Islamischer Religionsunterricht in NRW:Muslimisch, jung, konservativ

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In Nordrhein-Westfalen soll es ab dem Schuljahr 2012/13 islamischen Religionsunterricht geben. Bei der Gestaltung des Lehrplans ergreifen vor allem junge Konservative das Wort. Sie sind gebildet und selbstbewusst - doch sie verhindern die Veränderung, die der Islam dringend braucht.

Lamya Kaddor

Als ob man liberal beten oder fasten könnte. So lautet eine gängige Polemik, die freiheitlich denkenden Muslimen neuerdings von Glaubensgeschwistern entgegengeschleudert wird, die ich die jungen Konservativen nennen möchte. Sie sind 20 bis 40 Jahre alt, hier geboren oder in jungen Jahren nach Deutschland gekommen, selbstbewusst, gebildet, in der Regel studiert, mit starkem Interesse für Religion. Die jungen Konservativen sind keine Fundamentalisten. Sie sind keine Salafisten mit Backenbart, langem Gewand und Häckelkäppi.

Die jungen Konservativen sind keine Fundamentalisten oder Salafisten mit Backerbart, langem Gewand und Häckelkäppi. Sie sind Muslime im Alter von 20 bis 40 Jahren, hier geboren oder in jungen Jahren nach Deutschland gekommen, selbstbewusst, gebildet und einem starken Interesse für Religion. (Foto: AP)

Sie folgen einem diffusen, von theologischem Halbwissen gezeichneten Bild von Religion, das sich vorwiegend auf die Vorstellungen der eigenen Familien gründet und an die Traditionen aus deren Herkunftsländern anknüpft. Durch ihr Auftreten versuchen sie, ihrem Gedankengebäude einen modernen Anstrich zu geben. Über die Stärke der jungen Konservativen lässt sich noch nichts sagen, sie melden sich aber in öffentlichen Debatten zunehmend zu Wort.

Zum Schuljahr 2012/2013 will Nordrhein-Westfalen als erstes Bundesland islamischen Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach flächendeckend einführen. Der Landtag wird vermutlich nach den Ferien die nötigen Änderungen beschließen. Grundsätzlich ist dieser Schritt sehr zu begrüßen, wäre da nicht der achtköpfige Beirat. Mit ihm soll das alte Problem des fehlenden Ansprechpartners auf Seiten der Muslime gelöst werden; die vier großen Islamverbände (Ditib, Islamrat, VIKZ, ZMD) sind bislang nicht als Religionsgemeinschaft anerkannt, der Staat muss aber kooperieren, weil er keine religiösen Inhalte festlegen darf.

Die Verbände sollen je ein Beiratsmitglied delegieren. Die anderen vier Plätze werden von der Landesregierung besetzt, pikanterweise nur im Einvernehmen mit den Verbänden. Andersdenkende haben damit schlechte Karten. NRW schafft Fakten. Den Verbänden, die je nach Schätzung gerade mal 20 bis 30 Prozent der Muslime in Deutschland vertreten, wird durch die Hintertür die Quasi-Anerkennung als alleinige Repräsentanz der Muslime erteilt.

Den jungen Konservativen kommt das zupass, auch wenn sie nicht zwangsläufig Anhänger der Verbände sind. Im Zweifelsfall stehen diese eben für das Alte, und damit gelten sie offenbar ganz im Geiste traditionellen Denkens als natürlicher Vertreter der Muslime. Allzumal sie die Gläubigen auch nicht auf den anstrengenden Weg der Veränderung und der Selbstkritik führen wollen.

Hinter einer solchen Haltung steckt - insbesondere in Zeiten der Islamfeindlichkeit - die Suche nach Identität und Gruppengefühl. Nicht zuletzt seit der Gründung des Verbands demokratisch-europäischer Muslime oder des Liberal-Islamischen Bundes kommt nun auch innerislamisch Störfeuer. Vor der Gründung dieser Vereine schien wenigstens die muslimische Welt in Ordnung zu sein: ein Islam, eine Umma und allenfalls ein paar extremistische Wirrköpfe. Und jetzt?

Der wachsende Einfluss liberaler Kräfte, die einen offenen, undogmatischen Zugang zur Religion vertreten und sich in Deutschland verhaftet sehen, lässt die jungen Konservativen nervös werden. In dieser Nervosität offenbart sich ihr größtes Manko: Zwischen Fundamentalismus und Liberal-Gläubigen fehlt ihnen ein klares Profil. Auch sie rennen letztlich der Illusion hinterher, dass es nur einen Islam geben könnte. Bitten, das eigene Bild von der Religion zu beschreiben, quittieren sie mit Schweigen oder dem oberflächlichen Hinweis, man folge dem Koran und dem Vorbild des Propheten Muhammad.

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Ein Teil der Muslime steht vor derselben Frage, die heute auch die CDU umtreibt: Was ist eigentlich konservativ? Man will das Alte bewahren, weiß aber nicht genau, was. Die mangelnde Selbstvergewisserung manifestiert sich in einer Dagegenhaltung. Die jungen Konservativen sind dagegen, dass sich der Islam verändert; was auch immer das heißt. Sie sind dagegen, dass sich jemand von ihnen abgrenzt. Das Praktische an der Dagegenhaltung ist: Man muss sich nicht mit eigenen Positionen befassen, und der Schein des Einvernehmens bleibt gewahrt.

Es ist schwierig mit dem innerislamischen Dialog. Auf der einen Seite muss man sich über wichtige theologische und Inhalte verständigen, auf der anderen Seite Unterschiede zulassen und die Vielfalt als Stärke begreifen. Fehlendes Profil und unwirsches Abwehrgehabe der Beteiligten verschärfen die Probleme. Bei der Einführung des Islamunterrichts könnte das zu einem Schlüsselmoment werden.

Wir stehen an einem Wendepunkt. Wenn jetzt allein die etablierten Verbände den Zugriff auf die Lehrpläne und die Auswahl der Lehrkräfte erhalten, werden Generationen von ihren Vorstellungen geprägt. Das wäre so, als würden morgen alle Katholiken nach den Maßstäben des Kölner Erzbischofs Kardinal Joachim Meisner erzogen.

Gläubige Muslime kommen an Moscheevereinen kaum vorbei

Die islamische Religionspädagogik muss aber Theorien und Konzepte entwickeln, um junge Menschen zu einer stabilen und zeitgemäßen deutsch-muslimischen Identität zu führen. Die Verbände haben hierzu in 40 Jahren zu wenig beigetragen. Gemeinsam mit den jungen Konservativen verharren sie lieber in einer weiteren Illusion - nämlich mit ihren traditionellen Ansichten wenigstens ideell die Mehrheit zu vertreten.

In der Tat erfährt jemand, der öffentlich gegen liberale Auffassungen vom Islam Stellung bezieht, schnell Zustimmung von Muslimen. Doch zum einen neigen Menschen, die sich stark mit dem Islam identifizieren, eher dazu, sich in Islamdiskurse einzubringen. Zum anderen werden sie von der Organisationsstruktur des Islams begünstigt. Da sich liberale Gruppen gerade erst finden, gibt es bis heute eigentlich nur durchweg konservative und nach Herkunftsländern ihrer Funktionäre und Mitglieder ausgerichtete Zusammenschlüsse.

Wer seinen Glauben in Gemeinschaft leben will, kommt an den bestehenden Moscheevereinen kaum vorbei, ebenso wenig Eltern, die ihren Kindern die Religion beibringen lassen wollen. So wächst die kleine aber vergleichsweise wortmächtige Gruppe der jungen Konservativen, während der Rest der Muslime religiös sprachlos bleibt, und der falsche Eindruck von zahlenmäßiger Überlegenheit wird weiter genährt.

Hier ist Umsicht gefordert, vor allem von politischen Entscheidungsträgern. Sonst werden Pflöcke eingeschlagen, die später kaum noch verrückbar sind - etwa bei der Einführung islamischen Religionsunterrichts.

Lamya Kaddor , 33, ist Islamwissenschaftlerin und Lehrerin in Duisburg. Sie ist Mitbegründerin des Liberal-islamischen Bundes und unter anderem Mitautorin des Islam-Schulbuchs Saphir.

© SZ vom 08.08.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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