Bundestag:Schlanker wählen, besser wählen

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(Foto: Karin Mihm)

Das komplexe Wahlrecht hat den Bundestag anschwellen lassen. Die Reform der Ampelregierung soll das Parlament wieder auf Normalmaß stutzen - stößt aber bei der Opposition auf Widerstand. Leserinnen und Leser der SZ haben eine Reihe weiterer Ideen, wie sich die Stimmabgabe besser organisieren ließe.

"Ein elementares Demokratieproblem" und Kommentar "Die Hürde, die weg muss" vom 25. April:

Vortäuschung falscher Tatsachen

Die Wahlrechtsreform der Ampelregierung ist ein elementares Demokratieproblem. Der Wähler wird verhöhnt. Ihm wird vorgegaukelt, er könne einen Wahlkreiskandidaten direkt wählen, was aber nach der Wahlrechtsänderung nur mehr sehr eingeschränkt der Fall ist. Denn ein Wahlkreissieger kann künftig unter Umständen nicht ins Parlament einziehen, wenn seine Partei landesweit zu wenige Stimmen bekommt. Das ist eine Vortäuschung falscher Tatsachen: Wenn man die Persönlichkeitswahl im Wahlkreis als nachrangig betrachtet, wäre es ehrlich, diese ganz abzuschaffen und nur noch über die Parteilisten wählen zu lassen. Die Übergröße des Bundestags könnte so leicht beseitigt werden.

Es wird immer wieder vergessen, dass nach dem Grundgesetz auch das reine Mehrheitswahlrecht - wie in Großbritannien - verfassungsgemäß ist. Wenn man den Artikel von Wolfgang Janisch liest, gewinnt man dagegen den völlig falschen Eindruck, es müsse sich alles nach dem Verhältniswahlrecht richten. Es könnte aber durchaus ein Teil der Mandate - die Hälfte oder zwei Drittel - im Verhältniswahlrecht über die Listen verteilt werden und daneben die restlichen Mandate im Mehrheitswahlrecht in den Wahlkreisen. Dann bestünde keine Gefahr der Aufblähung des Bundestags durch Überhangs- und Ausgleichsmandate mehr. Es wäre auch die Persönlichkeitswahl in den Wahlkreisen gesichert. Und es wäre gesichert, dass der Wahlkreissieger auch wirklich gewählt ist.

Alfons Metzger, Puchheim

Scheinheilige aus Bayern

Größe und Zusammensetzung des aktuellen Bundestags basieren auf der Wahlrechtsreform des Jahres 2020. Die damalige Regierungspartei CSU nutzte die Reform, um ein Wahlrecht durchzusetzen, das perfekt auf ihre Bedürfnisse abgestimmt war.

Die Besserstellung der CSU gegenüber den anderen Parteien zeigt folgende Rechnung: Werden die Zweitstimmen, die eine Partei bei der letzten Bundestagswahl erhielt, durch die Zahl ihrer Bundestagsmandate geteilt, so benötigten SPD, CDU, Grüne, FDP, AfD und Linke bei der Bundestagswahl 2021 jeweils etwa 58 000 Zweitstimmen für ein Mandat. Der CSU dagegen genügten für den Einzug ihrer 45 Abgeordneten in das Parlament 53 400 Zweitstimmen pro Mandat. In der Theorie kommt jeder Zweitstimme der gleiche Wert zu. In der Praxis jedoch - George Orwells Fabel "Farm der Tiere" lässt grüßen - ist der Wert einer CSU-Zweitstimme gleicher.

Die Wahlrechtsreform von 2020 hatte nicht nur eine Maximierung der CSU-Mandate zur Folge, die Überhangmandate der CSU führten auch zu einer Aufblähung des Bundestags auf den Rekordwert von 736 Abgeordneten. Die verkorkste Reform belegt einmal mehr, dass die Regionalpartei CSU dem eigenen Vorteil oberste Priorität einräumt. Das Klagelied, das die CSU aktuell in Karlsruhe anstimmt, ist an Scheinheiligkeit nur schwer zu überbieten.

Roland Sommer, Diedorf

Heisere Erststimme

Zum Thema Erststimme: Ein weiteres Argument für deren mindere Bedeutung ist die Tatsache, dass der Wahlkreissieger oder die Siegerin nur mit einfacher Mehrheit gewählt sind. Da konnte man mal, wenn ich mich recht entsinne, mit neunzehn Prozent einen Wahlkreis gewinnen.

Ich bin zudem für die Beibehaltung der Fünf-Prozent-Klausel. Wie waren wir doch erleichtert, als im vorigen Jahrhundert NPD und Republikaner an der Hürde scheiterten und nicht in den Bundestag einzogen?

Dass jetzt die "guten" Parteien SPD, Grüne und FDP in Sachsen an der Klausel scheitern könnten, rechtfertigt nicht die Änderung der Klausel.

Erwin Hänel, München

Fünf-Prozent-Hürde muss bleiben

Ich glaube, es herrscht Einigkeit darüber, dass das Wahlrecht geändert werden muss, damit die eigentlich vorgesehene Anzahl von 598 Abgeordneten nicht auch in Zukunft auf über 700 steigt. Es gibt 299 Wahlkreise mit 299 nach dem Mehrheitswahlrecht direkt gewählten Abgeordneten, dazu 299 Abgeordnete, die nach dem Verhältniswahlrecht aus den Listen der einzelnen Parteien nach einem bestimmten mathematischen System zugeteilt werden. Das heißt also, dass pro Wahlkreis jeweils ein Direktmandatsträger plus ein Listenmandatsträger in den Bundestag einziehen. Wenn man das genauso praktizieren würde, ergäbe es genau die vorgesehene Anzahl von 598 Bundestagsabgeordneten - nicht mehr und nicht weniger. Ich verstehe nicht, warum das nicht genau so praktiziert wird.

Was die Fünf-Prozent-Klausel betrifft, so halte ich sie für unbedingt notwendig, um ein Parteienwirrwarr wie in der Weimarer Republik zu vermeiden. Weil die Regierungen damals aus zu vielen Parteien bestanden, waren sie zu schwach, was dann die Bevölkerung dazu verführte, einen starken "Führer" zu wählen.

Wenn man ein Wahlrecht gestaltet, muss sich also entscheiden, ob im Parlament möglichst repräsentativ alle politischen Strömungen eines Landes vertreten sein sollen - was die Regierungsbildung erschwert. Oder ob man eine starke Regierung bevorzugt. Für eine wahre Demokratie ist es nicht wesentlich, wie viele der abgegebenen Stimmen keine Berücksichtigung finden, sondern es ist viel wichtiger, eine stabile und handlungsfähige Regierung zu haben. Da wir in Deutschland eine Mischung aus Mehrheits- und Verhältniswahlrecht haben, sollten wir uns strikt daran halten, dass die Abgeordnetenzahl bei 598 bleibt. Die Fünf-Prozent-Hürde sollte zudem auf keinen Fall weg. Im Gegenteil: Sie sollte noch erhöht werden, falls es zu viele kleine Parteien um die fünf Prozent gibt.

Dieter Lehmann, Karlsfeld

Ersatzstimme als Alternative

Sehr geehrter Herr Janisch, eigenartig, dass Sie gerade in einer Zeit, in der die Regierungs-, ja Handlungsfähigkeit von Parlamenten zusehends zweifelhaft erscheint, für eine Streichung der Fünf-Prozent-Hürde plädieren. Die Hürde hat jahrzehntelang Stabilität gewährleistet, hat jahrzehntelang dazu beigetragen, dass einer handlungsfähigen Regierung eine aktive und konstruktive Opposition gegenüberstand. Die Hürde ist ein Erfolgsmodell. Wenn man über sie nachdenkt, dann eher in dem Sinne, dass Wählerinnen und Wähler neben der Hauptstimme eine Ersatzstimme bekommen. Dann könnte man für den Fall, dass die favorisierte Partei die Hürde nicht nimmt, immerhin eine Partei benennen, der die unter den Tisch fallende Stimme zugutekommt. Am Ende mag das sogar dazu führen, dass die eine oder andere Partei neu in ein Parlament einzieht, weil für die Wähler das Risiko kleiner würde, durch das Kreuz für eine kleine Partei ihre Stimme ganz zu verschenken.

Dr. Winfried Klein, Stuttgart

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