Weitere Briefe:Barrierefrei Wohnen

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Wer eine Wohnung erstehen will, die auch im Alter keine Einschränkungen abverlangt, sollte aufpassen, nicht alle halten, was sie versprechen

Konsequenter barrierefreies Bauen für Menschen im Rollstuhl wünscht sich eine SZ-Leserin. (Foto: Stephan Rumpf)

Echte Barrierefreiheit ist selten

Zu "So teuer sind barrierefreie Wohnungen" vom 27./28. November:

Meiner Erfahrung nach sind barrierefreie Wohnungen (generationsübergreifend nutzbar bis ins hohe Alter) echte Raritäten.

Besonders teuer ist es, wenn erst beim Einzug, also nach Fertigstellung des Baus beziehungsweise Umbaus, von den Bewohnern festgestellt wird oder werden kann, dass (indoor) vieles weder den Baubestimmungen noch der Bezeichnung "barrierefrei" gerecht wird. Wer als körperlich eingeschränkter Käufer oder Mieter sein künftiges Zuhause vor Einzug nicht selbst in Augenschein nehmen, die Bau- beziehungsweise Umbaumaßnahmen nur auf Papier oder digital am Bildschirm verfolgen konnte, erlebt vielleicht böse Überraschungen (mir ist das so ergangen).

Auch Fachleute wie Architekten und Ärzte haben manchmal Barrieren in ihren Köpfen, machen (Planungs-) Fehler. Teure, gefahrenreiche Langzeitauswirkungen können zum Beispiel in einem bodengleichen Bad durch einen ungenügend großen Abfluss entstehen. Nicht nur für Senioren, sondern auch bei der täglichen Pflege von Säuglingen, Kleinkindern und Haustieren. Oder durch den Mangel an verstärkten Wandflächen im Dusch- und Toilettenbereich für individuelle, sich im Lauf der Zeit verändernde Hilfsmittelbedürfnisse. Das Wichtigste in einer barrierefreien Wohnung ist, sich möglichst lange, auch mit Gehhilfe, Rollator oder Rollstuhl, weitgehend selbstbestimmt und selbständig im Alltag versorgen zu können - auch in Dusche und Toilette. Das kann mit Halte- beziehungsweise Stützgriffen an einer unzureichend verstärkten Wand oder einem Duschsitz an der falschen Fliesenstelle zu einer alltäglichen Strapaze und Gefahr werden. Die Küchennutzung kann sogar zum olympiareifen Hindernisparcours ausarten, wenn sich die einzige infrage kommende Küchenwand über der unterfahrbaren Arbeitsplatte als nicht tragfähig erweist für die Montage der Oberschränke. Das Platzangebot geschützter, wohnungsnaher Abstell- und Verwahrmöglichkeiten sollte unbedingt vor Ort geprüft werden (vom Gokart/Fahrrad/Schlitten der Kinder, bis zum Dreirad/Rollator oder Rollstuhl von Erwachsenen). Denn Kellerabteile sind auch bei barrierefreien Wohnungen für den Mehrplatzbedarf von Familien oder den Hilfsmittelbedarf gesundheitlich eingeschränkter Bewohner oft zu klein.

Wenn ohnehin knapp bemessener Lebensraum einer barrierefreien Wohnung als Dauerparkplatz für notwendige mobile Hilfsmittel zweckentfremdet werden muss, kann eine solche Wohnung kein schöner Traum werden, sondern allenfalls ein wohnlebenslanger Albtraum.

Annette Gümbel-Rohrbach, München

© SZ vom 09.12.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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