Entscheidung zu Religionsfreiheit:Schulfrieden gefährdet - Muslim darf nicht beten

Lesezeit: 2 min

Ein Gymnasiast scheitert im Streit um muslimische Gebete: Der 18 Jahre alte Yunus M. darf nicht an seiner Schule in Berlin beten. Eine Einzelfallentscheidung, betonen die Bundesverwaltungsrichter. Nun bleibt dem Schüler nur noch der Weg ans Bundesverfassungsgericht - wenn er ihn denn gehen mag.

Matthias Drobinski

Yunus M. wird wohl bald das Abitur machen und das Diesterweg-Gymnasium in Berlin verlassen - bleiben wird aber die Debatte, die er ausgelöst hat: Dürfen muslimische Schüler an einer Schule öffentlich beten?

Bundesverwaltungsrichter zum Beten an der Schule: Grundsätzlich ja, in diesem Fall nicht. Der Kläger Yunus M. mit seinem Anwalt bei der Verhandlung in Leipzig. (Foto: dapd)

Vier Jahre ist es her, da versammelte Yunus sieben Freunde im Schulflur, sie verneigten sich Richtung Mekka. Die Direktorin verbot das, der Streit kam vor Gericht und ging durch die Instanzen. Nun hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig entschieden: Das öffentliche Gebet in der Schule bleibt Yunus M. versagt.

Es handle sich um eine Einzelfallentscheidung, erklärte Werner Neumann, der Vorsitzende Richter des 6. Senats. Grundsätzlich hätten Schüler durchaus das Recht, in der Schule öffentlich zu beten. Die Religionsfreiheit finde aber ihre Schranken, wenn der Schulfrieden gefährdet sei - dies sei hier der Fall.

Das Gericht folgte damit der Argumentation der Schuldirektorin des Diesterweg-Gymnasiums. Es sei an ihrer Schule wiederholt zu religiös motivierten Konflikten gekommen, hatte sie erklärt. Wenn eine Gemeinschaft mit 90 Prozent nichtdeutscher Herkunft funktionieren solle, könne nicht jeder auf sein Gebetsrecht pochen. Dem Schüler habe zudem ein umgewidmeter Computerraum zur Verfügung gestanden.

Der Vorsitzende Richter appellierte aber auch an die Berliner Schulverwaltung, künftig darauf zu achten, dass vergleichbare Konflikte pädagogisch gelöst würden - und zu prüfen, inwieweit Gebetsräume zur Verfügung gestellt werden könnten.

"Der Junge ist kein Extremist"

So endete in Leipzig - zumindest vorerst - die Reihe der widersprüchlichen Urteile in diesem Fall. Das Berliner Verwaltungsgericht hatte im September 2009 dem Schüler recht gegeben, das Oberverwaltungsgericht ein halbes Jahr später dagegen der Schule.

Das Verwaltungsgericht hatte den Erlanger Islamwissenschaftler und Juristen Matthias Rohe als Sachverständigen hinzugezogen, der erklärte, die Haltung des Schülers sei eine "plausible Meinung im Spektrum der Religionsfreiheit"; der Junge sei kein Extremist.

Das Oberverwaltungsgericht wiederum hatte Rohes Kollegen Tilman Nagel um Rat gefragt, der vortrug, schon der Prophet Mohammed habe Gebete verschoben, um das Leben der Gemeinschaft einfacher zu machen. Der Streit um den Schüler Yunus M. war auch ein Streit über die Bewertung des Islams: Haben staatliche Instanzen zu akzeptieren, dass Gläubige ihre Religion konservativ, streng, gar fundamentalistisch auslegen, auch wenn es andere Interpretationsmöglichkeiten gibt?

Aus dieser Debatte haben sich die Leipziger Richter herausgehalten, indem sie den Einzelfallcharakter ihrer Entscheidung betonen. Entsprechend erhalten sie Lob von den christlichen Kirchen, die das erste Betverbot noch kritisiert hatten: Das Urteil bestätige die im Grundgesetz garantierte Glaubensfreiheit, hieß es übereinstimmend bei der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg und beim Erzbistum Berlin.

Yunus M. steht nun noch der Weg zum Bundesverfassungsgericht offen. Sein Anwalt erklärte nach der Urteilsverkündung, er wolle erst einmal die schriftliche Begründung abwarten. Der Gang nach Karlsruhe sei aber eher unwahrscheinlich.

© SZ vom 01.12.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: