Glosse:Das Streiflicht

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(SZ) Eigentlich gehört dieser Text gar nicht hierher, denn das Streiflicht ist ja noch keine 77 Jahre alt, es ist jünger, erst 76! Selbst wenn es ein Jahr mehr auf dem, nein nicht Buckel, sagen wir lieber auf dem Lebenskonto hätte, brauchte es nur in den Spiegel zu schauen, um seine um keinen Schimmer verblasste jugendliche Strahlkraft bestätigt zu finden. Wenn es ehrlich zu sich selbst ist, wird es sogar finden, dass es deutlich jünger aussieht als 1946, schlanker vor allem. Denn wenn man alte Bilder vom Streiflicht in seinen jungen Jahren betrachtet, kommt man nicht umhin, es damals arg aufgeplustert und zornigelig zu finden. Das erste Mal trat es am 12. Juni 1946 auf und setzte sich mit den Malaisen des Föderalismus auseinander, den es freilich in der damaligen Besatzungszonenwelt noch gar nicht gab. Es war also ein bisschen behäbig und langweilig. Das zweite Streiflicht dagegen hatte es schon deutlich kräftiger in sich. Es ging darum, dass der Wirtschaftskorrespondent Joachim Slawik in die sowjetische Besatzungszone gereist war, um sich Leipzig anzuschauen. Der journalistische Ertrag der Reise erboste Georg Fischer, den Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, so sehr, dass er behauptete, Slawik sei gar nicht in Leipzig gewesen. Das ließ sich das Streiflicht nicht zweimal sagen: "Selbstverständlich war Herr Slawik in Leipzig!", donnerte es, um zwei Sätze später einen Anklang jenes Grundtons zu setzen, der das Streiflicht die nächsten sieben Jahrzehnte über prägen sollte: "Das müßte ein Tausendsassa von Journalist sein, der einen solchen Bericht über die Zustände in Leipzig und Sachsen am Münchner Redaktionstisch fabrizierte!"

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