Elterngeld:Für das ausgefüllte Formular zahlen Eltern bis zu 500 Euro

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Vertraute Momente im Kreißsaal, Hebammen, die leicht erreichbar sind: Solche Vorteile finden Gebärende eher in kleinen Geburtshäusern als in gewaltigen Hospitälern. Bei medizinischen Notfällen wird es aber oft schwierig. (Foto: Michaela Rehle/Reuters)

Der Antrag auf Elterngeld ist komplex und verunsichert Mütter und Väter. Berater, Juristen und Kaufleute schlagen daraus Profit.

Von Lea Hampel, Esslingen am Neckar

Zehn Paare sitzen in zwei Stuhlreihen, die Frau meist mit mehr oder minder großem Babybauch, der Mann mit Notizblock. Die dominierenden Farben in der Hebammenpraxis "Herzallerliebst" sind Weiß und Rosa, ringsum liegen Gymnastikbälle und Turnmatten. Doch heute geht es weder um Wehenvorbereitung noch Babymassage. Stattdessen steht Björn Wünsche, weißes Hemd, Jeans, robuste Schuhe, vor einer Leinwand. Er zeigt auf pinke Plastikbecher auf einem Tisch: "Das ist ein trockenes Thema, holen Sie sich lieber was zu trinken."

Was an diesem Freitagabend in Esslingen am Neckar stattfindet, ist ein Infoabend zum Elterngeld. Und weil die Anwesenden das Thema ebenfalls für trocken und zudem für kompliziert halten, verbringen sie ihren Wochenendauftakt bei Mineralwasser, Keksen und Powerpoint. 25 Euro haben die Paare bezahlt, für die Hoffnung, dass sie mit dem ausgefüllten Antrag nach Hause gehen oder sie ihn danach schneller ausfüllen können.

Elterngeld gibt es seit zehn Jahren. Acht Millionen Menschen haben es schon erhalten. Jedes Jahr gibt es mehr Anbieter, die helfen, den Antrag so zu stellen, dass Eltern möglichst viel Geld bekommen.

Einer dieser professionellen Anbieter ist Björn Wünsche, 35 Jahre. Seine Karriere in diesem Bereich hat vor acht Jahren mit Bier und Schokokuchen begonnen. Damals hatte ein Bekannter ihn gefragt, ob er nicht ein Bier trinken wolle. Als Wünsche vorbeikam, lag der Elterngeldantrag auf dem Tisch. "Da wusste ich: Das Bierchen hatte der nicht ohne Hintergedanken vorgeschlagen", sagt Wünsche und grinst. Bürokratische Angelegenheiten fielen ihm schon immer leicht, er füllte den Antrag aus, die werdende Mutter bedankte sich mit Schokokuchen, Wünsche meinte lapidar: Das könne man wiederholen.

Fortan meldeten sich immer häufiger Freunde von Freunden. Nach einem halben Jahr, in dem er jedes Wochenende Kuchen bekam, hatte Wünsche die Idee, die Firma "Elterngeldprofis" zu gründen. Im Angebot: Kurse und individuelle Beratung.

Nicht einfach: Es geht um den "Steuerentlastungsbetrag" und es gibt Anlagen, die "E+" heißen

Nun ist ein Elterngeldantrag keine einfache Angelegenheit. Er umfasst mehrere Seiten, darauf stehen Begriffe wie "Steuerentlastungsbetrag", es sind Anlagen notwendig, die "E+" heißen. Wen das abschreckt, für den gibt es Hilfe: Zwischen den Zeilen steht die Hilfe-Website des Ministeriums, demnächst soll es bundesweit einen Online-Assistenten geben. Die Landesstellen, bei denen man das Geld beantragt, beantworten Fragen, in Bayern gibt es eine Telefonhotline. Institutionen wie Pro Familia helfen ebenfalls kostenlos. Dennoch boomt private Beratung. Es gibt Elterngeldpartys, Ratgeberbücher und spezialisierte Anwälte, Versicherungskaufleute und Menschen wie Björn Wünsche - weil er kein Jurist ist, aber nur solche im Einzelfall beraten dürfen, arbeitet er mit zwei Anwaltskanzleien zusammen. Zwischen 250 und 500 Euro kostet es, den Antrag unterschriftsfähig zu bekommen.

Der Beratungsboom hat verschiedene Gründe. Vor allem sind viele Menschen überfordert - sie finden zwar Informationen, aber sind verunsichert, welche gelten. Wünsche erläutert deshalb vor allem Grundsatzfragen: Was gibt es, wie viel, wie kriege ich das? Dass Menschen sich so etwas erklären lassen, statt lange selbst zu recherchieren, ist für ihn typisch für die Dienstleistungsgesellschaft - persönliche Beratung nennt er eine "Komfortdienstleistung".

Von Putzfrau und Steuerberater ist der Schritt zu jemandem, der Anträge ausfüllt, nicht mehr weit. Und tatsächlich: In einer Schwangerschaft gilt es, eine Hebamme zu finden, Krankenhäuser zu besichtigen. Alles, was ausgelagert werden kann, hilft. Als Wünsche an diesem Abend fragt, wer den Antrag zumindest angesehen hat, heben wenige die Hand.

Und doch zeigt der Abend: Es geht nicht nur um Komfort, sondern auch um Komplexität. Ein Paar beispielsweise ist nur gekommen, um sicherzugehen, dass es alles richtig ausgefüllt hat. Und eine Dame hat selbst nach der Lektüre einiger Broschüren nicht verstanden, wie viel sie zum Elterngeld hinzuverdienen darf. Sie hofft hier auf Antwort und ist ein typischer Fall: Weil die Bezugsmöglichkeiten mehrfach erweitert wurden, unter anderem für Teilzeitarbeitende, stehen die werdenden Eltern vor einer vielfältigen bis verwirrenden Qual der Wahl. Man könnte auch sagen: Der Staat versucht, verschiedenen Lebensläufen gerecht zu werden, dadurch wird es kompliziert - und damit wird Hilfe gegen Komplikationen zur Marktlücke.

Denn die privatwirtschaftlichen Berater bieten gegen Geld, was Behördenmitarbeiter nicht leisten können: mit jedem Antragsteller alle Varianten durchzusprechen und Gedankenspiele zur Lebensplanung zu betreiben. Immer wieder rechnet Wünsche vor, wie viel mehr rauskommt, wenn man die Steuerklasse rechtzeitig wechselt, oder wie viele Varianten es gibt, die Monate zu verteilen. Er zeigt damit, was in einer Einzelberatung optimiert werden kann.

Eva Zattler, die bei Pro Familia Bayern Elterngeldberatung macht, sieht professionelle Dienste trotzdem skeptisch: Zwar könnten die Anträge noch einfacher formuliert sein. "Aber an sich sind sie auf keinen Fall unüberwindbar." Vor allem schockiert sie, dass die Menschen so viel Angst haben, nicht den Betrag zu bekommen, der ihnen zusteht. "Dass es solche Dienste gibt, zeigt ja auch, dass das Vertrauen in die Behörde nicht da ist." Dass finanzielle Investitionen in den Antrag immer helfen, bezweifelt sie.

Viele Erwartungen bleiben unerfüllt

Und auch in der Esslinger Praxis sind nach knapp zwei Stunden viele Teilnehmer zwar klüger. Aber nicht alle zufriedener. Manche hätten gern den ausgefüllten Antrag mitgenommen, andere mehr Tipps gewollt. Vielleicht liegt das auch an den Erwartungshaltungen: Wünsche sagt, er will an den Infoabenden zeigen, dass es einfach ist und danach jeder "optimale Anträge für das beste Ergebnis" ausfüllen kann. Wird es zu detailliert im Einzelfall, verweist er auf Einzelberatung. Die Eltern dagegen wollen, dass er zeigt, wie man den Antrag ausfüllt. Ein kleiner, aber entscheidender Unterschied.

Der beste Tipp aber kommt ohnehin am Schluss: Wünsche rät, den Antrag auszufüllen, solange man die Informationen noch parat habe. Denn: "Das schwierigste am Elterngeld ist, das Papier anzupacken."

© SZ vom 22.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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