Islamischer Religionsunterricht in NRW:Die jungen Konservativen werden nervös

Ein Teil der Muslime steht vor derselben Frage, die heute auch die CDU umtreibt: Was ist eigentlich konservativ? Man will das Alte bewahren, weiß aber nicht genau, was. Die mangelnde Selbstvergewisserung manifestiert sich in einer Dagegenhaltung. Die jungen Konservativen sind dagegen, dass sich der Islam verändert; was auch immer das heißt. Sie sind dagegen, dass sich jemand von ihnen abgrenzt. Das Praktische an der Dagegenhaltung ist: Man muss sich nicht mit eigenen Positionen befassen, und der Schein des Einvernehmens bleibt gewahrt.

Es ist schwierig mit dem innerislamischen Dialog. Auf der einen Seite muss man sich über wichtige theologische und Inhalte verständigen, auf der anderen Seite Unterschiede zulassen und die Vielfalt als Stärke begreifen. Fehlendes Profil und unwirsches Abwehrgehabe der Beteiligten verschärfen die Probleme. Bei der Einführung des Islamunterrichts könnte das zu einem Schlüsselmoment werden.

Wir stehen an einem Wendepunkt. Wenn jetzt allein die etablierten Verbände den Zugriff auf die Lehrpläne und die Auswahl der Lehrkräfte erhalten, werden Generationen von ihren Vorstellungen geprägt. Das wäre so, als würden morgen alle Katholiken nach den Maßstäben des Kölner Erzbischofs Kardinal Joachim Meisner erzogen.

Gläubige Muslime kommen an Moscheevereinen kaum vorbei

Die islamische Religionspädagogik muss aber Theorien und Konzepte entwickeln, um junge Menschen zu einer stabilen und zeitgemäßen deutsch-muslimischen Identität zu führen. Die Verbände haben hierzu in 40 Jahren zu wenig beigetragen. Gemeinsam mit den jungen Konservativen verharren sie lieber in einer weiteren Illusion - nämlich mit ihren traditionellen Ansichten wenigstens ideell die Mehrheit zu vertreten.

In der Tat erfährt jemand, der öffentlich gegen liberale Auffassungen vom Islam Stellung bezieht, schnell Zustimmung von Muslimen. Doch zum einen neigen Menschen, die sich stark mit dem Islam identifizieren, eher dazu, sich in Islamdiskurse einzubringen. Zum anderen werden sie von der Organisationsstruktur des Islams begünstigt. Da sich liberale Gruppen gerade erst finden, gibt es bis heute eigentlich nur durchweg konservative und nach Herkunftsländern ihrer Funktionäre und Mitglieder ausgerichtete Zusammenschlüsse.

Wer seinen Glauben in Gemeinschaft leben will, kommt an den bestehenden Moscheevereinen kaum vorbei, ebenso wenig Eltern, die ihren Kindern die Religion beibringen lassen wollen. So wächst die kleine aber vergleichsweise wortmächtige Gruppe der jungen Konservativen, während der Rest der Muslime religiös sprachlos bleibt, und der falsche Eindruck von zahlenmäßiger Überlegenheit wird weiter genährt.

Hier ist Umsicht gefordert, vor allem von politischen Entscheidungsträgern. Sonst werden Pflöcke eingeschlagen, die später kaum noch verrückbar sind - etwa bei der Einführung islamischen Religionsunterrichts.

Lamya Kaddor , 33, ist Islamwissenschaftlerin und Lehrerin in Duisburg. Sie ist Mitbegründerin des Liberal-islamischen Bundes und unter anderem Mitautorin des Islam-Schulbuchs Saphir.

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