Interview:Einstein! Aufwachen!

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Ausgebremst statt gefördert: Viele Unternehmen verblöden ihre Mitarbeiter systematisch. Dabei wäre es so einfach, ihr kreatives Potenzial zu nutzen. Ein Interview mit dem Psychologie-Professor Heinz Schuler.

Nicola Holzapfel

Kreativität ist ein kostbares Gut. Doch in vielen Unternehmen werden kreative Mitarbeiter geradezu ausgebremst. Wie man die Kreativität in Unternehmen fördert, erklärt Heinz Schuler vom Lehrstuhl für Psychologie der Universität Hohenheim.

"Es wird viel Potenzial verschenkt, weil Mitarbeiter unter ihrem Niveau arbeiten": Heinz Schuler. (Foto: Foto: oh)

sueddeutsche.de: Woran liegt es, dass der eine mehr, der andere weniger kreativ ist?

Heinz Schuler: Kreativität ist ein Intelligenz-Faktor. Und Intelligenz ist zu einem erheblichen Teil angeboren. Das heißt nicht, dass sie nicht veränderbar ist. Ohne die richtigen Ausgangsbedingungen nützt das schönste Potenzial nichts. Es gibt viele begünstigende Faktoren. In der Kindheit sind das der Zugang zu Wissen und Bildung, die Belohnung von Anstrengung und Leistung, das elterliche Vorbild und ein Familienklima der Offenheit, Großzügigkeit und Unterstützung.

Dazu kommen bestimmte Eigenschaften, die kreative Menschen auszeichnen: Sie bemühen sich ständig um Unabhängigkeit. Sie nehmen gerne Informationen auf, haben vielfältige Interessen und können sich ausdauernd konzentrieren. Sie haben ästhetische Ansprüche und sind empfindsam.

sueddeutsche.de: Und was ist mit dem Klischee vom kreativen Sonderling?

Schuler: Da ist etwas dran. Kreative Menschen scheinen anders zu funktionieren. Sie setzen ihr Gehirn etwas anders ein und können besser abschalten. Natürlich sind Hirnprozesse von außen störbar. Es gibt kaum etwas, was kreative Leistung so sehr stören kann, wie andere Menschen.

Wirklich kreative Menschen sind für sich kreativer als in der Gruppe.

sueddeutsche.de: Dabei wird doch zum Beispiel beim Brainstorming gezielt auf Gruppenleistung gesetzt.

Schuler: Darum funktioniert es auch nicht. Wenn Mitarbeiter alleine Ideen sammeln, kommt in kürzerer Zeit mehr heraus.

Die ergiebigere Variante eines Brainstormings ist es, in der Gruppe ein Problem zu definieren und dann Aufgaben an Einzelpersonen zu geben und sie alleine Ideen produzieren zu lassen. So werden auch sozial introvertierte Menschen, und das sind Kreative oft, nicht in ihren Denkprozessen gestört. Die Ergebnisse kann man dann in der Gruppe sammeln. Aber das Auswerten ist wieder alleine günstiger. Denn in der Gruppe setzen sich die Dominanteren durch - und das sind nicht unbedingt die Schlaueren.

Dominanz mag gut sein für das Führen einer Gruppe. Aber sie ist nicht gut für Kreativität.

sueddeutsche.de: Es kommt also auf die richtige Mischung im Team an?

Schuler: Kreative und Dominante können sehr gut zusammenarbeiten, wenn sie für verschiedene Phasen eines Prozesses zuständig sind.

Menschen die viele Einfälle haben, sind häufig nicht diejenigen, die sie auch umsetzen und Innovationen daraus machen. Sie denken sich auch Dinge aus, deren Verwendbarkeit sich nicht unmittelbar anbietet.

Gruppen profitieren immer von Diversität, was Persönlichkeitsmerkmale, Wissenstand und Erfahrungshintergrund angeht. Das gilt aber nicht für die Intelligenz: Die muss ähnlich sein. Ab einem Unterschied von 20 Punkten auf dem Intelligenzquotienten wird die Verständigung schwierig. Und bei 30 IQ-Punkten mehr oder weniger können wir uns gar nicht mehr miteinander unterhalten.

sueddeutsche.de: Das heißt also auch: Nicht jeder Kollege ist meiner Arbeit förderlich.

Schuler: Anregend wirkt ein Gesprächspartner, der ungefähr auf gleichem geistigen Niveau ist. Und er darf uns keine Angst machen, zum Beispiel weil es sich um eine Autoritätsperson handelt.

sueddeutsche.de: Heißt das, Angst hindert uns daran, kreativ zu sein?

Schuler: Unternehmen, die die Kreativität ihrer Mitarbeiter fördern wollen, müssen eine Atmosphäre schaffen, die vertrauensvoll und offen ist. Sie müssen ihre Mitarbeiter ermuntern, auch Ideen zu äußern, die nicht zu 100 Prozent durchdacht sind, - ohne dass sie Angst haben sich zu blamieren.

Auch Regeln der Konfliktbewältigung sind wichtig. Persönliche Konflikte sind immens störend für Kreativität. Dagegen fördert eine positive Emotionalität die Kreativität.

sueddeutsche.de: Welche Arbeitsbedingungen fördern sie denn noch?

Schuler: Man muss Menschen die Möglichkeit geben, so zu arbeiten wie es ihnen individuell optimal entspricht. Einen Mitarbeiter, der gut in der Gemeinschaft arbeitet, kann man ins Großraumbüro setzen. Anderen, die lieber für sich sind, muss man den Rückzug erlauben.

Man muss die Arbeitsinhalte anreichern. Es wird viel Potenzial verschenkt, weil Mitarbeiter unter ihrem Niveau arbeiten. Sie verblöden geradezu.

Wichtig ist es auch, Kreativität zu einem expliziten Ziel zu machen.

Zusätzlich kann man natürlich Kreativitätstechniken einüben. Aber man darf nicht glauben, dass man in einer verknöcherten Organisation allein durch Seminare die Kreativität zur Explosion bringt.

sueddeutsche.de: Welche Organisationsform ist ideal?

Schuler: Es ist gut, möglichst wenige formale Strukturen zu haben. Und eine Projektorganisation zu schaffen, in der die Führungsaufgaben wechseln. So kann sich jeder stärker mit der Arbeit identifizieren. In Gruppen mit formeller Führung besteht die Gefahr, dass sich manche Mitarbeiter innerlich verabschieden so wie ein Beifahrer im Auto, weil sie wissen dass die Verantwortung anderswo liegt.

sueddeutsche.de: Und welche Rolle spielen die Führungskräfte?

Schuler: Sie müssen Erfolgszuversicht, Motivation und eigenständiges Handeln fördern und gute Ideen hervorheben.

Außerdem müssen sie Anreize schaffen, dass Mitarbeiter ihre kreativen Ideen auch mitteilen.

Viele Ideen gehen verloren, weil kreative Menschen sehr häufig ihre Ideen nicht vermarkten wollen. Sie lehnen es ab, ihre Einfälle verkaufen zu müssen.

sueddeutsche.de: Wenn man bedenkt, dass manche Idee dem Arbeitgeber womöglich viel Geld gebracht hätte ...

Schuler: Die Förderung kreativen Potenzials kommt allen zugute. Diesen ständigen Impuls zu haben "Was könnte ich anders und besser machen?" ist für den Einzelnen erfüllend und nützt sowohl der Arbeitsorganisation als auch der Gesellschaft insgesamt.

Von Heinz Schuler und Yvonne Görlich erscheint im Oktober das Buch "Kreativität. Ursachen, Messung, Förderung und Umsetzung in Innovation" im Hogrefe-Verlag.

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