Verdienst an Hochschulen:Die Doktoren wollen es nicht anders

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Höchstqualifiziert, ausgebeutet und unterbezahlt: Der akademische Nachwuchs leidet, ohne zu klagen. Gewerkschaften wollen das ändern.

Dagmar Deckstein

Lehrjahre sind bekanntlich keine Herrenjahre. Forschungsjahre des wissenschaftlichen Nachwuchses in meist recht eng gefasster universitärer Freiheit offenbar auch nicht. Während die Studierenden landauf, landab seit Wochen ihre Vorlesungen zu lautstarken Protestveranstaltungen umfunktionieren, weil sie sich gegen die Verschulung des Studiums und unzureichende Arbeitsbedingungen zur Wehr setzen, leiden ihre in ihrer Ausbildung weit fortgeschrittenen Kommilitonen mehr oder weniger still vor sich hin.

Dr. Prekär: Die Doktoranden und wissenschaftlichen Mitarbeiter in ihren Teilzeitjobs an den Universitäten kommen im Schnitt auf 1000 Euro netto im Monat -oder weniger. (Foto: Foto: dpa)

Nach der Definition der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi tun sie das zumindest "objektiv", während sie sich trotz der prekär zu nennenden Lebensumstände subjektiv an der Hoffnung auf bessere Zeiten nach der Promotion festhalten. Die Rede ist von "Dr. Prekär", zu dem Verdi den wissenschaftlichen Mittelbau an deutschen Hochschulen promoviert hat und das auch gleich durch eine umfangreiche Studie belegt.

Ähnlich wie die vor einigen Jahren identifizierte "Generation Praktikum" mit unsicheren und befristeten Tätigkeiten eine Schneise hin zu geregelten Berufslaufbahnen zu schlagen sucht, steht auch dem akademischen Nachwuchs keineswegs die feste und stabile Karriereleiter auf einen Lehrstuhl bereit. Das zumindest ergab eine von der Gewerkschaft in Auftrag gegebene Studie über die bisher kaum beleuchteten Arbeitsbedingungen des wissenschaftlichen Mittelbaus.

Zwischen Karriereaussichten und Abbruchtendenzen

Befragt wurden befristet beschäftigte Wissenschaftler an den Universitäten Oldenburg und Jena sowie der Technischen Universität Berlin. Aus den 931 zurückgesandten Fragebögen ergab sich den Autoren zufolge ein repräsentatives, wenngleich nicht besonders hoffnungsfroh stimmendes Bild der Professores in spe "zwischen Karriereaussichten und Abbruchtendenzen".

Der Soziologe und Mitautor Dieter Grühn von der Technischen Universität Berlin fasst es so zusammen: "Objektiv sind diese Personen prekär beschäftigt, aber es wird von den meisten nicht so empfunden." Man könnte auch sagen, die Universitäten beuten ihre Doktoranden aus, und die lassen das klaglos zu. Bis zu 60 Prozent der jungen Wissenschaftler verbringen ihre Arbeitszeit mit "promotionsfremden Tätigkeiten": Zuarbeit für Vorgesetzte, Verwaltungsarbeiten, Studienberatung.

45 Prozent sitzen auf halben Stellen, arbeiten aber statt 20 Stunden im Durchschnitt 38 Stunden pro Woche, für die Promotion, das eigentliche Kerngeschäft, bleibt also gar nicht die erforderliche Zeit. Eine prominente Teilzeit-Promovendin findet sich in der neuen, 32-jährigen Familienministerin Kristina Köhler, die - allerdings als gut bezahlte Bundestagsabgeordnete - dieser Tage ihre Dissertation "Gerechtigkeit als Gleichheit?" vorgelegt hat und dafür nur zwei bis drei Tage im Monat aufwenden konnte.

Von Befristung zu Befristung

Die Doktoranden und wissenschaftlichen Mitarbeiter in ihren Teilzeitjobs an den Universitäten kommen im Schnitt auf 1000 Euro netto im Monat oder weniger. Dabei beträgt die Befristung der Stellen im Durchschnitt 28 Monate, eine Doktorarbeit nimmt aber im Schnitt 5,7 Jahre in Anspruch. Also heißt es, sich von Befristung zu Befristung hangeln oder anderweitig sehen, wie man sich mit außeruniversitären Nebenjobs über Wasser hält.

Kurz: hochqualifiziert, unterbezahlt und mit wenig rosigen Zukunftsaussichten, zumindest was die weitere Hochschulkarriere anbetrifft, marschiert der akademische Nachwuchs durch die Institution Universität, um dann die Studenten von morgen ihrerseits dem prekären Mittelbau zur Lehre weiterzureichen.

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Nicht von ungefähr entscheiden sich 90 Prozent der Doctores nach der Promotion gegen eine Wissenschaftskarriere im Betrieb Hochschule. Andererseits finden sich auch viele erstaunlich leidensfähig in ihr Schicksal: Fast drei Viertel der wissenschaftlichen Mitarbeiter würde wieder einen Arbeitsplatz an der Hochschule wählen. Grund für diese Leidensfähigkeit ist die hohe Identifikation mit den Inhalten der wissenschaftlichen Arbeit. Wer promoviert, dem liegt in erster Linie daran, sich intensiv mit seinem Fach auseinanderzusetzen. Eine Karriere an der Hochschule steht für viele Befragte erst an zweiter Stelle. Das gilt erst recht für Frauen, von denen 43 Prozent der Befragten die Erfüllung ihres Kinderwunsches erst einmal wegen der unsicheren beruflichen Situation zurückgestellt haben.

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Verdi wittert Potential

Immerhin 100.000 Promovierende zählen die deutschen Hochschulen derzeit, und jährlich werden - Mediziner, bei denen der Doktorerwerb ohnehin obligatorisch ist, ausgenommen - 20.000 Promotionen abgeschlossen. Dazu existieren der Studie zufolge schätzungsweise 20.000 Post-Doc-Stellen, die für die intensive Berufsvorbereitungsphase mit dem Ziel der Berufung auf eine Professur vorgesehen sind. Dafür werden jährlich 2000 Habilitationen angefertigt, davon immerhin 23 Prozent von Frauen.

Insgesamt arbeiten auf dem großen, bundesrepublikanischen Campus mehr als 500.000 Menschen, die mit Forschung, Verwaltung und der Ausbildung der knapp zwei Millionen Studierenden beschäftigt sind. Keine Frage, dass auch die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, die wie die anderen von Mitgliederschwund getroffen ist, hier noch Potential wittert. Zumal nur etwa acht Prozent der Universitätsbeschäftigten gewerkschaftlich organisiert sind.

Alleingelassener Nachwuchs

"Der wissenschaftliche Nachwuchs wird alleingelassen", so die Studie, mit dem "Wissenschaftsstandort Deutschland" sei es nicht weit her. Unter dem Motto ihrer Initiative "Campus der Zukunft" will Verdi zumindest die bessere kommunikative Vernetzung der Betroffenen erreichen. Das dürfte bei den vor allem in ihre Forschungsarbeit vertieften Doktoranden und Post-Doktoranden nicht die leichteste Übung werden.

Das gibt auch Hans-Jürgen Sattler zu, der für Verdi das Campus-Projekt koordiniert. Dass ein forschender Softwareingenieur, ein Pharmazeut und eine promovierende Germanistin unterschiedliche Perspektiven auf ihre Zukunft besitzen, liegt auf der Hand. Eine bundesweite Projektgruppe habe sich schon gebildet, so Sattler. An den Universitäten Dortmund und Bremen zum Beispiel seien bereits engagierte Doktoranden-Grüppchen bei der Arbeit. Zumindest die Forderungen sind schon klar: Befristete Stellen sollen die Ausnahme werden. Darüber hinaus plädiert die Gewerkschaft für die Einrichtung spezieller Career-Center, in denen der wissenschaftliche Nachwuchs für eine Karriere in der unbekannten Arbeitswelt außerhalb der Unis fit gemacht werden soll.

© SZ vom 05.12.2009/holz - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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