Wie Lehrer Schüler fördern:"Der Rotstift hilft nicht weiter"

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Wenn Lehrer Fehler im Diktat rot anstreichen, bringt das Schülern nur wenig, meint Bildungsprofessor Schönweiss. Ein spezielles Analyseverfahren soll die wahren Schwächen der Kinder erkennen.

M. Peters

Wie lässt sich Förderbedarf bei Rechtschreibung und Grammatik individuell erkennen? Die Bildungskampagne Lisa hat ein neues Analyseverfahren für Lehrer entwickelt, das Instrument wird zusammen mit dem Bundesverband Legasthenie kostenlos angeboten. Laut Friedrich Schönweiss, Professor für Bildung und neue Medien an der Uni Münster, sollen die Pädagogen damit schnell nötige Fördermaßnahmen erkennen.

Friedrich Schönweiss, Professor an der Universität Münster, will die Schwächen von Schülern besser analysieren. (Foto: privat)

SZ: Lisa bedeutet "Lehreinheiten individuell an Schüler anpassen". Geht das denn mit einem normierten Test?

Schönweiss: In der Tat soll man Kinder nicht über einen Kamm scheren. Lehrer müssen aber wissen, wo genau sie gefordert sind, um ihren Schülern auf die Sprünge zu helfen. Oder bei welchen Kindern sie an ihre Grenzen stoßen und nach neuen Wegen suchen sollten. Die Schüler schreiben deshalb ein Lückendiktat, der Lehrer gibt die Ergebnisse in den Computer ein - das dauert pro Schüler etwa fünf Minuten. Der Lehrer erhält dann in Form einer Rechtschreib-Ampel umgehend eine Einschätzung für jeden einzelnen Schüler, für seine Klasse erhält er einen genauen Überblick über die anstehenden Förderschwerpunkte. Bei Klassen mit 30 Schülern können sich Lehrer diesen differenzierenden Blick auf Stärken und Schwächen kaum leisten, weshalb sie leider viel zu oft dazu tendieren, ihren Unterricht an einem fiktiven Durchschnittskind auszurichten.

SZ: Prüfen das nicht herkömmliche Diktate bereits?

Schönweiss: Ja, nur hilft der Rotstift, die simple Unterscheidung zwischen richtig und falsch, meist nicht wirklich weiter - das demotiviert Schüler oft nur und geht den Ursachen für die Fehler nicht auf den Grund. Wir wollen die Lehrer dabei unterstützen, auf einzelne Schüler einzugehen.

SZ: Wie funktioniert die Analyse?

Schönweiss: Etwa achtzig Prozent macht der Abgleich mit unserer Datenbank aus. Inzwischen haben wir Ergebnisse von mehr als 200.000 Kindern, und mit jedem Test und jedem Fehler kommt mehr Wissen hinzu. Bei der Auswertung hilft uns zusätzlich ein neu entwickeltes Analysetool; aber letztlich entscheidend ist das förderdiagnostische Gespür unserer Experten, die noch den scheinbar krudesten Fehlschreibungen entnehmen können, was sich ein Kind dabei gedacht hat. Oder hätten Sie gewusst, dass mit "begaxl" ein fränkischer Jugendlicher seinen derzeitigen Beruf zu Papier gebracht hat? - Bäckergeselle. Manchmal aber hören oder sehen Kinder einfach schlecht. Auch solcher Abklärungsbedarf mit Kinderärzten oder Schulpsychologen wird durch unseren Test zutage gefördert.

SZ: Für welche Jahrgangsstufen ist das Konzept geeignet?

Schönweiss: Es empfiehlt sich für Grundschüler ab Ende der ersten Klasse. Laut Lehrplänen sollte die Rechtschreibung spätestens nach der sechsten Klasse kein Problem mehr darstellen. Doch unser Bildungssystem produziert eine nicht zu unterschätzende Anzahl an funktionalen Analphabeten. Selbst an Gymnasien gibt es viel zu tun.

SZ: Hilft das Projekt letztlich nur den schlechteren Schülern?

Schönweiss: Nein. Nur weil ein Kind etwas richtig schreibt, heißt das nicht, dass es auch das Konzept dahinter verstanden hat. Vertiefende Übungen können Souveränität im Umgang mit der Sprache verleihen. Bessere Schüler können ihren Mitschülern aber oft auch etwas beibringen. Und nebenbei profitieren sie selbst von der Arbeit in der Gruppe. Es geht nicht nur um die Rechtschreibung, sondern auch um soziales Lernen. Ich würde gerne ein analoges Projekt für Mathematik starten, und für frühes Fremdsprachenlernen zum Beispiel haben wir die Konzepte bereits entwickelt.

© SZ vom 15.11.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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