Hirndoping:Zwang zur Pille

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Der Arbeitsforscher Jörg Marschall erklärt, wie leistungssteigernde Arznei die Berufswelt der Zukunft verändern könnte.

Interview von Michael Kläsgen

Wird bald eine leistungssteigernde Wun-derpille ohne Nebenwirkungen unseren Arbeitsalltag revolutionieren? Jörg Mar-schall, Projektleiter Arbeitswelt und Demografie beim IGES Institut in Berlin, sieht das entspannt. Er ist einer der Autoren des DAK-Gesundheitsreports 2015 mit dem Schwerpunktthema "Doping am Arbeitsplatz".

SZ: In den USA können US-Soldaten dazu verpflichtet werden, in bestimmten Fällen Medikamente zu nehmen, die ihre Leistung steigern, zum Beispiel bei chronischem Schlafmangel. Ist das in Deutschland für irgendeine Berufsgruppe denkbar?

Jörg Marschall: Nein. Das verbietet sich alleine schon durch den Arbeitsschutz, weil damit Gefahren verbunden sind. Typische Gefahren eines solchen Medikamentenmissbrauchs sind zum Beispiel, dass Verwender Fehleinschätzungen treffen oder sich überschätzen. Es kann auch sein, dass die Leistung einbricht, anstatt sich - wie erhofft - zu verbessern. Das will man natürlich nicht bei zum Beispiel einem Piloten oder einem Chirurgen, und auch nicht bei anderen Menschen, die sicherheitsrelevante Tätigkeiten ausüben.

Angenommen, es gibt irgendwann ein Präparat, das zuverlässig die Leistung steigert, aber keine Nebenwirkungen mehr hat. Wäre es dann sogar wünschenswert, diese Wunderpille einzuwerfen, um definitiv keinen Fehler zu machen oder noch kreativer zu sein?

Dieses Wunderpillen-Szenario ist sehr hypothetisch. Es darf jedenfalls niemand unter Druck geraten, solche Mittel einnehmen zu müssen, sondern es müsste prinzipiell immer jedem selber überlassen bleiben, ob er es tut oder nicht.

Hätte das nicht unheimliche Auswirkungen auf die Arbeitswelt?

Ja, vermutlich würde das den gleichen Effekt haben wie die Einführung von Computern, Smartphones oder anderen technologischen Innovationen. Es würde dazu führen, dass auch Menschen sie verwenden müssten, die das eigentlich nicht wollen.

Es würde Gruppenzwang auslösen?

Manche Experten fürchten in der Tat ein pharmakologisches Aufrüsten im Büro, weil viele Beschäftigte denken würden: "Wenn mein Kollege so etwas nimmt, muss ich das auch tun, sonst gerate ich ins Hintertreffen." Aber ich sehe keinen Grund für Schwarzmalerei. Derzeit ist Hirndoping in Deutschland wenig verbreitet, und in nächster Zeit wird es keine wirksame Pille ohne Nebenwirkungen geben.

© SZ vom 02.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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