Wirtschaftspsychologie:Hungriger Richter - hartes Urteil

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Richter konzentrieren sich den ganzen Tag und urteilen neutral? Von wegen. Eine Studie belegt: Nach dem Essen fallen Urteile gnädiger aus. Diese Erkenntnis könnte auch für Bewerbungsgespräche Folgen haben.

Christian Weber

Wer guten Gewissens vor Gericht zieht, hofft in aller Regel, dass Justitia mit verbundenen Augen sorgsam Argumente und Indizien abwägt, bevor sie das Richtschwert ergreift und zuschlägt. Vielleicht wäre es jedoch besser, dafür zu sorgen, dass sie gut gefrühstückt hat oder zumindest gelegentlich einen Müsliriegel zugeschoben bekommt. Diesen Schluss legt zumindest eine Studie nahe, die jetzt von einen Forscherteam um Shai Danziger von der israelischen Ben Gurion Universität und Jonathan Levav von der New Yorker Columbia University publiziert wurde ( PNAS, online).

Richter urteilen härter, wenn sie Hunger haben. Im Bild: die Richter des Ersten Senats des Bundesverfassungerichts. (Foto: APN)

Um versteckte Einflussgrößen bei Justizentscheidungen zu entdecken, untersuchten die Wirtschaftspsychologen 1112 Urteile, die acht verschiedene Richter zweier israelischer Gerichtshöfe in 50 Verhandlungstagen fällten. Immer ging es um die Frage, ob Häftlinge auf Bewährung freigelassen oder Auflagen erlassen werden.

Das Ergebnis ist ernüchternd für Menschen, die an eine rationale Prozessführung glauben: Es zeigte sich nämlich, dass alle Richter zu Beginn eines Sitzungstages 65 Prozent der Anträge positiv beschieden, dann aber zunehmend ablehnender urteilten, bis sie schließlich jedes Gesuch ablehnten.

Nach einer Frühstückspause am Vormittag und dem Mittagessen wiederholte sich dieser Verlauf: Die Sitzungen begannen wiederum mit etwa 65 Prozent Zustimmungsraten und sanken dann kontinuierlich ab. Dieses Muster entdeckten die Forscher bei jedem Richter an jedem Verhandlungstag. Dabei wurde ausgeschlossen, dass andere Variablen für dieses Ergebnis verantwortlich sind, etwa eine nach bestimmten Kriterien organisierte Reihenfolge der vor Gericht verhandelten Fälle. "Man ist immer überrascht, wenn man Effekte findet, die man nicht finden will", sagte Studienautor Levav der Nachrichtenagentur AP. "Als Sozialwissenschaftler begeistert einen das, aber als normaler Bürger will man das lieber gar nicht wissen."

Nur spekulieren können die Forscher, woran das zunehmend negative Entscheidungsverhalten der Richter liegt, zumal sie nicht deren Stimmungsverlauf während des Gerichtstages erheben konnten. Die Autoren vermuten jedoch in Anlehnung an die allgemeine Forschungslage, dass eben auch Richter bei zunehmender geistiger Erschöpfung für den Status quo votieren, weil das am wenigsten Anstrengung bedeutet. Vermutlich zeigten auch Experten anderer professioneller Bereiche ähnliche Verhaltensmuster, wenn sie in Reihe über wichtige Dinge entscheiden müssten, etwa in der Gesetzgebung, in der Medizin, bei Finanzanlagen oder Bewerbungsgesprächen.

© SZ vom 13.04.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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