Jeder anständige Arbeitnehmer fühlt sich unterbezahlt, völlig egal wie viel er verdient. Die letzte Gehaltserhöhung ist grundsätzlich viel zu lange her und zu gering ausgefallen. Und was bleibt nach der Steuer schon davon übrig? Es geht ja nicht nur ums Geld, sondern auch um Wertschätzung.
So grummelt der Büromensch vor sich hin - und wenn der Chef endlich einen Termin frei hat, bekommt er keinen Ton heraus. Gehaltsverhandlung? Da verhält sich der unterbezahlte Angestellte wie ein Tourist auf dem Basar - und lässt sich über den Tisch ziehen.
Was tun? Psychologen wissen Rat. Erstens: Unbedingt selbst das erste Angebot in den Raum werfen, immer agieren, nie reagieren. Und zweitens: Mit einer krummen Nummer lässt sich das bessere Ergebnis erzielen. Wer das Feilschen etwa mit einer Forderung von 57 850 Euro Jahresgehalt statt glatten 58 000 Euro eröffnet, wird am Ende mit dem besseren Ergebnis belohnt. Solche differenzierten Beträge erzeugen beim Verhandlungspartner die Illusion, er habe es mit einem besonders gut informierten und kompetenten Gegenüber zu tun. Da fällt es schwerer, eine Forderung mit einem unverschämten Gegenangebot zu kontern - selbst dem Chef.
Gebrauchtwagen lassen sich mit krummen Beträgen für einen höheren Preis verkaufen
Der Präzisionseffekt ist eine wirksame Waffe. Dafür haben Psychologen viele Belege in Studien gefunden. Gebrauchtwagen lassen sich mit krummen Beträgen für einen höheren Preis verkaufen, Alltagswaren ohnehin, und sogar für Immobilien erzielen Verkäufer bessere Abschlüsse, wenn sie zum Beispiel 799 800 Euro statt 800 000 Euro Startpreis aufrufen.
Da wäre es doch schlau, diese Taktik auszureizen und einen Betrag bis auf den letzten Cent auszudifferenzieren. Also bitte, die Forderung für das Jahresgehalt lautet: 57 852,76 Euro! "Wir haben uns gefragt, wo die Grenzen liegen", sagt der Psychologe David Loschelder von der Leuphana-Universität Lüneburg. "Wenn man bis auf den Cent genau wird, provoziert das dann Gelächter statt eines seriösen Gegenangebots?"
In Experimenten mit Juwelieren, Autoverkäufern, Immobilienmaklern oder Personalmanagern beobachteten die Psychologen um Loschelder nun, dass zumindest Experten irgendwann misstrauisch werden. Ab einem gewissen Präzisionsgrad verkehrte sich der Effekt in sein Gegenteil. Personalmanager kapieren, dass eine auf den Cent genaue Gehaltsforderung Blendwerk ist. Die Experten bewegen sich in solchen Verhandlungen in ihrem Revier und wissen, was üblich ist.
Am Ende sind Verhandlungen vor allem eines: großes Theater
"Sie müssen also zusätzlich eine Begründung liefern", sagt Loschelder. Dann wirke der Präzisionseffekt selbst auf Experten - und mutmaßlich auch auf Vorgesetzte. Eine auf den Cent präzise Gehaltsforderung wirkt dann überzeugend, wenn sie mit Wortgeklingel serviert wird - am besten komplex und mit dem Jargon der jeweiligen Branche angereichert. In Loschelders Experimenten überzeugte dies Experten des Bundesverbandes der Personalmanager: Garniert mit einer wortreichen Begründung ließen sie sich doch von besonders präzisen Beträgen blenden. Am Ende sind Verhandlungen eben vor allem eines: großes Theater.