Mittagsschlaf am Arbeitsplatz:Ich mach bubu, was machst du?

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In Japan ist der Mittagsschlaf am Arbeitsplatz so verbreitet, dass er sogar einen eigenen Namen hat: "Inemuri" heißt "anwesend sein und schlafen". (Foto: dpa)

Wissenschaftlich ist die Sache längst klar: Das Nickerchen im Büro ist gesund und steigert Arbeitskraft wie Kreativität. Doch wenn es um die Umsetzung geht, fürchten deutsche Unternehmen nach wie vor um ihren Ruf.

Von Kathleen Hildebrand, Andreas Glas und Christoph Neidhart

Der Schlaf hat ein Imageproblem. Von allen Körperbedürfnissen vielleicht das größte. Er ist ungesellig, taugt nicht zur Demonstration von Kennerschaft, und er sieht nicht einmal gut aus - entspannte Gesichtsmuskeln lassen ihre Träger immer ein bisschen unintelligent wirken.

Nichts also, was in die Arena der täglichen Selbstinszenierung gehört - an den Arbeitsplatz. Einen noch schlechteren Ruf als der unvermeidliche Nachtschlaf hat deshalb das Mittagsschläfchen. Da hat die gewiefte Wortschöpfung "Power-Napping" wenig geholfen, mit der seit Jahrzehnten versucht wird, dem Wegnicken im Suppenkoma einen cooleren Auftritt zu verpassen. Ebenso wenig halfen die Erkenntnisse Dutzender wissenschaftlicher Studien über seine Nützlichkeit: 15 Minuten reichen aus, um die Leistungsfähigkeit um 35 Prozent zu steigern. Und: Langfristig sinkt durch regelmäßiges "Napping" das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen um 30 Prozent.

"Belege für die Vorteile des Tagschlafs brauchen wir nicht mehr", sagt Schlafforscher Jürgen Zulley. "Es geht darum, wie wir diese Erkenntnis in unseren Arbeitsalltag integrieren."

Daran hapert es, besonders in Deutschland. "Das Schimpfwort 'Penner' kommt nicht von ungefähr", sagt Zulley, "im Büro zu schlafen wird als Arbeitsverweigerung angesehen." Auch wenn es mittlerweile eine grundsätzlich positivere Haltung zum Nickerchen gebe, sei es nach wie vor ein zähes Unterfangen, das Thema in die Unternehmen zu tragen.

Aufrecht sitzen und aussehen, als ob man nachdenke

Das ist nicht überall so. In japanischen Büros ist immer Mittag - jedenfalls macht zu jeder Tageszeit irgendjemand "Mittagsschlaf". Das Nickerchen am Arbeitsplatz ist nicht nur erlaubt, es ist erwünscht. Die Japaner meinen, es zeige, die Leute hätten so hart gearbeitet, dass sie nun völlig erschöpft sind. So angesehen ist das "Inemuri" - wörtlich übersetzt: "anwesend sein und schlafen" -, dass viele Angestellte es sogar simulieren. Wie für alles in Japan gibt es für das "Inemuri" ungeschriebene Regeln: Wer schläft, sollte idealerweise aufrecht sitzen und aussehen, als arbeite er oder denke nach. Zumindest muss er den Anschein erwecken, ansprechbar zu sein.

Beim Power-Napping ist man das. Denn Schlaf ist nicht gleich Schlaf. Wenn das Nickerchen nicht länger als 30 Minuten dauert, taucht der Körper nur in ein leichtes Schlafstadium ab. Das ist erholsam. Der Nachtschlaf hingegen ist echte Arbeit. Wer zu lange schläft, muss sich deshalb erst aus der Schlaftrunkenheit herauskämpfen. "Das passiert aber nur, wenn man zu Hause auf der Couch einschläft", beruhigt Jürgen Zulley. Trotzdem: Richtiges Napping ist eine kleine Kunst. "Viele tun sich schwer mit dem Abschalten, das muss man üben. Ich halte selbst gestrickte Entspannungstechniken für die besten."

Mario Filoxenidis betreibt seit 2001 die Agentur Siesta Consulting in Wien, die versucht, Unternehmen den Wert des Nickerchens näherzubringen. "Gerade in großen Unternehmen ist Power-Napping ein Tabuthema", sagt er. Lieber werde Müdigkeit mit Kaffee trinken oder Energy-Drinks überspielt. Darüber sprechen könne man eher in kleinen und mittleren Betrieben, wo die Unternehmenskultur offener sei.

Genau darum dreht sich die Frage nach dem Mittagsschlaf, findet der Arbeitswissenschaftler Martin Braun vom Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation in Stuttgart. "Es geht nicht nur um das Schlafen, sondern um die Unternehmenskultur, die sich darin ausdrückt, dass es erlaubt ist."

Das Bedürfnis jedenfalls ist da. Eine Emnid-Umfrage ergab schon vor Jahren, dass jeder dritte Deutsche mittags gern schlafen würde. Viele Firmen, von denen es heißt, sie böten ihren Mitarbeitern die Möglichkeit dazu, streiten das auf Nachfrage ab. Manche vorsichtig, andere brüsk. Tabuthema Mittagsschlaf.

Die Stadtverwaltung Vechta war ihrer Zeit im Jahr 2000 weit voraus. Stadtdirektor Helmut Gels (CDU) gewährte damals allen Mitarbeitern 20 Minuten zusätzliche Pausenzeit. Wer schlafen will, geht nach Hause. Die anderen machen einen Spaziergang oder progressive Muskelentspannung am Schreibtisch. Dafür gab es großes Medieninteresse - und noch mehr Häme.

"Das ist ja wie gemalt", sagt Herbert Fischer aus dem Pressereferat der Stadt, "der Beamte, der auch noch schlafen darf." Aber es wirkt: In keiner anderen Behörde werden die Aufgaben von so wenig Personal erledigt, der Krankenstand liegt deutlich unter dem Durchschnitt. "Die Atmosphäre hat mich beeindruckt. Es ist viel freundlicher dort, offener, kundenorientierter als in den muffigen Behörden, die ich bis dahin kannte", sagt Arbeitswissenschaftler Braun. Mittlerweile fragen Unternehmen in Vechta nach Erfahrungen und wollen Tipps für die Umsetzung solcher Pausenkonzepte.

Nach konkreten Zielen fragt auch Mario Filoxenidis die Unternehmen, die er berät. Viele wollen den Krankenstand vermindern, das Burn-out-Risiko senken oder die Fehlerquote in einer bestimmten Abteilung reduzieren. "In den letzten zwei Wochen eines Projekts wird wenig geschlafen, und die Teams sind rund um die Uhr im Einsatz. Aber keiner setzt sich damit auseinander, dass durch diese Müdigkeit Fehler entstehen."

Auch wenn sie sich für Power-Napping interessieren, schrecken viele Unternehmen vor dem vermeintlichen Aufwand zurück. "Wie sollen Sie für so viele Mitarbeiter Räumlichkeiten schaffen?", fragt eine Sprecherin der Baumarktkette Hornbach. "Das lässt sich gar nicht machen."

Doch verglichen mit dem Nutzen für das Unternehmen sei die Investition in einen Ruheraum lächerlich gering, sagt Filoxenidis. Flächendeckende Ruheräume brauche kein Unternehmen. Aber in Abteilungen mit konkreten Problemen könnten sie helfen - wenn in der Buchhaltung am Nachmittag die Fehlerquote steigt, etwa.

Wer schlafen darf, hat keine Ausrede mehr

Eine Zwischenlösung hat auch der Chemiekonzern BASF gefunden. "Wir bieten keine besonderen Ruhe- oder Schlafräume an, sondern Power-Napping-Kurse, in denen Mitarbeiter lernen, wie man einen Kurzschlaf am Arbeitsplatz macht", heißt es dort.

Ein Unternehmen aber toppt all diese zaghaften Versuche. Der Internetkonzern Google bietet seinen Mitarbeitern in Zürich regelrechte Entspannungslandschaften an: Hängesessel, Farbtherapiekabinen und einen abgedunkelten Ruhesaal mit Aquarien. Ein Paradies für Mittagsschläfer. Alles steht bereit zur Wiederherstellung von Kreativität und Arbeitskraft. Der Haken: Wer hier mal einen schlechten Tag hat, für den gibt es keine Entschuldigung.

Der Philosoph Thierry Paquot veröffentlichte schon 1998 in Frankreich sein Büchlein "Die Kunst des Mittagsschlafs". Im Kapitel "Mittagsschlaf als Widerstand" warnt er davor, auch noch den Schlaf, das letzte Refugium von Privatheit, in die Leistungsmaschinerie, in den Effizienzkontext hineinzuzerren. "Dieser Ausbeuter reißt sich meinen Mittagsschlaf unter den Nagel, bezieht ihn in seine Buchführung ein, zeigt seinesgleichen die Stimmigkeit der Rechnung, verherrlicht dieselbe, gibt internationale Seminare darüber." Schlaf als Teil der Arbeitsaufgaben, als Zwang, genau wie Konferenz und Deadline.

Das wäre dann wieder ganz ähnlich wie der verhasste Mittagsschlaf im Kindergarten: Augen zu! Sonst gibt es nachher keinen Kuchen.

© SZ vom 18.01.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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