EKD-Ratsvorsitzender Schneider im Gespräch:"Entwürdigende Arbeit macht Menschen kaputt"

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Nikolaus Schneider, Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland, spricht über den Wert menschlicher Arbeit, die Bedeutung des arbeitsfreien Sonntags und die Selbstüberschätzung vieler Arbeitnehmer.

Matthias Drobinski

Nikolaus Schneider , 63, tritt als Vorsitzender des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland und Präses im Rheinland er für eine solidarische, liberale Gesellschaft ein.

"Wir werden ein neues Verhältnis von bezahlter und ehrenamtlicher Arbeit finden müssen", sagt Theologe Nikolaus Schneider. (Foto: dpa)

SZ: Herr Präses, Sie waren Sozialpastor und Pfarrer im Stahlarbeiter-Ort Duisburg-Rheinhausen. Wert und Würde der Arbeit - ist das ein Thema für einen, der am Hochofen steht und froh ist, wenn er am Schichtende dem Staub und der Hitze entkommt?

Schneider: Aber sicher. Ich habe sehr viele Menschen kennen gelernt, die aus einfacher, harter Arbeit Selbstbewusstsein bezogen haben, die stolz waren auf das, was sie machen. Ich bin Malocher, ich kann was, ich werde gebraucht - das sagen zu können hat mit Menschenwürde zu tun. Oft ist nicht harte Arbeit das Problem. Es ist die entwürdigende Arbeit, die Menschen kaputt machen kann. Entwürdigend, weil sie krank macht, nicht anerkannt wird oder so schlecht bezahlt wird, dass einer seine Kinder nicht aus eigener Kraft ernähren kann.

SZ: Dann sollten mehr als 10.000 Menschen entlassen werden. Sie haben dagegen demonstriert. Darf man das als Mann der Kirche?

Schneider: Was heißt demonstriert? Die Nachricht ging wie ein Lauffeuer durch meine Gemeinde, die Mitglieder waren zu 90 Prozent bei Krupp beschäftigt. Eine Frau aus dem Gemeindevorstand hat bei mir geklingelt: Hast Du gehört? Die wollen 11.000 Leute entlassen! Und dann hat sie noch gesagt, dass sich jetzt alle an der Hauptverwaltung versammeln. Da bin ich hin. Ein Pfarrer gehört zu seinen Leuten und steht ihnen besonders in schweren Situationen bei.

SZ: Es zerbrach die alte Arbeiterlegende, bei einem Unternehmen zu lernen und ihm treu verbunden zu bleiben.

Schneider: Ja, da ist etwas zerbrochen. Was die Arbeiter verletzte und so empörte, war das Gefühl der Untreue. Kruppianer, das war ein Ehrentitel, der ganze Stadtteil war Krupp-bestimmt, die Arbeits- und Lebensverhältnisse waren aufeinander bezogen. Und wenn dann die kühle Mitteilung kommt, wir sorgen für euch, aber hier geht es nicht weiter, dann ist das wie eine Scheidung. Da schwankt auch das Vertrauen, dass es einen gerechten Ausgleich zwischen Arbeit und Kapital geben kann. Wenn nur die Interessen der Anleger zählen, dann ist auch ein menschenverachtender Umgang mit den Beschäftigten möglich. Aber da sehe ich Gott sei Dank eine Neubesinnung: Unternehmer erkennen, dass es ihr Unternehmen kaputt macht, wenn sie nur auf den Shareholder Value schauen.

SZ: Das klingt nett, aber unrealistisch.

Schneider: Nein, das klingt nicht nur nett. Dieses Wissen ist notwendig für eine humane Gesellschaft. Arbeit ist eine personale Beziehung. Unternehmer sind Menschen, die etwas geben, damit sie von den Menschen, die Arbeitnehmer sind, etwas erhalten. Wo das nicht mehr gilt, verrohen die Sitten, im Arbeitsleben und damit in der Gesellschaft insgesamt.

SZ: Papst Johannes Paul II. hat gesagt: Arbeit steht vor dem Kapital. Können Sie ihm zustimmen?

Schneider: Absolut. Der Mensch muss im Mittelpunkt des Wirtschaftens stehen. Mir ist selbstverständlich bewusst, dass Unternehmer auch eine Verantwortung für das Kapital haben. Aber das Kapital muss dem Menschen dienen.

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SZ: Das Kapital entscheidet, wo zu welchen Bedingungen gearbeitet wird.

Schneider: Gerade deshalb dürfen wir diesen Anspruch nicht aufgeben. Es ist ja auch nicht naiv, was wir sagen. Geld generiert nicht aus sich heraus Geld - außer beim Glücksspiel. Wohin ein Finanzsystem führt, das nach den Regeln eines Glücksspiels funktioniert, das haben wir 2009 gesehen. Es ist die menschliche Arbeit, die Produkte und Werte schafft. Geld kann man nicht essen. Wenn man das vergisst, gefährdet den sozialen Frieden und letztlich die Demokratie.

SZ: Wie das?

Schneider:Wir sind derzeit ein sozial befriedetes Land - ein Generalstreik ist bei uns kaum vorstellbar. Das war in der Weimarer Republik anders. Da kämpften Arbeitgeber und Gewerkschaften gegeneinander. Nach dem Zweiten Weltkrieg übernahmen die Arbeitgeber auch soziale Verantwortung, die Gewerkschaften öffneten sich wirtschaftlich verantwortlichem Denken. Das hat unsere Gesellschaft und Wirtschaft stark gemacht.

SZ: Aber ist Modell nicht auf eine nationale Wirtschaft hin ausgerichtet, mit einem überholten Begriff vom Arbeitnehmer und seiner Arbeit?

Schneider: Im Grundsatz ist das nicht überholt. Die Grundlagen müssen auf veränderte Verhältnisse angewendet werden. Das geschieht ja auch, seit es die evangelische Sozialethik gibt. Vor hundert Jahren dachte sie patriarchalisch, wollte den Arbeiter bessern und sollte so die Gewerkschaften überflüssig machen - Gedanken, die uns heute fremd sind.

SZ: Wie verändert die Individualisierung der Arbeit die Sozialethik?

Schneider: Wir müssen sehr viel mehr unterschiedliche Arbeitsverhältnisse in den Blick nehmen: Zeitarbeiter, Heimarbeiter, die klassischen Fabrikarbeiter, die zunehmende Zahl der Scheinselbständigen. Und wir müssen gegen die Selbstüberschätzung der Arbeitnehmer argumentieren. Der Erfolg der Gewerkschaften war auch einer ihrer größten Feinde, denn irgendwann sagten die Leute: Es ist normal, dass ich einen Tariflohn habe, Kündigungsschutz, einen Urlaubsanspruch. Ich muss mich nicht mehr in einer Gewerkschaft engagieren. Dagegen sagen die Kirchen: Die Solidarität der Menschen sichert Wert und Würde der Arbeit. Aber dafür gibt es nach meiner Beobachtung ein wachsendes Bewusstsein, seit auch Menschen arbeitslos werden, die immer dachten: Mir kann das nicht passieren, seit es in fast allen Familien jemanden gibt, der weiß, wie es ist, arbeitslos oder prekär beschäftigt zu sein. Ein Zug zur Individualisierung wird bleiben. Das finde ich auch gar nicht schlecht. Es heißt ja auch, die Eigenverantwortung des Einzelnen zu stärken, seine Möglichkeiten besser zu fördern.

SZ: Wie wird die Arbeit der Zukunft aussehen?

Schneider: Die Computertechnologie wird eine noch größere Rolle spielen, die Ansprüche an die Arbeitnehmer werden weiter steigen. Deshalb müssen wir alles tun für die Ausbildung der Leute. Die Individualisierung wird weitergehen, weil man auch immer öfters die Anwesenheit im Büro nicht mehr braucht - oder will. Die soziale Arbeit wird zunehmen, weil es mehr Alte gibt und die Kraft der Familien seltener reicht, diese Menschen zu versorgen, weil Familienstrukturen überhaupt brüchig werden. Da werden wir auch ein neues Verhältnis von bezahlter und ehrenamtlicher Arbeit finden müssen. Und wir werden noch stärker als heute um gemeinsame freie Zeiten ringen. Der freie Sonntag wird gefährdet bleiben. Aber er wird immer wichtiger werden, weil der Sonntag freie Zeit garantiert. Der Mensch braucht eine feste freie Zeit, in der er anderen Menschen begegnen kann und so ein menschlicher Mensch wird. Gott hat den Menschen auf den Sonntag hin geschaffen, damit er sich nicht ausschließlich über seine Arbeit definiert.

© SZ vom 07.06.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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