Berlin-Wahl:An der Spitze gibt's Gedrängel

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SZ-Zeichnung: Michael Holtschulte (Foto: N/A)

Obwohl die CDU den größten Stimmenzugewinn verzeichnen kann, will Rot-Grün-Rot weiterregieren. SZ-Leserinnen und -Leser analysieren die Wahl in der Hauptstadt.

"Giffey: SPD will starke ,führende Rolle' spielen" und "CDU ist stärkste Kraft in Berlin", beide vom 13. Februar:

Es muss sich was ändern

Die gute Nachricht für Berlin lautet, dass es die Stadt trotz Laissez-faire geschafft hat, Senatswahlen durchzuführen. Endlich. Die zweite gute Nachricht betrifft die 42 000 Berliner Wahlhelfer, deren "Erfrischungsgeld" zum Zweck des Gelingens der Wahl vervierfacht wurde auf 240 Euro, was rund zehn Millionen Euro ausmacht. Geld muss ja nicht zwingend eine Rolle spielen in Berlin als bundesweit größtem Profiteur des Länderfinanzausgleichs. Im Vorfeld mussten zahlreiche Berliner Bürgerbüros geschlossen werden, um im Verwaltungsapparat genügend Mitarbeiter zur Vorbereitung der Wahl rekrutieren zu können. Die Wahlen haben nun also pannenfrei stattgefunden.

Ein Blick auf das Ergebnis dürfte allerdings bei vielen Berlinern resigniertes Schulterzucken auslösen. Denn obwohl die Union mit 28 Prozent das mit Abstand beste Ergebnis erreicht hat und daraus einen Regierungsauftrag ableitet, lautet die Devise von Rot-Grün-Rot "Weiter so", obwohl alle drei Koalitionspartner Verluste eingefahren haben. Trotzdem werden Giffey (SPD), Jarasch (Grüne) und Lederer (Linke) ihre Sessel im Roten Rathaus behaupten, denn schließlich habe man ja nur etwas mehr als ein Jahr Zeit gehabt, um in der Stadt die Kehrtwende zu schaffen.

Hierzu sei angemerkt, dass die SPD seit 20 Jahren in Berlin regiert. Eines ist aber schon am Wahlabend klar geworden: Rot-Grün-Rot wird weitermachen, ob unter einer roten oder grünen Regierenden, ist im Grunde genommen egal. Unisono versicherten Giffey von der SPD, die Grüne Jarasch und der Linke Lederer, dass sich in Berlin etwas ändern müsse, das habe der Wahlausgang ganz klar gezeigt, nur halt eben nicht Rot-Grün-Rot. Und das, obwohl sich 74 Prozent die Berliner mit der Arbeit des Senats im vergangenen Jahr überhaupt nicht zufrieden gezeigt haben. Dass trotz des legitimen "Weiter so" von Rot-Grün-Rot, aber angesichts der erfahrenen Verluste, ein Regierungswechsel die bessere Lösung wäre, dafür ist bei manchen Berliner Politikern der politische Anstand sowie der Sinn für das Gemeinwohl zu wenig ausgeprägt. Das ist die Logik des Machterhalts. Es geht nur um Posten.

Josef Geier, Eging am See

Wählerauftrag?

Gebetsmühlenartig behauptet die Berliner CDU, sie habe den Wählerauftrag für eine Regierungsbildung. Wirklich? Die mit Abstand stärkste Gruppe der Wahlberechtigten waren die Nichtwähler. Von denen hat die CDU schon mal keinen Auftrag, die anderen Parteien allerdings auch nicht. Dann aber wird es eindeutig: Die bisherige Koalition aus SPD, Grünen und Linken hat im Wahlkampf von Anfang an klargemacht, dass sie in dieser Zusammensetzung weiterregieren will, dass sie also als Wahlbündnis zu sehen ist. Der Wähler hatte demnach die Wahl zwischen der CDU und dem Bündnis SPD/Grüne/Linke, und dann war das Ergebnis 28,2 Prozent für die CDU und 49 Prozent für die erklärten Gegner. Wer hat denn da den Wählerauftrag?

Herbert Jakob, Bad Tölz

Konsequenzen ziehen

Als Sozialdemokrat muss man anerkennen, dass die CDU in Berlin einen fast erdrutschartigen Sieg bei den Abgeordnetenhauswahlen eingefahren hat. Man kann nicht verhehlen, dass dieser Wahlsieg seitens der CDU mit zum großen Teil rechtspopulistischen Argumenten erzielt wurde. Doch die Tatsache, dass der CDU-Chef über zehn Prozent für seine Partei hinzugewonnen hat, muss natürlich nicht automatisch bedeuten, dass er daraus ableiten kann, Regierender Bürgermeister der Stadt zu werden.

Lars Klingbeil hat daher recht, wenn er sagt, dass es ein "Weiter so" auf keinen Fall geben darf. So groß sind allein die sozialen Probleme etwa im Bereich Wohnen und Mieten, die viele Berlinerinnen und Berliner durch ihre Stimme für die Linkspartei zum Ausdruck gebracht haben. Ich denke, die drei Koalitionsparteien in Berlin sollten aus dem Wahlergebnis die Konsequenzen ziehen und sich mit Energie in der bisherigen Koalition an die Arbeit machen.

Das Problem unzureichenden Wohnraums, der Verkehrspolitik und auch der inneren Sicherheit darf nicht von jenen politischen Kräften in die Hand genommen werden, die nicht bereit sind, jenen, die viel haben, etwas zu nehmen, und die am liebsten die bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse erhalten würden.

Manfred Kirsch, Neuwied

Grüne Handschrift

Franziska Giffey täte sich und der SPD keinen Gefallen, wenn sie jetzt unbedingt Regierende Bürgermeisterin bleiben wollte. Ihre Stellung in der Partei und bei den bisherigen Koalitionspartnern ist durch den Stimmenverlust, den sie wohl als ihren ureigenen anerkennen muss, derartig geschwächt, dass es unter diesen Voraussetzungen schon ein großes Kunststück wäre, als Regierungschefin noch eine überzeugende Leistung abzuliefern.

Die SPD sollte sich lieber für ein paar Jahre in die Opposition zurückziehen und den nun mit großem Rückenwind daherkommenden Herrn Wegner zeigen lassen, was er wirklich draufhat. Die erste Probe seines Könnens wäre es, die Grünen in eine Koalition mit der CDU zu locken. Ohne schmerzliche Zugeständnisse wird das nicht abgehen.

Auch für die Berliner Grünen wäre es kein Nachteil, wenn sie sich selbst und anderen bewiesen, nicht nur im Verbund mit Seelenverwandten zurechtzukommen. Im Gegenteil: Die grüne "Handschrift" käme in einer Koalition mit der CDU nur umso markanter zum Vorschein.

Axel Lehmann, München

Wege aus dem FDP-Schlamassel

Wenn die FDP nach dem Rauswurf aus dem Berliner Abgeordnetenhaus jetzt überlegt, "ihre Stimme in der Bundesregierung deutlicher zu erheben", sollte sie anstelle ihrer bisherigen Politik für Milliardäre und Autobahnraser sich lieber ihrer liberalen Vergangenheit erinnern: Bürgerrechte wahren und stärken, statt den wenigen Tausend Rasern unter den vielen Zehntausend einsichtigen Porschefahrern ihre Höchstgeschwindigkeit auf der Autobahn zu belassen. Die Partei könnte Steuergerechtigkeit anstreben, anstatt alle anderen Bürgerinnen und Bürger zu verraten und nur noch die Milliardäre zu vertreten. Selbst "Besitzmillionäre" eines geerbten Hauses sollen durch die Grundsteuerreform teilenteignet werden. Milliardäre dürfen dagegen ihren Steuersatz frei mit der Behörde verhandeln. Steuertrickserei soll zudem auch weiterhin den Segen der FDP erhalten.

Die Partei könnte dagegen als Weg aus dem Fünf-Prozent-Problem das Erbe Genschers aufgreifen, der das erste Umweltprogramm der Bundesregierung auf den Weg gebracht hat. Anstelle Fracking zu fordern und damit Grundwasser und Gebäude zu gefährden. Oder den Fortbetrieb maroder Atommeiler ohne Rücksicht auf Sicherheitsanforderungen zu verlangen, die selbst die Betreiber davon abhält, dieses FDP-Ansinnen zu unterstützen.

Die FDP hätte also alle Möglichkeiten, sich an ihre vormals liberale Geschichte zu erinnern und diese wiederzubeleben - und die Fünf-Prozent-Hürde sicher zu meistern. Bis dies geschieht, bleiben die früheren Wähler einer "liberalen" Partei vermutlich bei den Grünen.

Prof. Dr. Frank Bliss, Remagen

Misstrauensvotum erforderlich

Fast alle politischen Kommentatoren übersehen bei ihren Spekulationen, wer künftig in Berlin regiert, einen wesentlichen Punkt: Nach Artikel 57 der Berliner Landesverfassung kann der Regierende Bürgermeister - vom Fall des Rücktritts abgesehen - nur durch ein Misstrauensvotum des Abgeordnetenhauses sein Amt verlieren, genauer gesagt zum Rücktritt gezwungen werden.

Das heißt: Franziska Giffey bleibt im Amt, solange sie nicht von sich aus zurücktritt oder aber durch ein konstruktives Misstrauensvotum mit absoluter Mehrheit des Abgeordnetenhauses dazu gezwungen wird. Nach den bisher bekannten Wahlergebnissen bräuchte die CDU für ein solches Misstrauensvotum die Stimmen entweder der SPD (was illusionär ist) oder der Grünen (vorerst auch eher unwahrscheinlich) oder der Linken und der AfD (klingt erst recht abwegig). Also wenn Giffey nicht freiwillig zurücktritt, wird sie mit ihrer Koalition voraussichtlich im Amt bleiben und kann weiterregieren.

Diese verfassungsrechtliche Situation ist im Übrigen unabhängig davon, ob es sich um eine Neuwahl oder wie jetzt um eine Wiederholungswahl handelt. Aus dem Urteil des Berliner Verfassungsgerichtshofs vom 16.11.2022 ergibt sich nichts anderes. Denn das Gericht hat unter Berufung auf das Verfassungsgerichtshofgesetz ausdrücklich darauf hingewiesen, dass das Urteil über die Wahlungültigkeit nur ex nunc wirkt, sodass Rechtsakte, die das Abgeordnetenhaus in der bisherigen Zusammensetzung getroffen hat, auch Giffeys Wahl zur Regierenden Bürgermeisterin, gültig bleiben.

Kaspar Apfelböck, Schwabach

Total versagt

Obwohl die CDU mit ihrem Spitzenkandidaten Kai Wegner die Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus 2023 klar gewonnen hat, will das "Trio Infernale" aus den Spitzenkandidatinnen und -kandidaten - Franziska Giffey (SPD), Bettina Jarasch (Die Grünen) und Klaus Lederer (Die Linke) - in Berlin einfach weiterregieren. Dabei haben es Giffey, Jarasch und Lederer noch nicht einmal geschafft, die jeweiligen Direktmandate in ihren Wahlkreisen in Neukölln 6, Spandau 2 und Pankow 3 zu gewinnen. Franziska Giffey sollte umgehend zurücktreten.

Roland Klose, Bad Fredeburg

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