Evangelische Kirche:Macht und Missbrauch

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SZ-Zeichnung: Karin Mihm (Foto: Karin Mihm)

Auch in der evangelischen Kirche gibt es tausende Menschen, die sexualisierte Gewalt erfahren haben. Auf die neue Studie reagieren einige SZ-Leser mit sehr grundsätzlichen Überlegungen.

"Schwarzer Peter in der Kirche" vom 2. Februar:

Trennung von Staat und Kirche

Jetzt fragen sich viele, wie das alles auch in der evangelischen Kirche geschehen konnte. Sexueller Missbrauch ist vor allem Machtmissbrauch. Meine Erfahrungen mit Religion haben seit frühester Kindheit auch immer das Thema Sexualität berührt, auf "protestantische" Art und Weise, verbunden mit generationsübergreifend belastenden Folgen. Der Verzicht auf Macht in jeder Hinsicht wäre also der sicherste Weg in eine missbrauchsfreiere Zukunft. Der erste Schritt in diese Richtung könnte die längst überfällige Beendigung der Verbindungen von Staat und Kirche sein. Der Eintritt in diese Religionsgemeinschaft vor 65 Jahren war für mich umsonst und fremdbestimmt. Für den Austritt musste ich 30 Euro an ein Amtsgericht bezahlen und 60 Euro an einen Notar, um nicht monatelang auf einen Termin bei Gericht warten zu müssen. Das geht so einfach nicht. In einer evangelischen Pfarrersfamilie aufgewachsen, war mein Weg bis zu meinem Austritt lang und sehr schmerzhaft, und es schmerzt noch heute. Gleichzeitig war er alternativlos.

Utz Michael Krause-Sparmann, Bielefeld

Immer nur Einzelpersonen?

Großes Lob an Frau Zoch für den Artikel. Sie hat treffend und umfassend den Problembereich des Missbrauchs in der evangelischen Kirche ausgeleuchtet. Ich bin ich von Jugend auf christlich erzogen worden und habe von meinem Glauben nach außen nie ein Geheimnis gemacht. Aber zu meiner evangelischen Landeskirche Württemberg habe ich ein besonders kritisches Verhältnis. Was wohl sicher bewusst nicht im Vordergrund steht, sind die Betroffenen, um die es eigentlich geht und denen man mit all dem Leid, den Verletzungen und Demütigungen, die sie erfahren haben, manches gerade auch in der Aufarbeitung ersparen könnte, wenn man sie umfassend einbeziehen und damit mit Respekt behandeln würde. Wenn diese sich dagegen ausgegrenzt fühlen, ist das beschämend.

Frau Zoch schreibt zu Recht, es gebe "keinen offenen Umgang mit Macht, keine Antwort auf die Frage: Wer ist verantwortlich?" Es waren dann immer Einzelpersonen, auf die man Schuld abladen kann und konnte. Dass aber gerade in pietistischen und evangelikalen württembergischen Kirchenkreisen Verantwortungsträger sich anmaßen zu entscheiden, was Schuld ist und dann die "Schuldigen" auch noch selber bestrafen, öffnet dem Missbrauch Tür und Tor.

Klaus Eggert, Stuttgart

Missbrauch zerstört Leben

Junge Menschen sind vertrauensvoll, offen, interessiert, leicht zu beeindrucken und zu manipulieren. Missbrauch ist keine Bagatelle. Missbrauch zerstört Leben. Nach einem Missbrauch ist kein normales Leben mehr möglich. Jeder Schritt, jeder Versuch, eines zu führen, braucht Mut, Kraft und sehr viel Anstrengung. Wo ist der Aufschrei innerhalb der Kirchen, wenn die Lösung die Versetzung der Täter oder Täterinnen ist? Wer wird hier geschützt?

Barbara Hölscher, Norden

Religionen bessern sich nicht

Die christliche Lehre baut von Anfang an auf Lügen auf, wie wohl alle anderen Religionen auch. Wesentliche Aussagen der Bibel, die Christus zugeschrieben wurden, müssen erfundene Geschichten sein. Ein Grund, der Bibel ansonsten zu glauben, besteht offensichtlich auch nicht.

Dies zwingt und rechtfertigt die Schlussfolgerung, dass Religionen hauptsächlich Machtapparate sind. Die katholische Kirche will den Stellvertreter Gottes ernennen dürfen. Auch die Religionskriege in Europa beweisen, dass Religionen nichts anderes sind als Machtapparate, die zwingend verboten gehören. Man darf nicht darauf vertrauen, dass sie sich bessern. Auch dies beweist Ihr Artikel.

Thorsten Effing, Stuttgart

Schande für die Kirche

Wenn Kirchenleute Kinder missbrauchen, ist das eine Schande für die Kirche, die sich doch als Anwalt der Schwachen versteht. Dass sich die Studie auf kirchliche Disziplinarakten stützt, zeigt, dass die Kirchenleitungen durchaus aktiv wurden. Allerdings sind die Möglichkeiten der Kirchenführung, eigene Untersuchungen anzustellen, juristisch wie technisch eng begrenzt.

Ferner stellen sich mir noch einige Fragen: Haben die Eltern oder die nächsten Verwandten der Kinder wirklich nichts von dem oft jahrelangen Missbrauch bemerkt? Wenn doch, warum haben sie nicht die für die Aufklärung von Verbrechen zuständige Polizei informiert? Hat die eingeschaltete Polizei die Ermittlungen mit dem nötigen Nachdruck betrieben?

Christian Fuchs, Gutenstetten

Für starke Kirche eintreten

Einer guten Mehrheit will ich sagen: Viele brauchen Euch! In dieser Welt ist eine starke Kirche wichtig. Sonst drohen andere Mächte. Daher sollten wir aufmerksam sein, gegen Schlechtes und für Gutes eintreten, nötige Veränderungen mitgestalten.

Johannes Laubrock, Aurich

Und was ist mit Schulen?

Was ist denn eigentlich mit den Schulen? Ist dieses Thema zu "heiß"? Auch Schulen sind eine Art "Herrschaftsraum", und Gelegenheiten zu Missbrauch gibt es reichlich: Pausen, Klassenfahrten, Ausflüge, Fachräume, und so weiter. Ich glaube einfach nicht, dass das Canisius-Kolleg, Kloster Ettal oder die Odenwaldschule plus ein paar andere die einzigen sind, an denen Missbrauch passierte.

Renate von Törne, Hof/Saale

Missbrauchskrise nicht vorbei

Uns ist allen klar, gerade uns Betroffenen von sexualisierter Gewalt, dass die Missbrauchskrise mit der Veröffentlichung der "ForuM-Studie" nicht vorbei ist. Weder für uns persönlich, noch für die evangelische Kirche. Ganz konkret heißt das für mich: Der Diakon, der mich missbraucht hat, und diejenigen, die ihm das ermöglicht haben, sind dafür bis heute nie zur Verantwortung gezogen worden.

Es ist für uns als Betroffene unerträglich, die Diskrepanz zwischen dem Auftreten kirchlicher Akteure in der Öffentlichkeit und ihrem Handeln uns gegenüber auszuhalten. Wir geouteten Betroffenen begleiten immer auch andere Betroffene. Wir tun das in der Regel nebenbei, unentgeltlich und manchmal bis an die Grenze unserer eigenen Erschöpfung. Doch nicht wir Betroffene müssen aufklären und aufarbeiten, das muss die Kirche schon selbst machen. Die kirchliche Leitung relativiert und retraumatisiert weiter, während sie zugleich der Öffentlichkeit und dem Kirchenvolk erzählt, dass sich doch vieles inzwischen gebessert habe und dass man jetzt ganz intensiv Prävention betreibe und schonungslos aufkläre - was die Synodalen und die Öffentlichkeit nur allzu gerne hören und glauben wollen.

Wir haben ein massives Problem, und das ist die Illusion von der Kirche als heiler Welt. Es klingt absurd, aber auch in einer Zeit, in der das Wort "Kirche" fast schon synonym mit dem Wort "Missbrauch" ist, halten viele noch an Illusionen über die Kirche fest. Das sind Illusionen, die wir als Betroffene auch hatten. Viele von uns Betroffenen glaubten an die Kirche, auch nach dem Missbrauch noch. Ja, dieser eine Diakon in diesem einzelnen Heim, dieser einzelne Pfarrer - aber wenn die Kirche das erfährt, dann werden sie sich kümmern, ermitteln, Gerechtigkeit herstellen ... Und auch wenn es in meinem Fall nicht geklappt hat, so können wir doch der Kirche grundsätzlich vertrauen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis genug Verantwortliche den Ernst der Lage begriffen haben. Dann werden sie handeln.

Diese Hoffnung weicht dann einer stufenweisen und extrem schmerzhaften Desillusionierung. Wir, die Betroffenen, für uns alle gilt: Wer das überlebt hat, was wir überlebt haben, dem macht diese Kirche nichts mehr vor.

Klaus Spyra, Schweinfurt

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