Quereinsteiger als Lehrer:Die Lückenfüller

Lesezeit: 5 min

Den bayerischen Gymnasien fehlen Hunderte Lehrer - als Ersatz stellen sie Pensionisten, Hausfrauen oder ehemalige Naturschützer ein. Fünf Erfahrungsberichte aus dem Schulalltag.

Tina Baier

Auch im kommenden Schuljahr, in dem Bayerns Gymnasien den doppelten Abiturjahrgang bewältigen müssen, fehlen Hunderte Lehrer. Besonders dramatisch ist die Situation in den sogenannten Mint-Fächern, also Mathematik, Informatik und Naturwissenschaften. In Mathematik fehlen laut Kultusministerium etwa 300 Lehrer. Auch in Physik, Biologie, Chemie, Informatik, Latein, Religion, Wirtschaft, Sport, Kunst und Musik kann das Kultusministerium nicht alle Stellen besetzen. Schulen, denen aus Mangel an Bewerbern kein Lehrer zugewiesen werden kann, bekommen stattdessen das Geld, das dieser Lehrer kosten würde.

Weil überall Lehrer fehlen, springen immer öfter Quereinsteiger ein. (Foto: dpa)

Die Rektoren müssen sich dann selbst auf die Suche nach Menschen machen, denen sie zutrauen, zu unterrichten. Für das kommende Schuljahr wurden den Gymnasien "Mittel im Umfang von circa 1240 Vollzeitlehrern zugewiesen", heißt es aus dem Kultusministerium. In der Not rufen die Schulleiter dann zum Beispiel pensionierte Lehrer an oder stellen Historiker oder Mathematiker aus der freien Wirtschaft mit befristeten Verträgen ein. Tina Baier sprach mit fünf Menschen, die helfen, die Lücken zu füllen.

Alice Cao-Gottschling, 28: "Eigentlich bin ich Grundschullehrerin. Nach dem Staatsexamen vor zwei Jahren habe ich aber keine Stelle bekommen. Ich wusste von einer Bekannten, dass es die Möglichkeit gibt, am Gymnasium zu unterrichten, und so habe ich mich bei mir in der Umgebung beworben. Einen Tag später hatte ich vom Dietrich-Bonhoeffer-Gymnasium in Oberasbach eine Zusage. Ich habe dort Mathe und Religion unterrichtet. Im ersten Jahr waren es nur 16 Stunden pro Woche: Mathe in der fünften und Religion bis zur achten. Weil das gut gelaufen ist, habe ich im zweiten Jahr auch in der sechsten und siebten Jahrgangsstufe Mathe unterrichtet. Insgesamt waren es 20 Stunden - fast eine Vollzeitstelle.

Das erste Jahr war ein Sprung ins kalte Wasser. Zum Glück waren die Kollegen sehr nett, besonders die Fachbetreuer haben mich unterstützt. Aber natürlich musste ich von der ersten Stunde an alleine unterrichten. Im Referendariat hatte ich eine dritten Klasse. Das war schon ein Sprung, plötzlich vor Achtklässlern zu stehen. Es ist viel einfacher, Zugang zu den Kleinen zu finden - die lassen sich leichter begeistern. Fachlich hatte ich keine Probleme. Ich glaube, für die Fünftklässler war es sogar ganz gut, dass ich genau wusste, was sie in der Grundschule durchgenommen hatten und wie die Lehrer dort den Stoff vermitteln. Für den Unterricht in der sechsten und siebten Klasse habe ich Fortbildungen gemacht. Ich habe meinen Siebtklässlern erst am Jahresende gesagt, dass ich Grundschullehrerin bin. Die Reaktion? 'Ach so, deshalb ist der Unterricht bei Ihnen anders und macht so viel Spaß.'"

Vorurteile gegen Lehrer
:Faule Säcke im Schlabberpulli

Sie leiden an Burn-out, werden nicht anerkannt und ruhen sich auf ihrem sicheren Job aus. Die zehn größten Vorurteile gegen Lehrer

Tanjev Schultz

Rudolf Jena, 76: "Ich bin 1998 in Pension gegangen. Bis 2007 habe ich an meiner alten Schule, dem Theresien-Gymnasium in Ansbach, noch regelmäßig Latein und Geschichte unterrichtet. Meistens war es so, dass am Ende der Sommerferien ein Hilferuf aus der Schule kam. In der Regel habe ich vier Stunden Latein übernommen und zwei in Geschichte. Da bin ich dann gerade auf die sechs Stunden gekommen, die man als Beamter in Pension noch dazuverdienen darf, ohne dass man Kürzungen in Kauf nehmen muss.

Eine Seniorin hilft mit 77 Jahren einer Grundschülerin bei den Hausaufgaben. Wie sie kehrte auch Lehrer Rudolf Jena als Pensionär in seinen Beruf zurück. (Foto: dpa)

Mit den Schülern hatte ich nie Probleme, aber man muss auch dazusagen, dass am Theresien-Gymnasium ein gutes Klima herrscht, sowohl im Lehrerzimmer als auch in den Klassen. Ich habe außerdem das Glück, fit zu sein, sonst hätte ich nicht so lange unterrichten können. Ich habe 35-mal das Deutsche Sportabzeichen gemacht und 33-mal das Sportleistungsabzeichen. Manchmal haben mich Schüler neugierig gefragt, wie alt ich bin. Ich habe mein Alter nie verheimlicht, und den Schülern war es egal, ob ihr Lehrer 65 oder 72 ist.

Ich glaube, ich war schon beliebt. Immerhin habe ich 30 Romfahrten geleitet, die immer sehr gut angenommen wurden, obwohl die Teilnahme freiwillig war. Man hat mir zwar nachgesagt, sobald ich den Fuß auf römischen Boden setze, entwickle ich die Eigenschaften des Australischen Rennkuckucks. Doch ich habe mich nicht beirren lassen. Ich habe mich in der Schule immer wohl gefühlt. Das wäre jetzt auch noch so, doch momentan hat das Theresien-Gymnasium genügend Lehrer. Aber wenn morgen der Anruf käme, würde ich wahrscheinlich wieder 'Ja' sagen."

Elke Leppelsack, 48: "Ich bin promovierte Biologin, hatte mich zu Beginn meines Studiums aber für das Lehramt in den Fächern Biologie und Chemie eingeschrieben. Nach der Doktorarbeit habe ich meinen ersten Sohn bekommen, da war eine Karriere an der Universität nicht mehr möglich. Ich habe dann beim Landesbund für Vogelschutz Kindergruppen gegründet, mit denen wir viele Aktionen in der Natur gemacht haben. In einer dieser Gruppen war ein Mädchen, deren Mutter am Schyren-Gymnasium in Pfaffenhofen im Elternbeirat war. Sie hat dem stellvertretenden Schulleiter von mir erzählt. Er hat mich angesprochen und gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, Biologie zu unterrichten. Ich habe eine Nacht darüber geschlafen und das Ganze im Familienrat besprochen.

2006 habe ich dann begonnen, in drei sechsten Klassen zu unterrichten. Der Einstieg war super. Der Stoff war für mich überhaupt kein Problem. Auf manche Verhaltensweisen der Schüler musste ich mich aber erst einstellen. Da hat mir meine langjährige Erfahrung mit den Kinder- und Jugendgruppen geholfen. Außerdem konnte ich mich mit allen Fragen immer an meine Kollegen wenden, die mich unterstützen, wo immer es geht. Umgekehrt konnte ich aber auch Erfahrungen aus der Uni in die Schule einbringen. Ich präpariere zum Beispiel mit meinen Sechstklässlern Fische. Das war vorher an der Schule nicht üblich. Die Kollegen waren überrascht und begeistert, dass man so etwas an der Schule machen kann. Vor einigen Tagen habe ich einen Anruf bekommen, dass meine Stelle entfristet wurde. Ich bin überglücklich."

Ralf Pauli, 42: "Eigentlich wollte ich immer schon Lehrer werden. Deshalb habe ich Anfang der neunziger Jahre angefangen, Lehramt für Geschichte und Deutsch zu studieren. Doch damals waren die Einstellungschancen sehr schlecht. Deshalb habe ich nach dem Grundstudium auf Magister für Neuere und Neueste Geschichte umgesattelt. Nach dem Studium habe ich zuerst zwei Jahre als Literaturagent gearbeitet, danach drei Jahre in PR-Agenturen und im Vertrieb eines Fachverlags. Doch die Arbeit hat mich nicht ausgefüllt.

Ich bin dann an die Uni München zur Studienberatung. Dort war gerade eine Anfrage des Max-Josef-Stifts in Bogenhausen eingegangen, das einen Aushilfslehrer für Deutsch suchte. Ich habe den Job sofort bekommen - aber leider nur für ein Jahr, dann war nichts mehr frei. Allerdings hat man mich empfohlen, und so bin ich ans Gymnasium in Gilching gekommen, wo ich Geschichte unterrichtet habe; danach war ich noch an zwei anderen Gymnasien. Nebenher habe ich das Staatsexamen nachgeholt.

Jetzt habe ich mich für das Referendariat angemeldet, das zwei Jahre dauert. Da verdiene ich zwar sehr wenig: 1050 Euro netto. Davon muss ich noch 211 Euro Krankenversicherung bezahlen. Doch ich nehme das in Kauf, weil ich danach die Chance habe, unbefristet beschäftigt oder sogar verbeamtet zu werden. Für mich heißt das, dass ich die Familiengründung zurückstellen muss, weil ich mir das in dieser unsicheren Lebenssituation nicht vorstellen kann. Aber dafür empfinde ich meinen Beruf als viel sinnvoller als alles, was ich vorher gemacht habe."

Cornelia Riehm, 50: "Ich habe vergangenen Herbst mitten im Schuljahr einen Anruf bekommen, ob ich nicht einige Stunden Englisch unterrichten könnte. Am Schyren-Gymnasium in Pfaffenhofen waren auf einen Schlag an die 60 Stunden ausgefallen, weil alle schwangeren Lehrerinnen wegen des Ausbruchs der Schweinegrippe Arbeitsverbot bekommen hatten. Ich bin ausgebildete Gymnasiallehrerin, habe aber nach dem Referendariat Ende der achtziger Jahre keine Stelle gefunden. Ich habe dann drei Kinder bekommen und bin Hausfrau geworden.

An der Schule war ich bekannt, weil ich dort ein Jahr meiner Referendarzeit verbracht habe und außerdem vor zehn Jahren schon einmal ausgeholfen habe. Vor sechs Jahren hatte ich angefragt, ob es für mich eine Möglichkeit gibt, regelmäßig dort zu unterrichten, und wahrscheinlich hätte es damals geklappt. Doch ich bin dann sehr krank geworden, und als es mir besser ging, konnte ich mich nicht mehr aufraffen. Als der Anruf kam, habe ich mich sehr gefreut. Knapp zwei Wochen später ging es los. Ich hatte eine siebte Klasse in Englisch, die als schwierig galt.

Der Einstieg ist mir trotzdem leichtgefallen. Der Leiter der Klasse hat mir sehr geholfen - und auch die schwangere Kollegin, für die ich eingesprungen war. Beim Umgang mit den Schülern ist mir, denke ich, zugutegekommen, dass ich drei Kinder großgezogen habe und deshalb weiß, wie man mit Jugendlichen umgeht. Ich gebe zu, es war anstrengend, aber es ist gut gelaufen. In dem knappen halben Jahr, in dem ich unterrichtet habe, ist mir wieder klargeworden, dass Lehrerin mein Traumberuf ist."

© SZ vom 09.09.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: