Leserbriefe:In die Röhre schauen

Lesezeit: 3 min

Manuela Schwesig (SPD) besucht im Jahr 2021 am Industriehafen von Lubmin die Gas-Anlandestation der Ostseepipeline Nord Stream 2. (Foto: Jens Büttner/dpa)

Eine SZ-Reportage betrachtet das Agieren der politischen Akteure rund um Nord Stream 2. SZ-Leser ergänzen die Überlegungen.

"Zusammengeschweißt" vom 17./18. Juni:

Norddeutscher Skandal

Lob und Dank für diese exzellente Reportage! Was für ein Ganovenstück, dieses Nord-Stream-2-Unternehmen mit der ebenso netten wie durchtriebenen Manuela Schwesig als Patin. Dazu ein gefügiger Wirtschaftsminister und eine sich vornehm zurückhaltende Kanzlerin. Immerhin nehme ich befriedigt zur Kenntnis, dass wir Nordlichter nun einen Skandal samt Wählertäuschung aufzuweisen haben, der dem Maut- und Stammstreckendebakel in Bayern ebenbürtig ist.

Hermann Engster, Göttingen

Amerikanische Wirtschaftspolitik

Die Autorinnen und Autoren des Artikels verkennen die Praxis der extraterritorialen Gesetzgebung, mit der die USA die Souveränität selbst mit ihnen verbündeter Staaten einzuschränken pflegen. Oft reicht bereits die Drohung aus dem Weißen Haus oder dem Kongress, die Geschäftsaktivitäten ausländischer Unternehmen in den USA dauerhaft zu verbieten, falls diese an Projekten in Drittstaaten beteiligt sind, die den geostrategischen Interessen der USA entgegenstehen.

Im Falle von Nord Stream 2 waren - bei aller Fragwürdigkeit des Projektes - durchaus auch wirtschaftliche Eigeninteressen im Spiel, um Deutschland zur Abnahme von Flüssiggas zu zwingen. Deutsche Regierungen haben versucht, diese umstrittene extraterritorialen Rechtsansprüche entweder zu umgehen oder (vergeblich) infrage zu stellen. Im Falle Irans haben sich vor allem Unternehmen aus dem Banken- und Finanzsektor schleunigst von marginalen Geschäften zurückgezogen, um ihre Präsenz auf dem amerikanischen Markt nicht zu gefährden, noch bevor die USA Sanktionen verhängt hatten. Der Hinweis auf diese Gesetzgebung ist völkerrechtswidrig und das festzustellen, hat nichts mit Antiamerikanismus zu tun.

Dr. Richard Kiessler, Essen

Das klang früher anders

Ihr informativer Artikel wäre noch informativer gewesen, wenn sie auch berichtet hätten, dass zur fraglichen Zeit in der SZ folgendes Narrativ sehr präsent war: Die USA sind gegen Nord Stream 2, weil sie ihr eigenes Gas verkaufen wollen - und Fracking-Gas aus USA geht gar nicht, weil zu umweltschädlich.

Manfred Reiss, Unterhaching

Keine "günstige Versorgungsbrücke"

Nach Manuela Schwesig habe man sich für Nord Stream 2 eingesetzt, weil das dadurch importierte Gas "als günstige Versorgungsbrücke in das Zeitalter der erneuerbaren Energien" dienen sollte. Dies ist sachlich falsch. Dies weist Claudia Kemfert in ihrem im Frühjahr dieses Jahres erschienenen Buch "Schockwellen. Letzte Chance für sichere Energien und Frieden" nach.

Artur Borst, Tübingen

Geld regiert die Welt

Egal, welche Partei die Ministerpräsidentin oder den Ministerpräsidenten oder auch Kanzlerin oder Kanzler stellt: Letztlich regiert die Wirtschaft. Deren Wohlstand, also auch unser Wohlergehen als Gesellschaft, sind voneinander abhängig - und von billiger Energie.

Mannesmann, Röhrengeschäft, 70er-Jahre? Klingelt da irgendetwas? Trump, Mnuchin, Getz? Ein reizendes Trio. Demokraten durch und durch. "Demokraten", im griechischen Sinne des Wortes gemeint. Energie. Opec. Saudi-Arabien. Vereinigte Arabische Emirate. Katar. Bahrain. Lupenreine Demokratien. Achten die Menschenrechte. Ohne Rücksicht auf Verluste. Vorkämpfer für Gleichberechtigung. Solange Frauen sie nicht offen einfordern.

Die Geschichte, die Sie berichten, ist für sich genommen eine Geschichte aus dem Tollhaus. Es wäre dennoch fair, das Geheule der welt- und redegewandten deutschen Wirtschaftsführer zum Thema "Kosten für Energie" in diesen Kontext zu stellen.

Es wäre auch ein Beitrag zum Verständnis, wenn Sie Deutschlands Anteil an anderen Energiequellen (Öl) und an anderen Liefernationen dargestellt hätten. Politik kann ein schmutziges Geschäft sein. Stimmt.

Wir, die wir Energie verbrauchen, im Kfz oder im Haushalt, oder Profiteure von geringen Energiekosten, die in jedem Produkt des täglichen Lebens stecken, sollten selbstkritisch hinterfragen, ob wir höhere Energiekosten und einen niedrigeren Lebensstandard hinnehmen wollen würden.

Der aktuelle Höhenflug der AfD ist ein Hinweis auf das Gegenteil. Energie verteuern zu wollen, ist ein Garant für weniger Stimmenanteile bei einer Wahl. Das ist eine Erkenntnis aus fast 75 Jahren Demokratie in Deutschland. Die Geschichte ist für mich stimmig und glaubhaft. Sie ist dennoch unvollständig.

Michael Odenthal, Kiel

Lauschangriff

"Abhören unter Freunden: Das geht gar nicht." So Angela Merkel nach Aufdeckung der US-Abhöraktionen gegen deutsche Politiker. Das scheint zumindest der Verfasser völlig vergessen zu haben. Aufgrund dieser Vergesslichkeit wird dann der Nord-Stream-Manager Matthias Warnig pathologisiert als jemand, der im Kalten Krieg stecken geblieben sei, wenn er persönliche Treffen vorzieht.

Passend zu der naiven Vorstellung, als würden US-Geheimdienste ausgerechnet Nord-Stream-Entscheidungsträger nicht abhören, ist die Selbstverständlichkeit, mit der den gesamten Text hindurch extraterritoriale Sanktionen offensichtlich als selbstverständliches Recht der USA angesehen werden.

Es macht mich fassungslos, dass es über drei Seiten hinweg kaum eine Belanglosigkeit gibt, die der Verfasser nicht für berichtenswert hält, aber gleichzeitig die Motive für die Nord-Stream-Entscheidung auf die Gier nach billigem Gas reduziert werden.

Bruno Fischer, Köln

Hinweis

Leserbriefe sind in keinem Fall Meinungsäußerungen der Redaktion, sie dürfen gekürzt und in allen Ausgaben und Kanälen der Süddeutschen Zeitung , gedruckt wie digital, veröffentlicht werden, stets unter Angabe von Vor- und Nachname und dem Wohnort. Schreiben Sie Ihre Beiträge unter Bezugnahme auf die jeweiligen SZ-Artikel an forum@sz.de . Bitte geben Sie für Rückfragen Ihre Adresse und Telefonnummer an. Postalisch erreichen Sie uns unter Süddeutsche Zeitung, Forum & Leserdialog, Hultschiner Str. 8, 81677 München, per Fax unter 089/2183-8530.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: