Miriam Ortmann hatte als Kind ein Schlüsselerlebnis: Die Eltern stritten um einen Lippenstift, den die Mutter gekauft hatte, obwohl sie nie welchen trug. Verschwendung - fand der Vater. Der Mutter fehlten die Argumente, denn es war das Geld ihres Mannes, und sie bemalte sich ja wirklich nie die Lippen. "Verdiene später bloß dein eigenes Geld", sagte sie zu ihrer Tochter.
Das hatte Miriam Ortmanns Mutter anfangs auch getan - als Bürokauffrau. Doch dann kamen die Kinder. Also beendete der Elternteil mit dem geringeren Einkommen seine Karriere, und das war nun mal die Mutter. Dass ein Mann zu Hause bleibt, lag ohnehin außerhalb des Vorstellbaren. Die Familie lebte fortan vom Geld des Vaters, eines Ingenieurs. Miriam Ortmann, Jahrgang 1969, wuchs mit dem typischen westdeutschen Familienmodell auf.
Und für sie war immer klar: So möchte sie später nicht leben. Die Miete für die Doppelhaushälfte, in der sie gerade am Küchentisch sitzt, zahlt sie, genauso wie das Familienauto. Sie ist Biometrikerin, analysiert Daten für Unternehmen und verdient mehr als ihr Mann, der in der Werbebranche arbeitet. Aus Rücksicht auf ihn soll ihr richtiger Name nicht in der Zeitung stehen, genauso wenig der Ort, in dem sie mit ihren beiden Kindern leben.
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Jedenfalls, wenn die Angleichung weiterhin so langsam vorwärtskommt. Eine neue Studie zeigt, dass sich die Situation der Frauen in Deutschland sogar verschlechtert hat.
"Ein Mann muss stark sein und es aushalten können, wenn seine Frau mehr verdient. Doch ich glaube, schon wegen der traditionellen Rolle als Familienernährer, können das nicht so viele", sagt sie. Ihr Mann muss beispielsweise aushalten, dass sie über die Ausgaben bestimmt. "Größere Dinge besprechen wir natürlich - wohin es in Urlaub geht oder ein neuer Fernseher."
Das Einkommen sei für sie kein Kriterium bei der Partnerwahl, sagt Ortmann. "Manchmal habe ich mir aber schon gewünscht, mein Mann würde mehr verdienen", erzählt sie. "Das hätte mich entlastet. Die Familie allein zu ernähren, ist eben eine riesige Verantwortung." Das tun zwar immer mehr Frauen - mittlerweile um die sechs Millionen - trotzdem ist Ortmann eine Ausnahme. Es ist bekannt: Die Mehrheit der Familien wählt noch immer das Familienmodell, das ihre Eltern lebten.
Die Soziologin Daniela Grunow von der Goethe-Universität in Frankfurt am Main hat Paare in acht europäischen Ländern befragt und herausgefunden, dass sie sich sogar für dieses Modell entscheiden, wenn beide gleich viel verdienen. Nach Angaben des Bundesfamilienministeriums ist das bei etwa 20 Prozent aller deutschen Mehrpersonenhaushalte der Fall. "Sobald ein Paar zusätzliche Verpflichtungen eingehen muss, also beispielsweise Kinder betreuen, trifft es geschlechtsspezifische Absprachen", sagt Grunow. Und die fallen in der Regel traditionell aus. Das heißt, die Frau bleibt daheim oder geht in Teilzeit.
Ein Dilemma für die berufliche Laufbahn der Frau, von den niedrigeren Rentenansprüchen ganz zu schweigen. Bis zum Zeitpunkt des Kinderkriegens sei der Einkommensunterschied zwischen Männern und Frauen gar nicht so groß, sagt Professor Grunow. Aber bei den Öffnungszeiten der deutschen Krippen und Kindergärten ist es trotz Ausbau des Betreuungsangebots so gut wie unmöglich, dass beide Eltern Vollzeit arbeiten. Es sei denn, sie können sich zusätzliche private Kinderbetreuer leisten. Die sozialpolitischen Maßnahmen wie das Ehegattensplitting erleichterten Paaren zudem die Entscheidung, nur noch auf einen Hauptverdiener zu setzen.
In dieser Situation geben sie eben der Karriere des Mannes Vorrang. Nicht unbedingt, weil sie diese als wichtiger erachten. "Da spielen eher solche traditionellen, sehr stark verankerten Überzeugungen eine Rolle, wie: Das Kind braucht die Mutter doch viel mehr", sagt Grunow. Das mag für die Stillzeit stimmen. Und danach? "Welches Konzept deutsche Männer von sich als Babyväter haben, spielt dabei auch eine Rolle." Bis auf ab und an mal Windeln wechseln und sich das Baby auf den Bauch legen, haben sie meist nämlich keines.
Dass Elterngeld und Elternzeit für Väter das ändern können, zeigt das Beispiel Schweden, wo es beides schon seit den Siebzigerjahren gibt. Dort ist es normal, dass Eltern sich die Kinderbetreuung teilen. So losgelöst von den Traditionen sind nicht einmal die Ortmanns. Auch Miriam arbeitet weniger als ihr Mann, um die Kinder pünktlich um 17 Uhr vom Hort und vom Kindergarten abzuholen. Dass sie trotzdem mehr verdient, liegt an dem Studienfach, das sie einst belegte.
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Wer wie sie etwas im mathematischen, technischen oder naturwissenschaftlichen Bereich studiert, hat später auch bessere Chancen, gutes Geld zu verdienen. Bekanntermaßen tun das die wenigstens Frauen. Häufig entscheiden sie sich für kulturwissenschaftliche oder soziale Fächer. Dabei sind ihnen Einkommen und Aufstiegschancen nicht weniger wichtig als den Männern. Davon ist der Soziologe Fabian Ochsenfeld überzeugt. Wie seine Kollegin Daniela Grunow forscht er an der Goethe-Universität zum Thema Berufswahl. Frauen interessierten sich tatsächlich eher für diese Fächer, sagt Ochsenfeld. Er hält das allerdings für anerzogen.
Umfragen zeigten, dass Mädchen in ärmeren Schwellenländern wie beispielsweise in Indien schon in der Schule viel technik- und mathematikaffiner seien. Wenn dort in die Ausbildung einer Frau investiert werde, müsse sich das hinterher finanziell lohnen. "Wir in den reichen Industrienationen sind dagegen freier in der Berufswahl, haben weniger materiellen Druck. Darum betrachten wir sie als expressiven Akt", erklärt Ochsenfeld. Mit dem Beruf zeigt man, wie man tickt, ob man kreativ, sozial engagiert oder eben ein technikbegeisterter Nerd ist.
Letzteres wird in den westlichen Ländern Mädchen eben nicht zugestanden. "Bleibt ein Junge zwölf Stunden im Keller, um mit der Eisenbahn zu spielen oder mit dem Computer, ist das in Ordnung. Bei einem Mädchen in der Regel nicht", vermutet Ochsenfeld. Von ihm werde Vielfalt und soziale Kompetenz gefordert. Das verhindere eine Interessenspezialisierung, die aber für techniknahe oder naturwissenschaftliche Fächer nötig sei.
Miriam Ortmanns Mann hat sich mittlerweile selbständig gemacht und trägt seit Jahren zum ersten Mal fast ebenso viel zum Haushaltseinkommen bei wie seine Frau. Aber für die Gelddinge bleibt vorerst sie verantwortlich: "Ich habe einfach ein Händchen für Zahlen."