Skandal an türkischer Uni:Das Pornoprojekt

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Ein Student der Istanbuler Bilgi-Universität reichte als Abschlussarbeit einen Porno ein. Prompt wurden seine Betreuer gefeuert. Jetzt diskutiert das Land über die Grenzen akademischer Freiheit.

Kai Strittmatter

So kann man seinen Ruf auch ruinieren. Die Istanbuler Bilgi-Universität ist eine junge Universität: keine 15 Jahre alt, entstanden als Projekt engagierter Idealisten. Vielen galt sie schnell als aufregendste und liberalste Hochschule in einem Land, das seine Unis traditionell unter strenge ideologische Aufsicht stellt. "Eine Oase", sagt ein Student. "Ein Ort, an dem Tabus gebrochen wurden", ein anderer.

Wie viel Porno erlaubt die akademische Freiheit? Darüber diskutiert die Türkei. (Foto: AFP)

Hier fand 2005 eine historische Konferenz über den Völkermord an den Armeniern statt, hier durften die Studenten erstmals Kurdisch als Wahlfach belegen, hier wurde der erste Verein homosexueller Studenten gegründet. Und heute? Muss sich die Universität von der liberalen Zeitung Radikal "Hort der Heuchelei" nennen lassen. Zudem werfen die eigenen Studenten und Dozenten der Unileitung "Repression" vor. Es geht dabei um Pornografie, wenn auch nur vordergründig.

Konkret betrifft der Streit die Examensarbeit des Studenten Deniz Özgün an der Fakultät für Kommunikationsdesign und Video. Özgün drehte einen Film, den er das "Pornoprojekt" nannte und der unter anderem einen Mann und eine Frau beim Sex zeigt.

Kein sehr guter Film offenbar, mit der Note "D" hätten die Professoren den jungen Mann beinahe durchrasseln lassen. Dem Magazin Tempo erschien der Akt studentischer Rebellion dennoch so interessant, dass sie ein Interview mit Özgün abdruckte, in dem der frisch Graduierte seine Motivation offenbarte: "Ich wollte die Grenzen akademischer Freiheit austesten."

Das hat er geschafft: Den Medienwirbel, den er auslöste, haben die drei akademischen Betreuer Özgüns nicht überlebt - vergangene Woche feuerte die Universitätsleitung die Dozenten, darunter Ihsan Derman, den Dekan und Gründer der Fakultät. "Und hier beginnt der eigentliche Porno", heißt es in Radikal. Bislang gibt es keine offizielle Erklärung, die Unileitung hatte die Dozenten gar nicht persönlich informiert, sondern die Kündigungen einfach im Emailverteiler bekannt gemacht. Nun tobt eine Debatte um akademische Freiheit. Kollegen von überall her eilen den Gefeuerten zur Seite. "Die Uni ist ein Labor des Lebens", schrieb der Kolumnist Koray Caliskan, Politologe der Bosporus-Universität: "Natürlich wissen wir, dass da viel Quatsch rauskommt. Aber es kommen eben auch solche raus, die sagen 'Die Erde ist rund', wo alle anderen behaupten, sie sei flach."

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Dem Protest voran schreitet Ali Nesin, Professor für Mathematik an der Bilgi und Sohn des verstorbenen Schriftstellers Aziz Nesin: "Akademische Freiheit ist nicht die Freiheit, Kaffee im Büro zu trinken", sagte Nesin. "Es bedeutet, dass du dich in gefährliche Wasser traust."

Weil sie als Abschlussarbeit einen Porno akzeptierten, wurden drei Wissenschaftler der Istanbuler Bilgi-Universität entlassen. (Symbolfoto) (Foto: AFP)

Am Montag demonstrierten Studenten und Dozenten vor der Universität. "Bilgi war einzigartig", sagt Politikstudent Mahmut Sansarkan. "Das scheint leider vorbei zu sein." Viele führen das auf den Besitzerwechsel zurück: Vor zwei Jahren verkauften die Gründer ihre Uni wegen Geldmangel an den US-Investor "Laureate International Universities".

Ausgerechnet unter den Amerikanern, so Student Sansarkan, gehe es immer nationalistischer und konservativer zu auf dem Campus: "Die neuen Besitzer wollen sich bei der Regierung in Ankara einschmeicheln", glaubt er: "Dafür opfern sie die Freiheit."

Die Zeitung Radikal attestiert der Türkei ein grundsätzliches Problem: "Wenn die Menschen hier über Freiheit sprechen, dann reden sie nicht über Erfahrungen oder über Träume. Sie sprechen immer nur über Grenzen."

© SZ vom 12.1.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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