Die Elite-Universität macht schon etwas her: Die imposanten Gebäude links und rechts der Ludwigstraße sind frisch gestrichen in einem feinen Sandton. Nachts ist die Fassade im Rundbogenstil von farbigen Scheinwerfern illuminiert, davor gleißen im Lampenlicht die Wasserstürze des Springbrunnens. Weit weniger postkartentauglich ist der Anblick nur ein paar Schritte weiter in der seitlich gelegenen Schellingstraße. Dort ragt linkerhand das Betongebirge geisteswissenschaftlicher Institute auf, ein trister Bau. Sicher entscheidet eine Schmuddelfassade nicht über die Qualität einer Hochschule. Vielleicht aber ist der sichtbare Gegensatz kein schlechtes Sinnbild für eine Art Doppelexistenz.
Klar, es gibt an der Ludwig-Maximilian-Universität (LMU) die hochdekorierte Spitzenforschung, die Uni gilt als eine der besten im Land. Aber es gibt auch die Niederungen des Massenbetriebs, in dem das Geld vor allem für die Lehre hinten und vorne nicht reicht.
LMU-Präsident Bernd Huber jedenfalls bezeichnet die Hochschule als "chronisch unterfinanziert" - was nicht nur für sein Haus gilt. Auch die anderen Universitäten und Fachhochschulen hat die Wissenschafts- oder besser Finanzpolitik der vergangenen Jahre einigermaßen kurzgehalten. Doch nun drohen unversehens weitere Kürzungen für das letzte Quartal. Den Verbänden, in den sich die bayerischen Unis und Fachhochschulen zusammengeschlossen haben, ist schon das zu viel - angesichts des zu erwartenden Studentenansturms in den kommenden Jahren. Sie drohen, den mit dem Wissenschaftsministerium vereinbarten Ausbau der Hochschulen für den doppelten Abiturjahrgang nicht mitzumachen. Auch CSU-Landtagsabgeordnete um Winfried Bausback, Thomas Goppel und Bernd Sibler fordern im Übrigen nun, die Sparbeschlüsse zu überdenken.
Was aber, wenn es wie befürchtet in den kommenden Jahren noch weit dicker kommen sollte? "Luft ist da nicht mehr drin", sagt Karl-Dieter Grüske, Präsident in Erlangen und Chef des bayerischen Uni-Verbandes. "Jetzt geht es ans Eingemachte." Beispiel LMU: Zum aktuellen Wintersemester haben sich mehr als 46.000 Studenten eingeschrieben. Lehrpersonal bezahlt der Staat dagegen nur für rund 34.500. Das ergeben Kapazitätsberechnungen des Staatsinstituts für Hochschulforschung für das Jahr 2006. Sie gehen allerdings von sogenannten Hochlastbedingungen aus, wenn in geisteswissenschaftlichen Seminaren bis zu 60 Leute sitzen.Verbessert hat sich laut LMU seitdem nicht viel. Und bezogen auf das Raumangebot ist die Diskrepanz zwischen Soll und Ist noch deutlicher.
Kein Wunder also, dass überfüllte Hörsäle ein durchaus typisches Bild sind. In den Lehramtsfächern ging beispielsweise bei einem Psychologieseminar buchstäblich die Tür nicht mehr zu, weil mehr als 150 Studenten daran teilnehmen wollten, ein anderes war zu 400 Prozent überbelegt, berichten LMU-Studentenvertreter. Sie beklagen zudem, dass schon jetzt mit Einnahmen aus Studiengebühren "Löcher gestopft" würden. So finanziere zum Beispiel die Politikwissenschaft einen erheblichen Teil der Lehre damit.
Von drangvoller Enge und dem Kampf um Seminarplätze berichten auch die Studenten in Würzburg. Hannah Klein vom studentischen Sprecherrat muss nicht lange überlegen, um einschlägige Beispiele zu finden: "Es gibt Seminare mit 50 oder gar 100 Leuten, besonders in den Geisteswissenschaften, oder ebenso volle Tutorien. Was nützen die dann noch?" In viele Veranstaltungen komme man gar nicht rein. Manche angehenden Kunstpädagogen etwa müssten bis zum fünften Semester warten, bis sie ihr erstes Didaktikseminar belegen könnten. Auch auf andere Veranstaltungen gibt es einen Run. "Um acht beginnt die elektronische Anmeldung", berichtet Klein. "Spätestens um fünf nach acht sind alle Plätze vergeben." Raumnot plagt die Würzburger Uni ebenfalls: "Oft sitzen Studenten auf den Treppen oder direkt zu Füßen des Dozenten am Pult", erzählt Klein. "In Seminarräumen sind Fenster mit Pappe zugeklebt, weil das Geld fehlt, die kaputten Scheiben auszutauschen."
Der Sprecher der Würzburger Uni, Georg Kaiser, spricht von einem "gewissen DDR-Effekt", Präsident Alfred Forchel von einem großen "Rückstau" von dringend nötigen Bauarbeiten. Gebäude wie Teile der Kliniken oder die zentrale Mensa am Hubland müssten nun grundsaniert werden. Mit den drohenden Kürzungen "schleppt man die Probleme in die Zukunft", auch Sicherheitsprobleme, etwa in veralteten Labors, warnt Forchel. Mit 22.000 Studenten in diesem Winter meldet Würzburg einen Rekord; bereits jetzt ist Lehrbetrieb stark verdichtet. 2011, wenn bis zu 40 Prozent mehr Anfänger kommen, werde man die Unterrichtszeiten weit in die Abende und auf die Samstage ausdehnen müssen.
Auch beim Personal, sagt Forchel, ist es deutlich enger geworden: Kamen bayernweit auf einen Professor 1998 noch acht Anfänger, waren es 2008 schon zwölf oder 13. Doch damit nicht genug: Mit der Bologna-Reform und der Umstellung auf die Bachelor- und Master-Studiengänge hat sich auch der Aufwand pro Student deutlich erhöht - um etwa 20 Prozent, schätzen die Universitäten.
Warum, erzählt Bernhard Emmer von der Physik der LMU. Die Zahl der Prüfungen, die vorbereitet und vor allem korrigiert sein wollen, ist dramatisch gewachsen. Der Druck auf die Studenten steigt, sie brauchen eine dichtere Betreuung. "Ich habe viel mehr Übungs- und Tutoriengruppen", sagt Emmer, der unter anderem den Studiengang in seinem Fach koordiniert. "Wenn die jungen Wissenschaftler ihre zweieinhalb Stunden vernünftig machen wollen, sitzen sie gut und gerne 20 Stunden pro Woche dran", berichtet Emmer. "Das ist Zeit, die ihnen von der Forschung abgeht."
Denn eigentlich sitzen sie an ihrer Doktorarbeit oder ihrer Habilitation, sagt Emmer, der auch Sprecher des Verbandes Wissenschaftler in Bayern ist. Meist haben sie nur eine halbe Stelle, müssen schon nach einem halben Jahr wieder um eine Verlängerung ihres Vertrages kämpfen. So gesehen, fürchtet Emmer, sind es vor allem diese befristet Angestellten, die anstehende Kürzungen überproportional treffen werden - mit Stellenstreichungen und Besetzungssperren. Damit werde "den Universitäten praktisch der Boden unter den Füßen weggezogen", weil gerade diese jungen Wissenschaftler einen Großteil der Lehre tragen.
Anders als die Unis in München oder Würzburg hat die Hochschule Ingolstadt mit gut 3000 Studenten eine überschaubare Größe - und doch platzt sie aus allen Nähten. Die Leitung musste erneut Container für die Lehre aufstellen lassen. Die Planungen für einen Erweiterungsbau liegen erst einmal auf Eis. Die Kürzungen haben die Hochschule an einer empfindlichen Stelle erwischt - schon jetzt.