagieren die Leute auf Sie?
Spring in 't Veld: Das kommt darauf an. Dumme Menschen brüllen: "Guck mal, ey, unglaublich, das ist Big Brother Bart."
SZ: Und weniger dumme Menschen?
Spring in 't Veld: Die schauen kurz rüber und dann weg. Wahrscheinlich denken die: "Ach komm, seine Zeit war beschissen genug, der will nicht auch noch angesprochen werden."