EU-Asylkompromiss:"Wir setzen auch unserer Moral Grenzen"

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Migranten in einem Boot südlich der italienischen Insel Lampedusa auf dem Mittelmeer. (Foto: Francisco Seco/AP/dpa)

Die EU hat einen rigorosen Umgang mit Geflüchteten vereinbart. Der neuen Migrationspolitik blicken SZ-Leser unterschiedlich entgegen.

"Nacht der Siegerinnen" vom 10. Juni, "Die Welt, wie sie ist" und "EU-Asylreform spaltet die Grünen", beide vom 9. Juni, und "Lasst die Flüchtlinge rein!" vom 3. Juni:

Keine Sieger

Es gibt keine Sieger bezüglich der erzielten Einigung über die "Grundzüge einer neuen europäischen Asylpolitik". Es gibt nur Verlierer. Moralisch und praktisch. Ich frage mich: Wer gibt uns Europäern das Recht, Menschen, die zu uns kommen wollen, in legale und illegale Migranten einzuteilen, und ihnen nach Kriterien, die noch gar nicht feststehen, also (vorläufig) willkürlich sind, das Kommen zu uns zu verweigern? Legal und illegal ist das eine, legitim und illegitim das andere.

Für mich ist legitim, dass Migration keine Grenzen kennen darf. Auch vor dem Hintergrund dessen, was vor gut einhundert Jahren, vor allem durch Deutschland dort geschah, von wo jetzt die Asylsuchenden herkommen: Da drangen wir als selbst ernannte Kolonialmacht - legal oder illegal - in Südwest- und Ostafrika ein. Wir waren damals amoralisch - und sind es jetzt wieder.

Wir setzen mit dem "EU-Asylkompromiss" nicht nur der Migration Grenzen, sondern auch unserer Moral. Und erhöhen den Druck auf die Länder, welche bereit sind, legale Asylsuchende aufzunehmen. Wenn man sich für 20 000 Euro, so viel ist also ein Mensch des Globalen Südens wert, von einer Aufnahme freikaufen kann, werden Menschen zu einem Handelsgut. Ich frage mich: Wie viel sind wir im Globalen Norden wert? Nichts. Moralisch gesehen.

Josef Gegenfurtner, Schwabmünchen

Unkontrolliertes Laissez-faire

Durch die vorläufige Einigung der EU-Staaten auf Asylverfahren an den europäischen Außengrenzen hat die Europäische Union an politischer Statur und staatlicher Souveränität etwas hinzugewonnen. Aber ist das Chaos in der europäischen Asyl- und Migrationspolitik nun schon Geschichte? Mit Angela Merkels Entscheidung von 2015, auf einen Schlag 1,1 Millionen Syrer nach Deutschland hereinzulassen, begann eine nicht mehr rationale Flüchtlingspolitik, die vor allem viele Grüne immer noch fortsetzen möchten. Im Interesse Deutschlands und der EU muss das unkontrollierte Laissez-faire jetzt beendet werden.

Dr. Hans Christian Hummel, Hannover

Was für ein Europa

Sie schreiben, es ist an der Zeit, sich die Hände schmutzig zu machen und zuzustimmen, dass Zigtausende Menschen an den Außengrenzen der EU in gefängnisartige Lager gesteckt werden, weil sie sich das Recht nehmen, ihr Herkunftsland zu verlassen. Was übrigens für deutsche Staatsbürger als Selbstverständlichkeit gilt. Diese Freiheit wird in der Regel als selbstverständlich betrachtet.

Ganze Familien mit ihren Kindern können über Jahre in Gefängnislagern, ohne Recht auf juristischen Beistand, festgehalten werden. Mit Nato-Stacheldraht und bewaffneter Security. Das wird nicht erwähnt. Das alles, um den Zusammenhalt Europas nicht zu gefährden. Wie weit sind Sie bereit für diese europäische Einheit zu gehen?

Hedwig Fuß, München

Gerechtigkeit braucht Kompromisse

Der Argumentation Steinkes ist insoweit zuzustimmen, dass eine gerechte Regelung internationaler Migration im Sinne der Prinzipien von John Rawls sich nicht allein am nationalen Eigeninteresse orientieren darf. Faire Regeln müssen auch die Nöte und Bedürfnisse der Migrationswilligen sowie jene der Gesellschaften der Herkunftsländer berücksichtigen. Gerechtigkeit erfordert Interessenausgleich, international vereinbarte Regeln.

Steinke irrt aber, wenn er die Bedürfnisse und Nöte von Migrierenden zum alleinigen Maß für eine gerechte Ordnung im Sinne aller Menschen erhebt. Nur weil wir alle einmal in die Verlegenheit kommen könnten, migrieren zu müssen oder zu wollen. Gerechtigkeit muss auch die Interessen von Alteingesessenen in aller Welt berücksichtigen. Diese müssen zwar nicht mit denen von Zugewanderten konkurrieren. Können dies aber, etwa wenn es um knappe Ressourcen oder um hart erkämpfte Sozialleistungen oder Lohnniveaus geht.

Gerechtigkeit bedarf also stets eines Kompromisses, der die Interessen von Migrierenden, deren Herkunftsländern und jener der Zielländer gleichermaßen berücksichtigt. Deshalb ist internationale Migration beziehungsweise Niederlassungsfreiheit auch kein Menschenrecht, kann dies in einer für alle gerechten Welt auch nicht sein. Vielmehr gilt es zwischen dem Menschenrecht auf Asyl für Schutzbedürftige und dem legitimen, aber nicht absolut zu bewertenden Interesse von Menschen, die nach besseren Existenzbedingungen suchen, zu unterscheiden. Das Völkerrecht tut dies. Steinke versucht dies zu vermeiden.

Wer vor Krieg und Verfolgung flüchtet, braucht Recht auf absoluten Schutz, muss aber die Schutzbedürftigkeit nachweisen. Wer Arbeit jenseits der Grenzen sucht, sollte entsprechend den Arbeitsmöglichkeiten legalen und sicheren Zugang mit Arbeitsperspektive eröffnet bekommen. Das wäre gerecht im Interesse aller Beteiligten. Ein ungeregelter und unkontrollierter Zugang für Menschen ohne gesicherte Existenzperspektive wird hingegen niemandem gerecht.

Der Zugang für Asylbedürftige muss verbessert werden. Der legale Zugang für benötigte Arbeitskräfte muss erweitert werden. Beides wird nur gelingen, wenn wir für beide gut, aber unterschiedlich geregelte Zugangswege international vereinbaren. Nicht aber, wenn wir einfach eine Liberalisierung des Asylrechts zugunsten von Arbeitssuchenden fordern.

Prof. Dr. Theo Rauch, Berlin

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