Leserbriefe:Umstrittene Profite mit Krebsmedikamenten

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Bei der Krebstherapie geht es um Leben und Tod. Und bei der Herstellung dieser Medikamente um viel Geld. (Foto: Florian Peljak)

Auf die Frage, ob Apotheker für maßgeschneiderte Krebstherapeutika unlautere Preise verlangen, haben SZ-Leser unterschiedliche Antworten.

" Das Krebskartell" vom 22. Juli:

Ignoranz der Kassenvertreter

Dass eine Seite Geschäfte machen will, wenn auch in unanständigem Umfang, ist eine Sache. Die andere ist aber die absolute Ignoranz der Kassenvertreter, sprich der Verwalter der Beiträge der "Zwangsmitglieder" der gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV). Wie kann es sein, dass über Jahre keine Preiskontrollen von Chemotherapeutika erfolgten , dass dem Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherungen "keine Preislisten von Großhändlern vorlägen", der Vertreter der GKV sich auch "die Listen nicht ansehen wolle"?

Hier muss Lauterbach, muss der Sozialverband VdK Deutschland einsteigen - und Sie als Journalisten sowieso. Wenn die Kassenvertreter es nicht für nötig halten, diese Listen, wenn sie denn nicht vorlägen, regelmäßig anzufordern, bleiben für einen normalen Menschenverstand nur die Folgerungen: Diese Herren sind keine Vertreter der Interessen ihrer Kassenmitglieder. Sie sind unqualifiziert und sollten sofort von ihren Diensten suspendiert werden.

Dr. med. Christoph Steidle, Feldkirchen-Westerham

Preise sind angemessen

Chemotherapie besteht darin, dem Körper Zellgifte zuzuführen, die die Krebszellen abtöten. Der Patient wird durch diese Gifte künstlich so nah wie möglich an den Rand des Todes gebracht um die Rückfallquote zu minimieren. Die Zellgifte und entsprechende Gegengifte werden zeitlich gestaffelt verabreicht, wobei die Therapie ständig an die Reaktion des Patienten angepasst werden muss.

Die Rahmenbedingungen, die die Chemotherapiebeutel für einen Patienten erfüllen müssen, sind extrem: Sterilität (die Patienten haben kein funktionierendes Immunsystem mehr); Verfügbarkeit (24 Stunden / 365 oder 366 Tage im Jahr); Zuverlässigkeit (das richtige Medikament muss in der richtigen Menge zur richtigen Zeit zum richtigen Patienten). Jeder Fehler bei der Vorbereitung der Beutel bringt den Patienten näher zur falschen Seite des Randes des Todes.

Das Preisverhältnis zwischen Großhandel und Einzelhandel von alltäglichen Gegenständen wie zum Beispiel Senftuben, Toilettenpapier, Fertigpizzen, Autobatterien et cetera dürfte bei circa eins zu zwei liegen. Der überwiegende Teil dieser Preisdifferenz wird durch Gemeinkosten verursacht. In Anbetracht der notwendigen Sorgfalt ist ein Verhältnis von eins zu drei zwischen Einkaufs- und Verkaufspreis für die Chemotherapiebeutel nicht nur nicht exzessiv, sondern vollauf angemessen.

Ich hatte in den vergangenen vier Monaten durch eine Lymphomerkrankung meines Sohnes einen Logenplatz in der Onkologiestation eines Kinderkrankenhauses. Ich rege an, dass Sie einige Tage auf einer Kinderkrebsstation verbringen, um umfassend und fundiert über die angemessene Höhe der Kosten von Chemotherapie urteilen zu können. Erleben Sie einmal mit, wie einem jungen Menschen, dessen Immunsystem neutralisiert ist, an einem Feiertag, während der Rest der Republik frei hat, Zellgift aus einem Beutel injiziert wird, von dem Sie nur hoffen können, dass bei der Zubereitung nicht der kleinste Fehler unterlaufen ist und dass am nächsten Tag auch das Gegengift in korrekter Menge geliefert wird.

Als Popcorn-Version davon empfehle ich Ihnen das Buch "Zwischen zwei Leben" von Guido Westerwelle. Wenn Sie danach auf Basis der von Ihnen genannten Zahlen immer noch der Ansicht sind, ein Beutel Chemotherapie würde von Apotheken zu teuer verkauft und es bestünden zehn Prozent Einsparpotenzial, dann lasse ich Ihnen diese Meinung gerne.

Oliver Tischner, Toulouse

Standeswidrige Erpressung

Der Artikel motiviert mich aus drei Gründen zu einer Wortmeldung: Zum einen bin ich Mitglied einer staatlichen Krankenversicherung und finanziere auch mit meinen Beiträgen das von Apothekern leicht verdiente "Pharmagold", da ich zweitens 2019 an Krebs erkrankte und mich einer Chemotherapie (nebst Bestrahlung) unterziehen musste. Drittens lebe ich im sächsischen Vogtland unweit des "überschaubaren Ortes", in dem Robert Herold seine Apotheke betreibt. Im Beitrag wird die Kleinstadt im Vogtland nicht explizit genannt. Und da lese ich schon mit großem Erstaunen, gemischt mit Entsetzen und Zorn, dass Robert Herold berichtet, eine Onkologin habe von ihm verlangt, er solle 5000 Euro im Monat an sie zahlen, um in den Genuss von Rezepten von ihr für Chemo-Infusionen zu kommen. Ein anderer Onkologe habe dafür "sogar 20 000 Euro im Monat gefordert". Gefordert. Das kann man sich auf der Zunge zergehen lassen: Es ist Erpressung, Nötigung und was der juristischen Begriffe mehr sind, die darauf anwendbar wären. Da aber ohne Richter kein Henker und stets die Kleinen gehängt werden, bleibt dieses auch ethische und standeswidrige Verhalten mit Sicherheit unbestraft.

Dr. Lutz Behrens, Plauen

Gier und Fehlanreize statt Patientenwohl

Herrn Herold gebührt Dank, dass er im Sinne der Solidargemeinschaft handelt, und Respekt, dass er sich durch sein Handeln angreifbar macht. Als Berufskollege von Herrn Herold und ebenfalls in der Onkologie tätiger Apotheker sind mir die Umstände wohlvertraut. Wesentlichster Kritikpunkt der Berichterstattung ist der Umstand, dass Einkaufs- und Abrechnungspreise onkologischer Präparate teilweise deutlich divergieren. Von diesem Zustand profitieren die Apotheken und Unternehmen, die Fertigarzneimittel beziehen und aus diesen Infusionslösungen herstellen.

Durch die infrastrukturellen Voraussetzungen, insbesondere in Bezug auf Hygiene und Arbeitsschutz, erfordert die Herstellung der Infusionen einen baulichen, technischen, personellen und organisatorischen Aufwand, der einer industriellen Fertigung von Arzneimitteln zunehmend angenähert wird. Dies führt zu einer Marktkonzentration und dazu, dass nur wenige Apotheken in der Lage sind, entsprechende Abteilungen aufzubauen und aufrechtzuerhalten. Um dennoch allen niedergelassenen Apotheken eine Beteiligung an der onkologischen Versorgung zu ermöglichen - auch im Sinne der weiterhin bestehenden freien Apothekenwahl aller Versicherten - bleiben Apotheken ohne eigene Herstellungsabteilung zwei Möglichkeiten: 1) Die Herstellung wird bei einer Krankenhausapotheke in Auftrag gegeben (§ 11 Abs. 3 ApoG) oder 2) die Zubereitungen werden von Herstellungsbetrieben mit Erlaubnis nach § 13 AMG bezogen.

Herr Herold stellt als Apotheker mit eigenen Herstellungsräumlichkeiten eine Seltenheit dar. Die Mehrheit der niedergelassenen Apotheken mit Versorgung onkologischer Infusionen beziehen ihre Zubereitungen über einen der beiden genannten Wege. Gleich, welche Möglichkeit genutzt wird, sind mir aus meiner beruflichen Laufbahn nur Kooperationen bekannt, bei denen die Differenz zwischen Einkaufs- und Abrechnungspreis nicht an die auftraggebenden Apotheken weitergeleitet wird, sondern vom herstellenden Betrieb einbehalten wird. In der Praxis folgt daraus, dass die abgebenden Apotheken zwar rechtlich das volle Risiko des Prozesses tragen, die Erlöse aber großteils in den herstellenden Betrieben verbleiben - die Konditionen des Bezugs werden zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer ausgehandelt.

Weiterhin wurden die Konditionen in der Versorgung von Privatversicherten dargestellt und kritisiert. Lege artis liegen die Abrechnungspreise in diesem Versorgungsverhältnis höher als in der Versorgung durch gesetzliche Krankenversicherungen (GKV). Die Kostenreduktionsmaßnahmen des Sozialgesetzbuches V (SGB V) und der darauf beruhenden Rahmenverträge gelten nur für die GKV, nicht aber für die privaten Krankenversicherungen (PKV). Bei der Abrechnung von Arzneimitteln gegenüber Privatversicherten kommen nur die Vorgaben der Arzneimittelpreisverordnung zur Anwendung. Oftmals resultieren dabei höhere Abrechnungspreise als in der GKV-Versorgung - ein Preis, den man meines Erachtens zu zahlen bereit sein sollte, wenn man sich aus dem Solidarsystem freikauft.

Das System krankt leider an wenigen Beteiligten, bei deren moralischem Kompass der Nutzen der Gesellschaft und das Streben nach Geld und Einfluss Antipode bilden, siehe Beteiligung an medizinischen Versorgungszentren und dadurch wirtschaftliche Einflussnahme auf das Verordnungsverhalten. Eine finanzielle Beteiligung verordnender Personen am Erlös der rezeptierten Leistungen ist nicht zulässig, sollte es nie sein und muss von Strafverfolgungsbehörden konsequent geahndet werden. Der Entzug der Approbation ist in diesen Fällen eine berufsgerichtlich durchsetzbare Maßnahme, die auf der Aberkennung der erforderlichen Würdigkeit und Zuverlässigkeit beruht und zusätzlich zur ordentlichen Strafgerichtsbarkeit vollzogen werden kann. Zusätzlich können durch vollständige Weitergabe der Einkaufsrabatte an die gesetzlichen Krankenversicherungen die finanziellen Anreize reduziert werden. Dies erfordert dann allerdings auch eine aufwandsgerechte Herstellungspauschale, siehe Ausführungen zur Infrastruktur.

Die Mehrheit der Beteiligten ist sich der moralischen und gesellschaftlichen Verantwortung bewusst. Sie bildet das Rückgrat des täglichen Handelns, das am Nutzen für die Patientinnen und Patienten ausgerichtet ist. Fehlanreize zu minimieren und aufwandsgerecht zu vergüten, wäre sicherlich ein Schritt, der Kosten senken und die Gesundheitsversorgung verbessern kann. Unabhängig von den geschilderten Praktiken bleibt Versicherten die freie Apothekenwahl, auch wenn man sich als an Krebs erkrankte Person mit den Folgen der Erkrankung und nicht mit dem Bezug der eigenen Therapien beschäftigen will.

Dipl.-Pharm. Christian Wessel, Hamm

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