"Der Zuckerguss auf der Torte" und "4:3" beide vom 20./21. Mai:
Ein Armutszeugnis
Der Ruf nach einer Viertagewoche ist ein Armutszeugnis - sagt es übersetzt: Sinnvolles und gutes Leben findet nur jenseits der Arbeit statt; als Antipode und nicht als Teil des Lebens: der tätige Mensch entwickelt seine Fertigkeiten, wächst an seinen Aufgaben und schöpft daraus nicht nur Geld, sondern auch Teilhabe, Anerkennung und soziale Gemeinschaft. Natürlich gibt es viele Jobs, für die das nicht zutrifft - aber die Mehrzahl der Beschäftigten definieren sich auch über ihre Tätigkeit, ihren Beruf.
Sportler, Musiker oder Tischler werden sicher nicht gut in ihrem Beruf, wenn sie drei Tage der Woche nicht trainieren, üben oder an ihrer Geschicklichkeit arbeiten. Wir sollten lieber die Arbeitsbedingungen verbessern, statt immer mehr Zeit abzuschneiden. Gesundheitlich ist eine regelmäßige, nicht zu lange Arbeitszeit von sechs Stunden pro Tag nachhaltiger, als die Arbeitstage zu verlängern, um einen weiteren freien Tag zu erhalten.
Dr. Walter Freudenstein, Braunschweig
Eine Menge Regelungsbedarf
Viele Teilzeitbeschäftigte, gerade im unteren Wochenstundenbereich, wollen nicht weniger arbeiten. Sie wären die Gewinner einer solchen Regelung. Dem Arbeitgeber würde das meist recht sein. Es gibt allgemein anerkannt auch eine Untergrenze der täglichen Arbeitszeit, gerade bei Teilzeitbeschäftigten, insbesondere in Berufen, wo die Arbeitsvorbereitung arbeitszeitlich aufwendig ist.
Interessant wäre auch, wie sich die Gewerkschaften die Regelungen im Urlaubsrecht vorstellen. Bislang sinkt der Urlaubsanspruch im Verhältnis zu den Arbeitstagen in der Kalenderwoche. Sinkt also der Anspruch auf 24 Urlaubstage?
Und was passiert, wenn ein(e) Arbeitnehmer(in) am ersten arbeitsfreien Tag der Woche krank wird? Muss dann bei längerer Arbeitsunfähigkeit weiterhin am vierten Kalendertag eine AU-Bescheinigung vorgelegt werden? Die Arztpraxen werden voller, das kann man jetzt schon erkennen, auch wenn die Krankheitsrate angeblich bei der Viertagewoche sinkt.
Und was passiert bei vollem Lohnausgleich mit den steuer-/versicherungsfreien Arbeitsverhältnissen? Wird dann die Lohngrenze noch mal nach oben geschoben? Diejenigen, die so arbeiten, wollen zu einem nicht unerheblichen Teil ja gar nicht in die Versicherungs-/Steuerpflicht "hineinwachsen". Es soll auch Arbeitgeber geben, die diese Arbeitsplätze wollen oder brauchen. Da kommt auf den Gesetzgeber eine Menge Regelungsbedarf zu.
Fazit: Die Gewerkschaften brauchen dringend neue Reibungsflächen zu den Arbeitgebern, um künftig bei den verschiedenen Tarifregelungen wieder ansetzen zu können. Sehr viele Arbeitnehmer werden immer noch und wieder mit Zeitverträgen oder als Leiharbeitnehmer hingehalten. Sie sind Spielball der Arbeitswelt. Wenn es schlecht läuft, wird der Vertrag nicht verlängert. Diese Ungleichheit zu beenden, sollten die Gewerkschaften angehen!
Thomas Gerg, Gaißach
Weniger ist mehr für Kinder
Bei der Diskussion über die Viertagewoche vermisse ich die Einbeziehung von Kinderbetreuungszeiten. Wer versorgt die Kinder vor Schulbeginn und nach Schulende, wenn beide Elternteile neun Stunden arbeiten plus die Zeit für den Weg zur Arbeit. Wer bringt die Kinder zu den Freizeitaktivitäten am Nachmittag? Viele Freizeitangebote würden sich in die frühen Abendstunden verschieben, was aber sicherlich nicht sinnvoll für die Jüngsten wäre.
Georg Müller, Walsrode
Spaßgesellschaft
Aus ökologischen Gründen könnte ich mir eine Viertagewoche sehr gut vorstellen, würden doch nicht nur weniger Konsumgüter hergestellt, sondern auch die Konsummöglichkeiten eingeschränkt, weil die Anbieter nur noch vier Tage öffnen könnten. Sie schreiben selbst, dass die Arbeit Teil der Work-Life-Balance ist, das wird aber oft vergessen. Viele sind doch nur noch daran interessiert, mit wenig Aufwand viel Geld zu verdienen.
Da bin ich sehr gespannt, wie unsere Spaßgesellschaft künftig in die Röhre schaut, weil niemand mehr da ist, der sie bespaßt und es keine landwirtschaftlichen Erzeugnisse mehr gibt, weil die Landwirte auch nur vier Tage arbeiten werden statt sieben und deshalb ihren Betrieb einstellen müssen, weil das nicht funktioniert. Backwaren gibt es - wie heute schon - vermehrt nur noch als Industrieware und Kultur nur noch von künstlicher Intelligenz erzeugt.
Und die alternde Gesellschaft wird es auch nicht mehr lange geben, denn mit vier Tagen Pflegebetreuung oder im Krankenhaus werden wohl nicht mehr viele alt werden können. Ach, da fehlt doch nur noch das bedingungslose Grundeinkommen, dann können wir sogar 0:7 draus machen.
Michael Beck, Wolfenbüttel
Ohne Fleiß
Zu den sprichwörtlichen deutschen Tugenden gehörte einst Fleiß. Den haben die Deutschen im Lauf der Jahrzehnte verlernt. Zeiten, in denen Krisen durch "jetzt erst recht" und "Ärmel hoch" erfolgreich gemeinsam bewältigt wurden, sind Geschichte.
Angestachelt von Gewerkschaftsbonzen fordern und erstreiken mehr Werktätige weniger Arbeitszeit und immer mehr Geld: 40-, 38-, 32-Stunden-Woche; Fünftage- und aktuell Viertagewoche, mindestens bei vollem oder meist höherem Lohn. Die Nulltagewoche bei doppeltem Lohnausgleich erscheint nicht mehr utopisch. Für Arbeiten gibt es schließlich Roboter und künstliche Intelligenz.
Claus Lehner, München
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