Haushalt:Wie gut sind Schulden wirklich?

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(Foto: Denis Metz)

Nach dem Urteil des Verfassungsgerichts steht die Schuldenbremse in der Kritik: Verhindert sie Investitionen? Oder zwingt sie die Politik zur Disziplin beim Geldausgeben? SZ-Leser vertreten sehr entgegengesetzte Standpunkte.

Kommentar "Schulden sind gut" vom 30. November, Kolumne "Danke für nichts" vom 1. Dezember:

Politik scheut Investitionen

Die Süddeutsche Zeitung hat sich festgelegt: Die Schuldenbremse scheint der Hort allen Übels zu sein. Als Volkswirt könnte ich dem sogar etwas abgewinnen. Der Politikbetrieb läuft allerdings anders ab, vor allem nicht so idealisiert, wie aus den Kommentaren geschlossen werden könnte. Er neigt vielmehr dazu - und ist aufgrund der Wirkungsweise des politischen Betriebes vielleicht sogar dazu gezwungen - insbesondere auf die Gegenwart zu achten. Daher verwundert es nicht, dass Verteilungspolitik in aller Regel einen höheren Stellenwert einnimmt als Investitionspolitik.

Das gesamtstaatliche Steueraufkommen lag 2022 mit rund 896 Milliarden Euro fast doppelt so hoch wie 2005. Wenn man 2005 eine Prognose gemacht hätte, das Steueraufkommen würde pro Jahr um drei Prozent wachsen, wären damals vermutlich alle hochzufrieden gewesen und wir wären unter dieser Prämisse 2022 bei etwa bei 747 Milliarden Euro herausgekommen. Wo ist das Geld geblieben? Bei der Bahn? Bei der Bundeswehr? Bei den Schulen? Oder wurde es doch für laufende Ausgaben wie die Mütterrente verwendet?

Anders als etwa Frau Timmler meint, war die Schuldenbremse somit alles andere als ein "Modernisierungshemmer". Die jetzige Situation ist einerseits das Ergebnis munterer Verteilungspolitik, also einer stark gegenwartsorientierten Prioritätensetzung. Es kann dem damaligen Bundesfinanzminister Schäuble gar nicht hoch genug angerechnet werden, dass es ihm gelungen ist, zumindest einen Teil der hohen Steuereinnahmen den Verteilungspolitikern zu entziehen.

Peter Hofmann, Dresden

Fantasie statt Geld

Da hauen Sie aber ordentlich auf die Pauke, Frau Timmler. Meinen Sie wirklich, dass mit viel mehr Geld die in Teilen marode Infrastruktur dieses Landes wieder auf Vordermann gebracht wird? Sicher, viel Geld verspricht etwas. Besser gesagt: Von vielem Geld versprechen sich viele etwas. Ich vermisse in Ihrem Artikel die ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Augenmaß, mit dem Maßhalten. Dieses Land fällt nicht durch ein paar Dutzend fehlende Milliarden zurück in die Steinzeit. Fantasie fehlt allerorten. Geld allein fördert kein Gehirnschmalz. Weder in der Politik noch in der Wirtschaft.

Dr. Detlef Rilling, Wesseln

Heller Wahnsinn

Herzlichen Dank für den Artikel mit dem provokativen Titel, Frau Timmler. Jedes Argument sitzt. Ich empfehle eine Kampagne, damit dem in Deutschland herrschenden Spar-Stumpfsinn etwas entgegengesetzt wird, und damit es vielleicht aufhört, dass die Nation die haushälterischen Prinzipien von "Jährlichkeit, Jährigkeit und Vorjährigkeit" feiert. Sie sind schon in Friedenszeiten finanzpolitischer Schwachsinn, in Kriegszeiten sind sie heller Wahnsinn und gefährlich, für die Menschen, die Wirtschaft, die EU, die Ukraine.

Hartmut Krauß, Bielefeld

Schulden als Allheilmittel

Auch Heribert Prantl gehört zu denjenigen, die Schuldenmachen als Allheilmittel für die Lösung aller Gesellschaftsprobleme halten. Kein Wort, kein Satz zur Möglichkeit, erst einmal die Ausgabenseite zu überprüfen, etwa klimaschädliche Subventionen und steuerliche Betrugs- und Umgehungstatbestände. Herr Prantl geht das Problem von der falschen Seite an. Nicht die Schuldenbremse ist das Problem, sondern die Angst der Politiker, das Richtige zu veranlassen, auch wenn sie das die Wiederwahl und damit die Macht kostet.

Hans-Kurt Henning, München

Demokratische Entscheidung

Ich bitte Sie aber zu bedenken, dass die "Freunde der Schuldenbremse" vor 14 Jahren die Zwei-Drittel-Mehrheit des Bundestages und des Bundesrates waren. Es handelt sich damit nicht um eine vom Himmel gefallene Utopie der "Freunde der Schuldenbremse", sondern um eine demokratisch verabschiedete, verfassungsrechtlich bindende Regelung zur Begrenzung der Staatsverschuldung.

Wir leben glücklicherweise in einer Demokratie, in der die Gesetze durch ein Zwei-Kammern-System verabschiedet werden. Dass die Hürden für die Änderung der rechtlich höchstrangigen Verfassung höher sind als die für die Änderung einfacher Gesetze, muss ich Ihnen nicht erklären. Trotzdem hat sich vor 14 Jahren eine Mehrheit im Bundestag und Bundesrat gefunden, die die Schuldenbremse in die Verfassung aufgenommen hat.

Gleichermaßen besteht seitdem die Möglichkeit, die Verfassung mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit wieder zu ändern. Diese Mehrheit hat sich bislang nicht gefunden. Auch wenn es wirtschaftlich und politisch gesehen gute Gründe gäbe, die Schuldenbremse zu modifizieren: Solange dies nicht der Fall ist, ist die Schuldenbremse in diesem Land Teil der Verfassung. Das Gesetz gilt es in einem Rechtsstaat zu respektieren.

Dr. Ricarda Pantze, München

Warum 0,35 Prozent?

Die Schuldenbremse wird intensiv diskutiert. Jedoch habe ich bisher keine Erklärung gefunden, weshalb als Grenze für die Nettokreditaufnahme gerade die Zahl 0,35 Prozent des Bruttoinlandsproduktes im Grundgesetz festgeschrieben wurde. Weshalb nicht 0,28 Prozent oder 0,375 Prozent oder 0,47 Prozent? Hat genau diese Zahl eine so hohe volkswirtschaftliche Bedeutung und gibt es eine nachvollziehbare Begründung dafür?

Ist das Grundgesetz wirklich der richtige Ort, um dort eine Zahl hineinzuschreiben, die seinerzeit von einer Mehrheit für "schön" beziehungsweise "heilig" befunden wurde und die heute auf die letzte Kommastelle eingehalten werden muss? Könnte es sein, dass man lieber an einem Fetisch festhält, als ernsthafte Politik zu machen?

Karl Mertens, München

Danke für nichts, Herr Merz!

Ganz herzlichen Dank, Herr Prantl, für diese treffende Kolumne, Sie sprechen mir aus dem Herzen. Die Welt schüttelt offenbar den Kopf über uns; der dänische Ökonom Jacob Funk Kirkegaard befindet im Spiegel: "Die Schuldenbremse ist eine Verrücktheit!"

Und wer hat uns das alles eingebrockt? Der ewig-gestrige Friedrich Merz, dessen Chuzpe mich wundert, denn er sitzt in allen Talkshows und glaubt noch immer, das Richtige getan zu haben. Möge der kluge Wähler ihn abstrafen: Dieser Mann gehört nicht ins Kanzleramt, seine Ansichten sind so veraltet wie die Schuldenbremse in ihrer jetzigen Form oder überhaupt.

Gabriele Rohlfes, Tübingen

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