Urteil in Berlin:Schule muss Muslimen Gebet ermöglichen

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Ein Berliner Gymnasium muss muslimischen Schülern eine Gebetsstätte bereitstellen. Die Senatsverwaltung befürchtet nun "Glaubensinseln".

V. Bernau

Das Berliner Verwaltungsgericht hat einem muslimischen Gymnasiasten das Recht zugesprochen, an seiner Schule einmal täglich außerhalb des Unterrichts zu beten. Damit stärkten die Richter die Religionsfreiheit, die auch nach außen gerichtete Glaubensbekenntnisse wie ein Gebet umfasst. Die vom Berliner Senat dagegen angeführte Neutralitätspflicht staatlicher Schulen sah das Gericht nicht als ausreichend an, um den gläubigen Muslim am Mittagsgebet zu hindern. Es ist das erste Mal, dass sich ein deutsches Gericht mit der Frage befasst, wie weit das Recht auf die Ausübung des Glaubens in Schulen reicht. Die Einzelfallentscheidung dürfte somit Signalwirkung haben.

Ein Muslim betet in einer Moschee - künftig soll das auch in Schulen möglich sein. Ein Berliner Gericht hat entschieden, dass muslimische Schüler nach islamischem Ritus beten dürfen. (Foto: Foto: Getty)

Der Streit darüber, ob in Schulen genug Raum für das muslimische Gebet ist, reicht zurück zum November 2007: Damals hatte der Achtklässler Yunus Mitschele, der nach eigenen Angaben mit den im Islam vorgeschriebenen fünf täglichen Gebeten aufgewachsen ist, mit einigen anderen Schülern in einer abgeschiedenen Ecke Jacken auf dem Boden ausgebreitet, sich niedergekniet und gen Mekka verbeugt. Nachdem ihm die Schulleiterin das Gebet untersagt hatte, klagte der heute 16-Jährige, unterstützt von seinem Vater, einem zum Islam konvertierten Deutschen. Im vorigen Jahr hatte das Berliner Verwaltungsgericht in einem Eilbeschluss verfügt, dass die Schule dem Jungen das Gebet einmal täglich außerhalb des Unterrichts ermöglichen muss. Seither kann er sich in einer Pause zum Mittagsgebet in einen nicht genutzten Computerraum zurückziehen.

Mit dem abgeschlossenen Raum will die Senatsverwaltung für Bildung auch die "Gefahr einer werbenden Präsentation des Glaubens" eindämmen, wie die zuständige Anwältin in der Verhandlung sagte. Seit der Eilentscheidung im März 2008 nutzen die Schüler an dem Gymnasium den provisorischen Gebetsraum allerdings kaum. Forderungen nach einem Gebetsraum an anderen Schulen sind dem Senat nicht bekannt. Das Gericht sah einen möglichen Ansturm auf Gebetsräume dann auch als unrealistisch an - ebenso wie die von der Verwaltung geäußerte Befürchtung, die Duldung der Gebete könnte den Schulalltag stören. Solange der Unterricht nicht beeinträchtigt werde, könne niemand von einem strenggläubigen Schüler verlangen, auf das Mittagsgebet zu verzichten, stellten die Richter fest.

Bestandteil der deutschen Gesellschaft

Yunus Mitschele hatte zuvor dargelegt, dass es in Ausnahmesituationen für Muslime zwar möglich sei, ein Gebet auszulassen oder aufzuschieben. Für ihn selbst sei dies allerdings über Monate hinweg nicht hinnehmbar. Nach Einschätzung des Islamwissenschaftlers Mathias Rohe, der als Gutachter vor Gericht auftrat, ist dies eine theologisch fundierte und weit verbreitete Haltung unter traditionellen Muslimen - auch unter jenen, die in Deutschland leben. ,,Die Glaubensvielfalt der hier lebenden Muslime spiegelt sich bislang nicht in der theologischen Diskussion wider'', sagte Rohe. So gebe es etwa zu der Frage der Vereinbarkeit von Gebeten und Schulunterricht keine Stellungnahme von liberalen Glaubensvertretern. Das Gerichtsverfahren zeige, dass der Islam inzwischen dauerhafter Bestandteil der deutschen Gesellschaft geworden sei: "Wir werden lernen müssen, dass auch die religiösen Formen, die der Mehrheit fremd sind, einen rechtlichen Schutz genießen."

Die Neutralitätspflicht des Staates, so die Begründung des Gerichts, verlange in erster Linie Zurückhaltung bei eigenen Aktivitäten, etwa einem gemeinsamen Gebet als Schulveranstaltung. Das betroffene Gymnasium besuchen vor allem Kinder aus Einwanderfamilien, neben vielen Muslimen auch Hinduisten und russisch-orthodoxe Christen. Die Schulleiterin betonte nach dem Urteil, sie hoffe, dass ihre Schule bei der Lösung gesellschaftlicher Probleme nicht allein gelassen werde. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Angelegenheit hat das Berliner Verwaltungsgericht eine Berufung zur nächst höheren Instanz zugelassen. Nach eingehender Prüfung der Urteilsbegründung werde die Senatsverwaltung für Bildung entscheiden, ob sie die juristische Auseinandersetzung fortführt, sagte ein Sprecher. (Az.: VG 3 A 983.07)

© SZ vom 30.9.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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