Entwickler von Computergames:Spielmacher für virtuelle Welten

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Die Computergame-Branche ist längst keine Nische für ein paar Daddelfreaks mehr. Wo früher Quereinsteiger und Freizeitzocker Karriere machen konnten, ist heute die Professionalisierung in vollem Gange. Doch es gibt erst wenige Ausbildungen und Studiengänge. Zu Besuch bei einem Hamburger Start-up.

Tanja Nissen

Ob es so funktionieren könnte? Ist es das? Kathleen Kunze kritzelt wilde Skizzen auf ein Blatt Papier. Sie lehnt tief in den Kissen eines graubraunen Stoffsofas, die Beine leicht angewinkelt, die Füße liegen auf dem schmalen Tisch davor. Die 33-Jährige hat sich in den Ruheraum der Hamburger Firma Innogames zurückgezogen, um Ideen für ein neues Spiel zu sammeln. Einige streicht sie gleich wieder durch.

Computerspiel-Freaks suchen immer nach neuen Herausforderungen in ihren Games. (Foto: dpa)

Kathleen Kunze - Wollmütze, die langen braunen Haare zu zwei Zöpfen zusammengebunden, schwarze Hose, karierte Turnschuhe - ist Gamedesignerin. Bei ihrem Vorstellungsgespräch wurde sie gefragt, ob sie ein Spiel für Frauen entwickeln könnte. Sie sagte Ja, überlegte, was ihr selbst gefallen würde, hatte dabei aber gleichzeitig Branchenstudien über ihre Zielgruppe im Kopf. Am Ende stand die virtuelle Südseeinsel "Lagoonia", auf der die Spieler nach einem Flugzeugabsturz stranden. Einmal Computer hochfahren, und schon ist man dort.

Doch damit aus der Insel ein Paradies wird, müssen die neuen Bewohner einiges tun: Lagerfeuer entfachen, Häuser bauen, nach Schätzen suchen. Es ist eine eigene kleine Welt, die Kunze geschaffen hat - genauso wie das Regelwerk dazu. Und dafür ist nicht nur Phantasie nötig, sondern auch nüchterne Analyse. Mithilfe komplexer Formeln und langer Tabellen berechnet sie, wie schnell die Spieler vorankommen. Stimmt das Tempo, stimmt auch das Spielerlebnis.

Kunze persönlich kam zunächst weniger schnell voran als erhofft. "Nach meinem Medieninformatik-Studium habe ich mich gleich als Gamedesignerin beworben - und wurde erst mal ausgelacht." Heute weiß sie, die alleinige Verantwortung für so ein Spiel wäre für eine Berufsanfängerin zu groß. "Ich entwickle meine ersten Ideen gemeinsam mit Grafikern und Programmieren weiter, vergebe Aufträge. Stimmt das Ergebnis nicht, steht viel Geld auf dem Spiel", sagt sie. So arbeitete sie erst einige Jahre als 3-D-Grafikerin und bekam dann ihre Chance.

Menschen wie Kathleen Kunze sucht die Computerspielindustrie dringend. Nach Informationen der Initiative Gamecity Hamburg hat die Branche allein in der Hansestadt etwa 4300 Jobs geschaffen, für Festangestellte wie Freiberufler. Hinzu kommen aktuell etwa 500 offene Stellen. Deutschland hat sich zum Weltmarktführer für Internetspiele entwickelt. Das Herz der Branche schlägt in Hamburg. Sie ist lässig und doch millionenschwer. Sie lebt von Kreativität und der Begeisterung fürs Spiel, ist dabei aber längst hochprofessionell.

Hendrik Klindworth, 28, hat gleich ein Treffen mit seinen Produktmanagern. Vor ein paar Jahren, da hat er noch alles selbst gemacht, vom Programmieren der Spiele bis zum Kunden-Support. "Die Aufgaben haben sich deutlich geändert, aber das macht es für mich auch interessant", sagt Klindworth. Er ist einer der jungen Pioniere der Branche. Anfang 2007 gründete er mit Bruder Eike, 26, und Freund Michael Zillmer, 29, die Firma Innogames. Ihre gemeinsame Erfolgsgeschichte beginnt bereits Jahre zuvor. Klindworth erzählt, wie die drei über Nacht beschlossen, ein eigenes Spiel zu entwickeln. Und sich dafür schon nach kurzer Zeit nur durch Mundpropaganda Tausende begeisterten.

"Die Spielebranche ist eine lockere Branche. Man spricht jeden Geschäftspartner mit Du an, außer vielleicht mit Ausnahme von Anwälten und Bankern", sagt Klindworth. Was nicht heißt, dass er von seinen Mitarbeitern nichts erwartet. "Die Motivation, Spiele zu entwickeln, muss jeder mitbringen. Einer, der die ganze Zeit angetrieben werden muss - das würde bei uns nicht funktionieren." Innogames zählt aktuell etwa 75 Millionen registrierte Spieler. Der Umsatz liegt im zweistelligen Millionenbereich. Die Firma ist schnell gewachsen. Wie stark, das zeigt sich im Aufenthaltsraum. Dort hängt ein Foto von jedem der knapp 200 Mitarbeiter. Als es noch zwanzig waren, kannten die sich auch so. Die Flure sind lang und hell, viele Wände aus Glas. Auch ein Kickertisch fehlt nicht. Da geht es gerade hoch her.

Torsten Gunst, 34, ist konzentriert beim Spiel. Allerdings nicht am Kicker. Er sitzt vorm Rechner und beschäftigt sich mit Darstellungsfragen. "Ich habe im Laufe der Jahre so ein Gefühl für die Ästhetik von Computerspielen entwickelt. Dafür, wie die Geschichten grafisch erzählt werden", sagt er. Gunst hat schon als Kind gezeichnet und viel Zeit mit Computerspielen verbracht. Jahrelang arbeitete er als freier Grafiker. "Das meiste, was ich kann, habe ich mir autodidaktisch beigebracht, mit Büchern oder im Austausch mit anderen Künstlern." Wie viele andere in der Branche ist er Quereinsteiger.

Inzwischen wird jedoch viel getan, um gezielt Fachkräfte zu gewinnen. Menschen wie den 21-jährigen Christoph Dreis, der direkt nach dem Abitur ein duales Wirtschaftsinformatik-Studium bei Innogames begonnen hat. Den reizte nicht nur die Branche. "Ich will mich auch einbringen und Verantwortung übernehmen und das ist hier, glaube ich, leichter als in manch anderem Unternehmen. Und viel besser hätte ich bei IBM auch nicht verdient", sagt er. Einen Gehaltsreport über die Branche gibt es nach Informationen der Verbände bisher nicht. Fest steht aber: Programmierer sind besonders gefragt, die werden auch von anderen Firmen gesucht. Aber auch Gamedesigner stehen hoch im Kurs.

Kathleen Kunze sitzt inzwischen wieder an ihrem Arbeitsplatz. Neben der Tastatur steht ein Behälter mit Stiften, der einer halben Kokosnuss gleicht. An der Wand hängen eine Blumenkette und ein Strohhut. Fundstücke, die noch ein bisschen Südseeflair verströmen, während sie längst am nächsten Projekt arbeitet.

© SZ vom 09.06.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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