Sprachlabor:Eine Offenbarung

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(Foto: Luis Murschetz (Illustration))

Handelt es sich bei Campinos Fans, die nachts mit ihm unerlaubterweise in ein Freibad eindrangen, nun "offenbar um weibliche Fans" oder eher "um offenbar weibliche Fans"? Sprachlaborant Hermann Unterstöger klärt auf.

DIE RHEINISCHE VERLAUFSFORM ist nicht jedermanns Sache, weswegen denn auch einige Leser die Stirn runzelten, als über Wörter berichtet wurde, "die am Verschwinden sind". Diese Form, in der Wissenschaft " am-Progressiv" genannt, hat schlechte Karten, weil man ihr Sätze wie diesen unterstellt: "Ich bin meiner Mutter einen Brief über meine Geldsorgen am Schreiben." Solche Scherze verdecken, dass das Andauern eines Ereignisses mit diesem Progressiv durchaus honorig ausgedrückt werden kann: Der Bub ist mächtig am Wachsen, Klothilde ist gerade am Fensterputzen. Gerügt wurde, dass die umgangssprachliche Formulierung ausgerechnet in einem Text über Sprachliches verwendet wurde. Da dessen Autor auch der Autor dieser Kolumne ist, könnte man vermuten, er sei jetzt reumütig und am Büßen. Ist er aber nicht.

ALS DER SÄNGER CAMPINO nachts in ein Freibad eindrang, wurde er natürlich auch fotografiert, und zwar zusammen mit zwei Mädchen im Bikini. Im Bildtext dazu hieß es, dass es sich "um offenbar weibliche Fans" handle, was Leser L. so verstand, als bestünden Zweifel an der Weiblichkeit der jungen Frauen. Das Labor kann diese Zweifel zerstreuen - ein Richter würde sagen: "aus eigener Anschauung" - und schließt sich Herrn L.s Verbesserungsvorschlag an, der da lautet: "offenbar um weibliche Fans".

APROPOS "OFFENBAR": Das Wort hat, wie Leser K. anklagend schreibt, offenbar zwei Seiten. Einer davon will er nicht mehr begegnen: der, auf der offenbar mit anscheinend gleichgesetzt wird. Es sei unangemessen, Vermutungen mit einem Wort zu belegen, das Zweifel überflüssig erscheinen lasse. Grimm führt offenbar noch in diesem Sinn, doch neuere Wörterbücher (Duden, Wahrig) vermerken, dass das Wort - als Adverb - weithin anstelle von anscheinend verwendet wird, und zwar ohne Skrupel. Der Sprachgebrauch hat sich offenbar entschieden. Bleibt die Frage, ob man ihm folgen muss.Hermann Unterstöger

© SZ vom 21.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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