Frage an den Jobcoach:Wieso finde ich trotz meiner Mehrfachqualifikation keinen Job?

Lesezeit: 3 Min.

Leser Urban F. hat ein Diplom in Naturwissenschaften, einen BWL-Master und vielfältige Berufserfahrungen. Seine Stellensuche verläuft bisher trotzdem erfolglos.

SZ-Leser Urban F. fragt:

Nach dem Diplom als Naturwissenschaftler verlief mein Berufsweg über verschiedene berufliche Stationen. Als Quereinsteiger kam ich schließlich ins Lehramt. Seit elf Jahren arbeite ich nun an einem Gymnasium, bin dort aber nicht mehr glücklich. Daher habe ich nebenberuflich noch ein Masterstudium BWL, Fachrichtung Marketing und Kommunikation, erfolgreich absolviert. Seit einem Jahr bewerbe ich mich, bisher ohne nennenswerten Erfolg. Mittlerweile bin ich 48 Jahre alt und frage mich: Was machst du falsch? Ich bin voller Tatendrang, realistisch bei meinen Gehaltsvorstellungen und habe trotzdem keinen Erfolg.

Madeleine Leitner antwortet:

Lieber Herr F., die Bedeutung von klassischen Bewerbungen für die Stellensuche wird in der Regel sehr überschätzt. Es klingt verblüffend, aber wenn man Aufwand und Nutzen in ein Verhältnis setzt, sind Bewerbungen sogar die schlechteste Möglichkeit, einen Job zu bekommen. Das ist leicht zu erklären: Ist eine Stelle erst einmal ausgeschrieben, landet Ihre Bewerbung in einem (heute meist virtuellen) großen Stapel von zahlreichen Mitbewerbern. Dieser Stapel wird anschließend nach bestimmten Kriterien reduziert. Pro ausgeschriebener Stelle werden durchschnittlich überhaupt nur 24 Bewerbungen näher angeschaut, sieben Bewerber werden eingeladen, einer bekommt den Job. Alle anderen erhalten eine Absage und gehen leer aus.

In diesem System haben Sie also logischerweise nur eine Chance von eins zu x, x ist die Zahl der Mitbewerber. Sobald Sie in einem Stapel von Mitbewerbern landen, haben Sie also schon fast verloren. Im Bereich Marketing und Kommunikation dürfte die Zahl der Mitbewerber sogar besonders groß sein. Und: Jobsuchende mit bewerbungstechnischen Handicaps sind im klassischen Auswahlsystem chancenlos. Als Berufsanfänger in Ihrem Alter, mit wechselhaftem Lebenslauf und einer Tätigkeit, die auf den ersten Blick nichts mit Ihrem Ziel zu tun hat, werden Sie immer das Nachsehen haben. Natürlich sollten Sie weiterhin Bewerbungen schreiben. Aber bitte nehmen Sie Absagen nicht persönlich, sie sind systembedingt.

Vielleicht sollten Sie es also besser mit einer anderen Methode versuchen, der Suche auf dem sogenannten verdeckten Stellenmarkt. Bevor eine Stelle ausgeschrieben wird, hat ein Arbeitgeber bei der Suche nach einem passenden Mitarbeiter oft schon andere Aktivitäten unternommen. 50 Prozent der Arbeitgeber fragen ihre eigenen Mitarbeiter, ob diese jemanden kennen. 30 Prozent schauen nach Initiativbewerbungen. Da Sie in dieser Phase noch keine Konkurrenz haben, sind Ihre Chancen jetzt am größten. Sie sollten daher Ihre Aktivitäten besser auf diesen verdeckten Stellenmarkt fokussieren: Wie kann ein Arbeitgeber von Ihnen erfahren, bevor er eine Stelle offen ausschreibt?

Zunächst erfordert es zahlreiche wohlmeinende Augen und Ohren, die an der Front für Sie wachsam sind. Informieren Sie alle wohlmeinenden Personen wie Freunde, Bekannte, Ex-Kollegen, Nachbarn, Verwandte über Ihren Veränderungswunsch. Gehen Sie zu Fachveranstaltungen, besuchen Sie Messen und unterhalten Sie sich dort mit Insidern. Vermeiden Sie aber unbedingt, mit der Tür ins Haus zu fallen. Sonst geraten Sie sofort in die unangenehme Bittstellerhaltung. Sie werden merken, wie schnell Gesprächspartner dann Reißaus nehmen.

Konkretisieren Sie Ihr berufliches Ziel

Auf dem verdeckten Stellenmarkt gilt zudem: Je klarer Sie wissen, was Sie wollen, desto eher werden Sie es finden. Konkretisieren Sie noch einmal Ihr berufliches Ziel. In welchen Branchen könnten Sie mit Ihrem naturwissenschaftlichen Hintergrund punkten? Welche Firmen oder Organisationen haben zum Beispiel mit Weiterbildung zu tun? Aufgrund Ihrer Kriterien sollten Sie fünf bis 15 potenzielle Arbeitgeber definieren, die für Sie von Interesse sein könnten. Anschließend sollten Sie diese durch Recherche und Gespräche mit Insidern sorgfältig unter die Lupe nehmen. Dabei finden Sie heraus, wo die "Probleme" dieser Firmen liegen. Anschließend können Sie mit Lösungsvorschlägen auf diese Firmen zugehen. Sie können anrufen oder eine maßgeschneiderte Initiativbewerbung schicken. Vielleicht hat sich auch bei Ihrer Recherche der eine oder andere Kontakt ergeben, auf den Sie sich beziehen können.

Unbeantwortet bleibt für mich die Frage, was Sie an Ihrer jetzigen Tätigkeit so stört, dass Sie den gesamten Bereich verlassen möchten. Vielleicht gäbe es bei genauerer Betrachtung doch noch Lösungsansätze. Auch im öffentlichen Dienst könnte es passende Nischen für Sie geben, auf die Sie hinarbeiten könnten. Vielleicht gibt es sogar bei Ihrer jetzigen Position oder im Rahmen eines Ehrenamts kurzfristig eine Möglichkeit, Ihr neues Knowhow einzubringen. Mit praktischer Berufserfahrung stehen Sie im Wettbewerb schon wieder ein gutes Stück besser da.

© SZ vom 22.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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