IT-Spezialist mit Green Card:Gekommen, um zu bleiben

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Viele Green-Card-Inhaber zogen fort, Ramaswamy Gireesan arbeitet weiter in Deutschland. Aber er weiß, warum andere Fachkräfte lieber in die USA oder nach Großbritannien gehen.

Roland Preuß

Es ist einsam geworden um Ramaswamy Gireesan, zumindest was die früheren Kollegen aus Indien angeht. "Ich kenne keinen mehr hier, der mit der Green Card nach Deutschland gekommen ist", sagt der IT-Experte aus Madras. Er zählte zur ersten Welle von Zuwanderern, die eine Green Card erhielten, um den Fachkräftemangel der deutschen Wirtschaft zu stillen. Das war vor zehn Jahren. Nun sind seine Kollegen fortgezogen oder in die Heimat zurück. "Ich könnte in den USA viel mehr verdienen", sagt der 37-Jährige. "Aber München ist jetzt meine Heimat, mir gefällt es hier."

Gireesan Ramaswamy, indischer IT-Spezialist, arbeitet in München - und will dort auch bleiben. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Gireesans Eindruck gibt wohl das Gesamtbild wieder, die Diagnose ist nicht verwegen, dass viele Green-Card-Inhaber weg sind, auch wenn noch keine fundierte Untersuchung darüber vorliegt, was aus ihnen geworden ist. Fast 18.000 Computer- und Softwareexperten waren zwischen August 2000 und Dezember 2004 nach einem Vorstoß des damaligen Kanzlers Gerhard Schröder ins Land gekommen, die meisten von ihnen Inder.

Wer einen entsprechenden Studienabschluss vorlegen konnte oder einen Arbeitsvertrag mit mindestens 100.000 Mark Jahresgehalt, durfte zunächst für fünf Jahre bleiben und arbeiten. Wer heute die Namen damaliger Neuankömmlinge googelt, der stößt meist auf Seiten in den Vereinigten Staaten und Australien, auf Telefonnummern in Indien und manchmal auch in Deutschland. Viele sind also weitergewandert, obwohl deutsche IT-Unternehmen nach wie vor über einen Mangel an Fachkräften klagen.

Gireesan wirkt in dieser fiebrigen Branche voller Aufkäufe und Stellenwechsel wie ein Fels der Solidität. Er fing beim Münchner Softwareentwickler Fast an - und blieb bis heute. Nur die Firma wurde verkauft und ist inzwischen im Technologieunternehmen Cirquent aufgegangen. Der Inder fing einst als Netzwerkadministrator an, wurde dann Softwareentwickler und arbeitet heute zusätzlich als IT-Berater bei Cirquent-Kunden.

Das ist ein Aufstieg, Gireesan verdient inzwischen einen hohen fünfstelligen Betrag. Doch reichte ihm das wirklich, um zu bleiben? Die Arbeit in Deutschland sei eben "sehr angenehm", das Verhältnis zwischen Beruf und Privatleben stimme, sagt er. "In den USA oder Indien müsste ich noch mehr arbeiten."

Viele Freunde und Bekannte zog es dagegen fort: Ein indisches Paar ging nach Australien, zwei Familien zogen in die USA. Ein früherer Kollegen bei Fast kehrte vor zwei Jahren nach Sri Lanka heim, ein Rumäne wechselte den Arbeitsplatz. Einer der indischen Abwanderer, ein Biochemiker, hatte ein Angebot aus den USA erhalten, das ihm viel besser gefiel als seine Perspektive in München. Andere trieb schon die Wirtschaftskrise nach 2001 aus dem Land. Der extreme Boom war vorbei, vielen IT-Experten wurde damals gekündigt.

Gireesan dagegen hat Wurzeln geschlagen, hat eine neue Vier-Zimmer-Wohnung im nördlichen Münchner Stadtteil Am Hart gekauft, eine kleines Indien für die Kleinfamilie mit zwei Kindern. Der Wohnzimmerschrank ist voller Elefanten und Götterfiguren, an der Wand hängt ein Bild des Gottes Rama, beleuchtet von zwei weißen LED-Leisten, daneben hat seine indische Frau eine Kuckucksuhr aufgehängt. Die Wände sind in weichem Gelb und warmem Rot gehalten.

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Familie ist Gireesan wichtig, auch das hat seine Entscheidung beeinflusst, ob er bleiben soll. "Inder planen langfristig", sagt er. Da passt es, dass er seine Kinder auf eine Privatschule schicken kann, wo auf Deutsch und Englisch unterrichtet wird - man weiß ja nie, wo es sie einmal hinzieht. Seine Frau, eine Biochemikerin, musste dagegen zurückstecken. Sie wollte arbeiten, doch dann kamen die Kinder.

2003 kam Gireesan Ramaswamy mit der Gree Card zur Software Firma Fast. (Foto: Heddergott)

Mit dieser Wertschätzung der Familie stehe er nicht alleine, sagt Gireesan, den meisten Indern sei das wichtig. Wer Fachkräfte ins Land holen und halten wolle, müsse das berücksichtigen. Die Frau eines indischen Freundes war Ärztin, doch sie durfte in Deutschland nicht praktizieren, weil ihr Studium nicht anerkannt ist. "Viele Ehepartner sind gut ausgebildet, wenn sie nicht arbeiten dürfen, ist das sehr frustrierend." Die Angebote müssten auch Kinder berücksichtigen. "Was passiert mit den Kindern, wenn man irgendwann nach Indien zurückmuss?", fragten sich die Umworbenen.

Die Green-Card-Regelung hatte darauf wenig Rücksicht genommen. Wer den Job verlor, den drängten manche Ausländerämter, binnen 72 Stunden das Land zu verlassen - ein unzumutbares Vorgehen für Familien. Erst auf Intervention der Bundesregierung hin erhielten die IT-Fachleute dann sechs Monate Zeit, sich eine neue Stelle zu suchen. Überhaupt, die Ausländerämter, sagt Gireesan. "Für die meisten Inder sind diese Behörden ein Horrortrip." Viele Mitarbeiter sprechen kein Englisch, der Empfang sei korrekt, aber kühl.

Für ihn ist das vorbei: Er und seine Kinder sind vor zwei Jahren Deutsche geworden.

Gireesans Entscheidung hat aber auch mit der Familiengeschichte zu tun. Sein Vater promovierte als Humboldt-Stipendiat, er lernte schon in Indien am Goethe-Institut Deutsch und studierte später in Österreich. Er sprach also schon fließend, als er in Deutschland ankam, während sich andere Green-Card-Kollegen durch den Alltag stottern mussten.

Wenn Gireesan hört, dass Deutschland jetzt wieder diskutiert, wie man Fachkräfte ins Land holen kann, dann wiederholt er einen Satz, den er bereits vor sieben Jahren der SZ sagte: "Deutschland ist kein Einwanderungsland." Wer das ändern wolle, müsse Deutschland international bekannter machen - und die deutsche Sprache fördern. So komme das Land für die in der Regel Englisch sprechenden Inder ebenfalls auf die Liste möglicher Ziele - neben den USA und Großbritannien.

In den USA seien die Aufstiegschancen allerdings größer als in Deutschland, es gebe dort einige prominente indische Aufsteiger. Das wissen die Spezialisten. Für Deutschland fehlen solche Vorbilder.

Nur wenn man den Hochqualifizierten die Möglichkeiten hier erkläre und schmackhaft mache, könne man sie locken. "Die Green Card bot da zu wenig", sagt Gireesan. Mit ihr war nach fünf Jahren erst mal Schluss, in Großbritannien dagegen könne man nach fünf Jahren einen Pass bekommen. "Diese Sicherheit bleiben zu dürfen", sagt Gireesan, "wollen die Leute."

© SZ vom 19.08.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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